„Die Parkinson-Wissenschaft ist davon überzeugt, dass wir bis 2030 die ersten ursächlichen Therapien im Einsatz haben könnten. Damit können wir das Fortschreiten der Parkinson-Erkrankung und anderer Bewegungsstörungen bremsen oder sogar ihr Auftreten verhindern“, stellt Prof. Dr. med. Günter Höglinger fest. Er ist Direktor der Neurologischen Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover und Erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG). Höglinger forderte heute zum virtuellen Live-Kongress „Parkinson und Bewegungsstörungen – Highlights Digital“ den gesamtgesellschaftlichen und politischen Willen, diese Krankheiten konsequenter zu bekämpfen.
Die Wissenschaft habe mittlerweile das notwendige Know-how. Was fehle, sei die stringente Förderung und Strukturierung dieser medizinischen Forschung. „Mit der Parkinson-Agenda 2030 wollen wir die Öffentlichkeit für die realistische und hoffnungsvolle Option sensibilisieren, dass diese bedeutenden neurologischen Erkrankungen 200 Jahre nach ihrer Erstbeschreibung endlich ursächlich therapiert werden könnten“, so Höglinger.
Medizinischer Fortschritt ist machbar – wenn wir es wollen
Was die medizinische Forschung erreichen kann, hat die erfolgreiche Entwicklung zahlreicher Impfstoffe gegen das SARS-CoV-2-Virus in nur kurzer Zeit bewiesen, darunter die erstmals für eine Impfung eingesetzte mRNA-Impfstoff-Technologie von Biontech/Pfizer. Entscheidend waren der durch die Pandemie entstandene Erfolgsdruck, die hohen Investitionen auch von öffentlicher Hand sowie die Aussicht auf Refinanzierung der Entwicklungskosten für die Unternehmen. Bei Parkinson und anderen Bewegungsstörungen dagegen sind die öffentliche Aufmerksamkeit, die verfügbaren Mittel sowie der kollektive Wille, das Problem zeitnah zu lösen, deutlich geringer.
„Dabei könnte die Forschung mit neuen Technologien wie Biomarkern, genetischer Stratifizierung und molekularen Therapien in den kommenden zehn Jahren auch eine Revolution in der Therapie der Parkinson-Krankheit und anderer Bewegungsstörungen einleiten“, so Professor Höglinger. In den vergangenen Jahrzehnten hat die Medizin zwar erfolgreich symptomatische Therapien für die Patienten entwickelt, die zur Erleichterung der Symptome führen. Diese sind für die betroffenen PatientInnen sehr wichtig. Aber eine Verzögerung des Fortschreitens der Krankheit oder gar ein Verhindern des Krankheitsausbruchs leisten sie nicht. Dabei sind Parkinson und andere Bewegungsstörungen von großer gesellschaftlicher Relevanz. Allein in Deutschland sind rund 400.000 Patienten von Parkinson betroffen. Weltweit ist die Zahl der diagnostizierten Patienten von 2,5 Millionen im Jahr 1990 auf 6,1 Millionen im Jahr 2016 angestiegen, speziell in den Industrienationen. Mit weiter steigender Tendenz.
Die Parkinson-Agenda 2030 will die Gesundheits- und Forschungspolitik sensibilisieren
„Es fehlt der nachhaltige politische Wille, die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung nun auch zeitnah in die Entwicklung neuer Therapien für Parkinson und andere Bewegungsstörungen zu überführen. Hierzu braucht es eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, weil es einzelnen Forschungsgruppen aus eigener Kraft nicht gelingen kann“, so Höglinger. Deutschland gehört zu den international führenden Standorten in der Parkinson-Forschung. Es gibt hervorragende regionale und nationale Forschungsnetzwerke. Ihre Organisation und Finanzierung ist den ForscherInnen aber weitgehend selbst überlassen. Sie seien gezwungen, sich von Forschungsantrag zu Forschungsantrag zu hangeln. „Das Forschungspotenzial ist vorhanden, doch bei der Entwicklung ursächlicher Therapien geht es viel zu langsam voran“, so Höglinger.
Früherkennung ist der Schlüssel zur Entwicklung von präventiven Therapien
Vom Beginn der Erkrankung im Körper bis zum Auftreten der ersten klinischen Symptome bei Parkinson oder anderen Bewegungsstörungen vergehen in der Regel Jahre oder gar Jahrzehnte. Dieses Zeitfenster bietet die Möglichkeit, die Krankheit zu erkennen, bevor sie die PatientInnen beeinträchtigt. Um diese Erkrankten ohne Symptome zu identifizieren, stehen der Wissenschaft inzwischen Riechtests, Schlafuntersuchungen, Hautbiopsie-Tests, Nervenwasser-Untersuchungen und die Gendiagnostik zur Verfügung. Eine neue molekulare Methode zur objektiven Diagnostik von Parkinson-Syndromen ist z. B. die Bestimmung der alpha-Synuclein-Aggregate im Nervenwasser mittels RT-QuiC oder der Tau-Aggregate im Gehirn mit dem PET-Tracer PI-2620. Für diese Parkinson-Risikopersonen muss nach Möglichkeiten gesucht werden, durch frühzeitige Intervention den Ausbruch der klinischen Symptome zu verhindern.
