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15.02.2021 17:00

Kann die Evolution vorhergesagt werden?

Patrick Müller Communications and Events
Institute of Science and Technology Austria

    Die Evolution passt Organismen an ihren ökologischen Nischen an und optimiert sie dafür. Damit könnte man versuchen vorherzusagen, wie sich ein Organismus weiterentwickelt, doch wie können solche Vorhersagen rigoros getestet werden? Die Forschungsgruppe für Theoretische Bio- und Neurowissenschaften unter der Leitung von Professor Gašper Tkačik am Institute of Science and Technology (IST) Austria hat nun ein statistisches Modell geschaffen, um genau das zu ermöglichen.

    Die Natur findet oft clevere Lösungen für Herausforderungen, die durch unterschiedliche Umwelteinflüsse an Organismen gestellt werden: Von der Frage, wie man in den dunklen Tiefen der Ozeane überleben kann, bis zur Schaffung komplizierter Organe wie einem Auge oder einem Ohr. Aber können wir diese Ergebnisse mathematisch vorhersagen?
    Das ist die zentrale Frage, welche die Tkačik-Forschungsgruppe motiviert. Die Wissenschafter_innen arbeiten an der Schnittstelle von Biologie, Physik und Mathematik und wenden theoretische Konzepte auf komplexe biologische Systeme an, oder wie Gašper Tkačik es ausdrückt: „Wir wollen einfach zeigen, dass es manchmal möglich ist, Veränderungen in biologischen Systemen vorherzusagen, selbst wenn es sich um ein so komplexes Biest wie die Evolution handelt.“
    Bergsteigen in vielen Dimensionen
    In einer gemeinsamen Arbeit des Postdoktoranden Wiktor Młynarski und des PhD-Studenten Michal Hledík, unterstützt durch einen Alumnus der Gruppe, Thomas Sokolowski, der jetzt am Frankfurt Institute for Advanced Studies arbeitet, haben die Wissenschafter nun einen wesentlichen Schritt auf dem Weg zu ihrem Ziel gemacht. Sie haben ein statistisches Modell entwickelt, das experimentelle Daten von komplexen biologischen Systemen mit der Theorie vergleicht. Damit können sie rigoros testen und berechnen, wie gut ein solches System an seine Umwelt angepasst ist. Ein Beispiel für eine solche Anpassung ist der Aufbau der Netzhaut des Auges, die das Licht optimal sammelt, um ein scharfes Bild zu erzeugen. Ein weiteres ist das Nervensystems eines Wurms, durch das alle Muskeln und Sinnesorgane effizient miteinander verbunden sind, wobei möglichst wenig neuronale Verdrahtung benötigt wird.
    Das etablierte Modell, auf dem die Wissenschafter ihre Ergebnisse aufbauen, stellt die Veränderung eines Organismus als Bewegung in einer Landschaft mit Bergen und Tälern dar. Die Eigenschaften eines Organismus bestimmen, wo er sich in dieser Landschaft befindet. Wenn sich der Organismus durch Evolution an seine ökologische Nische anpasst, klettert er auf den Gipfel eines der Berge. Denn je besser er angepasst ist, desto erfolgreicher ist er – zum Beispiel produziert er mehr Nachkommen – und die Höhe in der Landschaft beschreibt diesen Erfolg. So befindet sich ein Falke mit seinem scharfen Sehvermögen an einem höheren Punkt als sein Vorfahre, dessen Sehvermögen in der gleichen Umwelt schlechter war.
    Das neue Modell von Wiktor Młynarski, Michal Hledík und ihren Kollegen erlaubt es den Wissenschaftern zu berechnen, wie gut die Organismen an ihre Nische angepasst sind. In einer zweidimensionalen Landschaft mit Bergen und Tälern erscheint die Berechnung der Höhe sehr einfach, aber reale biologische Systeme sind viel komplexer. Es gibt viel mehr Faktoren, die sie beeinflussen, was zu Landschaften mit viel mehr Dimensionen führt. Hier versagt die Intuition, und die Forscher benötigen neue statistische Werkzeuge, um die Anpassung zu berechnen und ihre Vorhersagen anhand experimenteller Daten zu testen.
    Brückenbau in der Wissenschaft
    Das IST Austria bietet eine besondere Umgebung für erfolgreiche interdisziplinäre Kooperationen. Wiktor Młynarski, der ursprünglich in den Computerwissenschaften forschte, interessiert sich für die Anwendung mathematischer Konzepte auf biologische Systeme. „Diese Arbeit ist eine Synthese vieler meiner wissenschaftlichen Interessen, die verschiedene biologische Systeme und Konzepte zusammenbringt“, beschreibt er diese jüngste Publikation. In seiner interdisziplinären Forschung arbeitet Michal Hledík sowohl mit der Tkačik-Gruppe als auch mit der von Nicholas Barton geleiteten Forschungsgruppe auf dem Gebiet der evolutionären Genetik am IST Austria zusammen. Gašper Tkačik selbst wurde von seinem Doktorvater William Bialek an der Princeton University dazu inspiriert, biologische Systeme durch die Brille der Physik zu betrachten. „Dort habe ich gelernt, dass die lebende Welt nicht immer unordentlich, komplex und für physikalische Theorien unzugänglich ist. Im Gegenteil, sie kann völlig neue Entwicklungen in der angewandten und grundlegenden Physik vorantreiben“, erklärt er.
    „Unser Vermächtnis sollte die Fähigkeit sein, mit dem Finger auf ausgewählte biologische Systeme zu zeigen und aus ersten Prinzipien vorherzusagen, warum diese Systeme so sind, wie sie sind, anstatt sich darauf zu beschränken, zu beschreiben, wie sie funktionieren“, beschreibt Gašper Tkačik seine Motivation. Solche Vorhersagen könnten in einer kontrollierten Umgebung möglich sein, wie zum Beispiel bei den relativ einfachen E. coli Bakterien, wenn sie unter optimalen Bedingungen wachsen. Eine andere Möglichkeit wären Systeme, die unter engen physikalischen Beschränkungen arbeiten, welche ihre Evolution beeinflussen. Ein Beispiel dafür sind unsere Augen, die hochauflösende Bilder an das Gehirn übermitteln müssen und dabei nur ein Minimum an Energie benötigen. Gašper Tkačik fasst zusammen: „Auch nur einen Teil der Komplexität eines Organismus aus der Theorie abzuleiten, wäre die ultimative Antwort auf die 'Warum?'-Frage, mit der sich die Menschen seit jeher auseinandersetzen. Unsere jüngste Publikation schafft ein Werkzeug, um sich dieser Frage zu nähern, indem sie eine Brücke zwischen Mathematik und Biologie schlägt.“


    Originalpublikation:

    W. Młynarski, M. Hledík, T. R. Sokolowski, G. Tkačik. 2021. Statistical analysis and optimality of neural systems. Neuron. DOI: 10.1016/j.neuron.2021.01.020


    Bilder

    Postdoktorand Wiktor Młynarski
    Postdoktorand Wiktor Młynarski
    Kris Brewer
    Kris Brewer

    PhD-Student Michal Hledík
    PhD-Student Michal Hledík
    Martin Šveda
    Martin Šveda


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Postdoktorand Wiktor Młynarski


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    PhD-Student Michal Hledík


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