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24.02.2021 10:45

Silent Killer: Diagnostik und Therapie von Bauchaortenaneurysmen verbessern

Claudia Staat Kommunikation und Veranstaltungsmanagement
Frankfurt University of Applied Sciences

    Risikoabschätzung mittels 4-D-Ultraschallscreening: Forschende der Frankfurt UAS und des Universitätsklinikums Frankfurt am Main entwickeln neue Methode zur Charakterisierung von Gefäßwänden / Studienergebnisse im Journal of Ultrasound in Medicine und der Zeitschrift der European Society for Vascular and Endovascular Surgery veröffentlicht

    Ein wichtiger Schritt zur besseren Risikobewertung bei Bauchaortenaneurysmen (BAA) ist dem Forschungslabor Personalized Biomechanical Engineering (PBE) der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) in Kooperation mit der Klinik für Gefäß- und Endovascularchirurgie des Universitätsklinikums Frankfurt am Main gelungen; die Klinik gehört zu den führenden von der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin zertifizierten Zentren für die Behandlung komplexer Aortenerkrankungen.

    In der langjährigen Kooperation wurden neue Methoden zur Charakterisierung der individuellen Gewebeeigenschaften von menschlichen Aortenwänden entwickelt. Durch Nutzung eines modifizierten Echtzeit-3D-Echokardiographie-Geräts (4D-Ultraschall) wurde eine nicht-invasive, strahlungsfreie und klinisch einsetzbare Bildgebung mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung etabliert. Vergleichbare Bild- und Verformungsdaten stehen sonst nur unter Laborbedingungen an operativ entnommenen Gewebestücken, aber nicht in vivo zur Verfügung.
    Die Wissenschaftler veröffentlichten jetzt im Journal of Ultrasound in Medicine eine Studie¹ zur klinischen Reproduzierbarkeit der Methode sowie in der Zeitschrift der European Society for Vascular and Endovascular Surgery die Ergebnisse einer klinischen Studie², in der überprüft wurde, ob die entwickelte Methode in der Lage ist, bei BAA-Patientinnen und -Patienten die Gewebeeigenschaften erkrankter Wandbereiche von denen nicht betroffener Wandregionen zu unterscheiden.

    Die neue Methode ist für die Anwendung am lebenden Menschen geeignet und kann daher zu diagnostischen Untersuchungen eingesetzt werden. Bei der Entdeckung eines Bauchaortenaneurysmas erhalten Mediziner/-innen somit durch eine Ultraschalluntersuchung zusätzlich zur seit langem etablierten Messung des maximalen BAA-Durchmessers Informationen über die individuellen Gewebeeigenschaften der erkrankten Aortenwand, um die Gefahr einer lebensbedrohlichen Ruptur der Wand zuverlässiger prognostizieren oder ausschließen zu können. Klinische Relevanz hat die genaue Kenntnis des Rupturrisikos der Aortenwand für die Entscheidung über die Art der Behandlung von Bauchaortenaneurysmen.

    Von Bauchaortenaneurysmen, einer sackartigen lokalen Aufweitung der Hauptschlagader, sind in West-Europa und den USA etwa 3 Prozent der über 65- bis 70-jährigen Männer und weniger als 1 Prozent der Frauen der gleichen Altersgruppe betroffen. Mit fortschreitendem Alter steigt die Häufigkeit exponentiell an. Diese degenerative Aufweitung der Aorta ist eine oft symptomfreie Erkrankung, die in vielen Fällen auch unbehandelt zu keinerlei Komplikationen führt. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Aneurysmenwand im Laufe der Zeit einen kritischen Zustand annimmt und schließlich plötzlich reißt. Diese kritische Veränderung ist bislang klinisch nur schwer und ungenau einschätzbar. Eine Ruptur stellt für die Betroffenen ein katastrophales Ereignis dar, bei dem wegen der massiven inneren Blutungen akute Lebensgefahr besteht. Aneurysmen werden daher von Medizinern auch „silent killer“ (leiser Killer) genannt, die Sterberate unter den Betroffenen, die in Kliniken behandelt werden (Krankenhausletalität) beträgt 40 Prozent (Kühnl 2017)³, die Gesamtsterblichkeit wird auf 60 bis 80 Prozent geschätzt.

    Krankenversicherte Männer ab 65 Jahren haben seit 2017 in Deutschland daher Anspruch auf ein Ultraschallscreening zur Früherkennung von Bauchaortenaneurysmen. „Der möglichst exakten Bewertung, ob das individuelle Aneurysma stabil oder rupturgefährdet ist, kommt eine große klinische Bedeutung zu, da auch die beiden chirurgischen Behandlungsoptionen von BAA mit relevanten Komplikationsraten verbunden sind“, erläutert Dipl.-Ing. (FH) Andreas Wittek vom PBE-Forschungsteam der Frankfurt UAS.

