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25.02.2004 13:04

Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung erforscht Kinderperspektive auf Politik

Achim Fischer Abteilung Kommunikation
Universität Mannheim

    Am 1. März startet an der Universität Mannheim das Projekt "Demokratie leben lernen". Mit über 200 000 Euro fördert die DFG das Forschungsprojekt zur politischen Sozialisation von Kindern.

    "Der Bundeskanzler wird auf vier Jahre gewählt und sitzt am Computer", weiß die kleine Ina (7) zu berichten. Die sechsjährige Karin sieht dies anders. "Er redet mit Menschen, die Probleme haben und spricht in Berlin vor anderen Bundeskanzlern", glaubt die Erstklässlerin. Der gleichaltrige Julian schätzt, dass man sehr viel Geld bezahlen muss, um Bundeskanzler zu werden. "Zweitchef wie Stoiber sein, ist bestimmt viel billiger", versichert der Grundschüler den Interviewerinnen.

    "Politik in den Augen von Kindern zu erforschen, ist alles andere als Kinderkram", so Prof. Dr. Jan van Deth von der Universität Mannheim. Der Politikwissenschaftler untersucht in dem neuen Projekt "Demokratie leben lernen", wie weit die Herausbildung politischer Einstellungen bei sechs- bis siebenjährigen Kindern bereits vorangeschritten ist. Mit über 200 000 Euro fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft die dreijährige Studie über die politische Sozialisation von Schulkindern. Der Startschuss fällt zum 1. März.

    "Wir möchten herausfinden, wie aus einem Kind ein guter demokratischer Staatsbürger wird", erläutert Projektmitarbeiterin Marina Berton die Fragestellung des Projektes. "Uns interessiert vor allem, welche Rolle Familie und Grundschule bei der Vermittlung politischer Einstellungen und demokratischer Verhaltensweisen spielen", so die Sozialwissenschaftlerin aus dem Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES). Ermittelt werden soll das Ausmaß an politischem Interesse und Verständnis, aber auch die Grundeinstellungen zu bestimmten politischen Problemen, zur Demokratie und zu Europa sollen sichtbar gemacht werden.

    "Bereits in der frühen Kindheit wird der Grundstein zur Entwicklung einer demokratischen Persönlichkeit gelegt", erklärt Projektleiter van Deth. Die politische Sozialisation eines Kindes entscheidet darüber, welche politischen Kenntnisse, Einstellungen und Werte vermittelt werden. "Sie legt fest, welche Orientierungen und Verhaltensweisen stabil bleiben und welche sich im Laufe der Jahre verändern", macht der Politikwissenschaftler deutlich.

    "Schon mit ungefähr fünf Jahren beginnen Kinder, ihre politische Umwelt wahrzunehmen", so van Deth. Umso erstaunlicher, dass die politische Entwicklung jüngerer Kinder in den Forschungsprojekten der letzten Jahrzehnte kaum Berücksichtigung fand, meint der Wissenschaftler. Stattdessen habe man sich fast ausschließlich mit Jugendlichen beschäftigt. Diese Forschungslücke möchte Jan van Deth mit seinen Projektmitarbeiterinnen jetzt schließen.

    Das methodisch anspruchsvolle und äußerst aufwändige Projekt verspricht einzigartiges Material im Hinblick auf die politische Sozialisation von jungen Kindern. Vorgesehen sind schriftliche Befragungen von Eltern, Lehrern und Schülern sowie Untersuchungen zum Schulkontext, Lernumfeld und zum sozialen Milieu der Kinder.
    Die methodischen Anforderungen sind hoch. Schließlich können die ABC-Schützen im Alter zwischen sechs und sieben Jahren in der Regel weder lesen noch schreiben. Zudem muss das Projektdesign gewährleisten, dass sich der Einfluss von Schule und Familie methodisch sauber voneinander trennen lässt. Befragt werden insgesamt 850 Mannheimer Grundschulkinder in zwei Wellen: einmal zum Zeitpunkt der Einschulung und ein weiteres Mal nach dem ersten Schuljahr.
    "Die Erstellung eines kindgerechten Fragebogens und die Befragung der Erstklässler stellt uns vor die größte Herausforderung", schildern Marina Berton und Julia Schäfer die praktischen Probleme der Untersuchung. Die beiden Sozialwissenschaftlerinnen führten im Vorfeld der eigentlichen Fragebogenaktion gut zwei Dutzend ausführliche Gespräche mit den Kindern durch. Zuhause in gewohnter Umgebung, aber ohne die Eltern. Mit Hilfe dieser so genannten Tiefeninterviews musste erst nach geeigneten kindgerechten Bezeichnungen und passenden Indikatoren für den Fragebogen gesucht werden.

    "Mit politischen Begriffen wie Staatspräsident oder Regierungschef können Kinder in diesem Alter natürlich noch nicht allzu viel anfangen", illustriert van Deth das Problem. Aber die Kleinen wissen schon, dass es in Deutschland jemanden gibt, der das Sagen hat. Bürgermeister, Richter, Gott und der Bundeskanzler gehören in den Augen der Kinder zu solchen "Bestimmern", fanden die Interviewerinnen heraus.

    Auf der Grundlage dieser Tiefeninterviews wurde nun der Kinderfragebogen erstellt, der bereits im Oktober 2002 in einer Mannheimer Grundschule getestet wurde. Die Befragung muss im Klassenverband durchgeführt werden, mit Hilfe eines Overheadprojektors. Bunte Bilder und Symbole wie Smilies erleichtern den Kindern die Orientierung und die Beantwortung der vorgelesenen Fragen. Am Ende lockt eine kleine Belohnung. "Die Kinder waren begeistert und sehr motiviert beim ersten Probedurchlauf", freuen sich die beiden jungen Wissenschaftlerinnen gemeinsam mit der Klassenlehrerin über die positive Resonanz der Vorbefragung.

    Erste Erkenntnisse legen nahe, dass Kinder dieser Altersstufen grundsätzlich über ein gewisses politisches Vorverständnis verfügen. "Sie können mit politischen Inhalten umgehen und sind politisch interessiert", erläutert van Deth. Und es zeigt sich, dass die ABC-Schützen bereits im ersten Jahr große Fortschritte machen. "Welchen Einfluss nun die Schule auf die Entwicklung der politischen Persönlichkeit hat, wird sich allerdings erst am Ende der Hauptstudie zeigen", gibt der Sozialisationsforscher von der Uni Mannheim zu bedenken. Die ersten Ergebnisse sind recht vielversprechend. "Die langjährige und sehr aufwändige Vorarbeit hat sich also gelohnt", freut sich das Forscherteam. "Und schon jetzt wissen wir einiges mehr über den Bundeskanzler", frohlocken die Wissenschaftler. Er ist oft beim Fußball und schreit, wenn er sich freut, teilte ihnen der sechsjährige Lukas mit.

    Weitere Informationen:
    Kontakt: Prof. Dr. Jan van Deth; Universität Mannheim
    Lehrstuhl für Politische Wissenschaft und international vergleichende Sozialforschung
    Tel.: 0621 / 181 2098; E-Mail: jvdeth@uni-mannheim.de;
    http://www.sowi.uni-mannheim.de/lehrstuehle/lspwivs/


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Politik, Recht
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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