    Bislang beruht diese Einschätzung ausschließlich auf statistischen Kriterien, die im Einzelfall unscharf sind. Das Forschungsteam hat neue Biomarker für den pathophysiologischen Zustand der Aorten- und Aneurysmenwand vorgeschlagen, die aus der statistischen Analyse der mit 4D-Ultraschall erfassten Felder lokaler Verformungen gewonnen werden. In der nun veröffentlichten klinischen Studie konnte an einer Gruppe von 56 Aneurysmenpatientinnen und -patienten gezeigt werden, dass die entwickelten Methoden in der Lage sind, erkrankte Bereiche der Aortenwand von nicht erkrankten Bereichen der Wand zu unterscheiden.
    Wittek: „Damit sind die Ergebnisse der Studie ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Nachweis der klinischen Aussagekraft der neuen individuellen Biomarker für das Rupturrisiko von BAA.“ Damit die neu entwickelten Methoden zur Bestimmung der Gewebeeigenschaften Eingang finden in die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin sowie der European Society for Vascular Surgery und somit klinischer Standard werden, sind weitere klinische Studien notwendig.

    Personalized Biomedical Engineering (PBE):
    Die Forschungsgruppe Personalized Biomedical Engineering (PBE) der Frankfurt UAS ist ein Kompetenzzentrum für die Entwicklung individueller, auf den Menschen zugeschnittener Medizintechnikprodukte und diagnostischer Verfahren. Dazu zählen z.B. Endoprothesen wie das „Frankfurter Inlay“, ein individuell angepasster lokaler Knorpelersatz bei Kniegelenkathrose, als auch Produkte zur externen Verwendung wie personalisierte Alltagsmasken. Die Forschenden stellen die vollständige Prozesskette zur Entwicklung und Optimierung solcher Verfahren und Produkte bereit, um deren Funktion und den Komfort für die Nutzer/-innen zu verbessern. Grundlage für die biomechanische Personalisierung ist die Kompetenz in der Entwicklung von Verfahren für die in-vivo-Charakterisierung der individuellen Materialeigenschaften menschlicher Weichgewebe auf Basis von medizinischen Bilddaten.

    Quellenhinweise:
    ¹„Intra- and interobserver variability of 4D ultrasound examination of the infrarenal aorta” (J Ultrasound Med (2021), Link zum Volltext: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/jum.15622

    ²„Comparison of Abdominal Aortic Aneurysm Sac and Neck Wall Motion with 4D Ultrasound Imaging“ (Eur J Vasc Endovasc Surg (2020) 60, 539 – 547, Link zum Volltext:
    https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1078588420305451

    ³Andreas Kühnl, Alexander Erk, Matthias Trenner, Michael Salvermoser, Volker Schmid, Hans-Henning Eckstein, Inzidenz, Therapie und Letalität abdominaler Aortenaneurysmen - Sekundärdatenanalyse der deutschen DRG-Statistik von 2005–2014, Deutsches Ärzteblatt international 114 (2017), 22-23, 391-398


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Kontakt: Frankfurt University of Applied Sciences, Fachbereich 2: Informatik und Ingenieurwissenschaften, Forschungslabor Personalized Biomedical Engineering (PBE), Ansprechpartner für das Projekt Aortenmechanik: Dipl.-Ing. (FH) Andreas Wittek, Telefon: +49 69 1533-3035, E-Mail: wittek@fb2.fra-uas.de; Ansprechpartner für das Forschungslabor PBE: Prof. Dr.-Ing. Armin Huß, E-Mail: huss@fb2.fra-uas.de

    Kontakt: Klinik für Gefäß- und Endovascularchirurgie, Universitätsklinikum Frankfurt Goethe Universität unter Leitung von Univ. Prof. Dr. med. Thomas Schmitz-Rixen, Ansprechpartner: Dr. med. Wojciech Derwich, Telefon: +49 69 6301-4136, E-Mail: wojciech.derwich@kgu.de


    Weitere Informationen:

    https://www.frankfurt-university.de/?id=4953 (Informationen zur Forschungsgruppe Personalized Biomedical Engineering)
    http://www.frankfurt-university.de/fb2 (Informationen zum Fachbereich Informatik und Ingenieurwissenschaften)


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Informationstechnik, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Kooperationen
    Deutsch


     

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