Die Neurogenetik ermöglicht differenzierte Strategien
Die Parkinson-Erkrankung hat nicht allein eine, sondern verschiedene bekannte Ursachen. Viele mittlerweile identifizierte genetische Varianten beeinflussen das Parkinson-Risiko. Ein Schlüssel zum Erfolg bei der Therapieentwicklung ist ein genaues Verständnis jener molekularen Signalwege, die an der Krankheitsentstehung beteiligt sind. Zahlreiche internationale Projekte, viele davon unter deutscher Leitung, sind auf dem Weg, diese Frage zu klären. Hierzu gehören etwa die Rostock International Parkinson Disease (ROPAD)-Studie zur Bestimmung der genetischen Epidemiologie der Parkinson-Krankheit oder die Lübeck International Parkinson’s Disease (LIPAD)-Studie zur Untersuchung von genetischen und umweltbedingten Modifikatoren von Penetranz und Expressivität. Die verschiedenen identifizierbaren genetischen Varianten eröffnen die Möglichkeit maßgeschneiderter Therapien für individuelle Patienten. Diese „Präzisionsmedizin“ ist z. B. in der Krebs-Therapie bereits erfolgreich.
Register mit typisierten Patienten
Gerade bei so heterogenen Erkrankungen wie den Parkinson-Syndromen benötigt die Wissenschaft eine deutlich umfassendere und standardisierte klinische, biochemische und genetische Typisierung der verschiedenen Krankheitsvarianten. Das Ziel muss es sein, Patientenkohorten zu etablieren, die für die Überprüfung neuer klinischer Therapieansätze landesweit und rasch rekrutiert werden können (Trial-Ready-Kohorten). „Es verschlingt viele Monate, manchmal sogar Jahre, für jede neue klinische Prüfung geeignete PatientInnen zu finden. Diese sind meist hochmotiviert, sich an Studien zu beteiligen. Die große Herausforderung ist, passende Probanden und passende Studien zusammenzubringen“, so Höglinger. Erfreulicherweise haben z. B. die DPG oder das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in begrenztem Rahmen Kohortenstudien mit Parkinson-PatientInnen initiiert. Das größere Ziel aber muss sein, ähnlich wie existierende Krebsregister, ein Parkinson-Register national aufzusetzen und langfristig zu erhalten.
Zahlreiche neue Therapieansätze auf molekularer Ebene
Auch auf dem Gebiet der Therapieentwicklung ist die Forschung für PatientInnen mit Parkinson und anderen Bewegungsstörungen in Deutschland sehr aktiv. Erst vor drei Jahren wurden die ersten Personen mit der seltenen Bewegungsstörung Chorea Hungtington mit der neuartigen Antisense-Oligonukleotid-Therapie erfolgreich behandelt. Diese Substanzgruppe unterdrückt die Produktion fehlgefalteter Eiweiße auf der Basis defekter Gene („Gene-Silencing“). Das Verfahren wird nun bereits auch in Deutschland in klinischen Studien bei Parkinson-Syndromen eingesetzt. Ein anderes Beispiel für neuartige molekulare Therapiestrategien sind zahlreiche Studien mit monoklonalen Antikörpern, etwa gegen das alpha-Synuclein oder das Tau-Protein, welche mit Parkinson-Syndromen im ursächlichen Zusammenhang stehen. So hat z. B. eine Studie mit dem alpha-Synuclein-Antikörper Prasinezumab bei Parkinson kürzlich vielversprechende Zwischenergebnisse erbracht, die eine Weiterentwicklung rechtfertigen.
Die Mission der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen
Unter dem Titel der Parkinson-Agenda 2030 widmet sich die Fachorganisation jetzt verstärkt den beschriebenen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Im Rahmen verstärkter Öffentlichkeitsarbeit sollen Sensibilisierung und Aktivierung der Gesellschaft für die Belange der PatientInnen mit Parkinson und anderen Bewegungsstörungen erreicht werden. Dabei soll die nationale Förderlandschaft für die Erforschung der Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten deutlich verbessert werden. Als wichtigen Baustein hierfür hat die DPG die Parkinson Stiftung (https://parkinsonstiftung.de/die-stiftung.html) initiiert. Weiterhin unterstützt die DPG mit ihren Arbeitsgruppen die Erforschung der Ursachen, der Früh- und Differenzialdiagnostik und neuer Therapiemöglichkeiten. Ein nationales Register für Parkinson und andere Bewegungsstörungen wird etabliert und unterstützt. Insbesondere soll auch mit Nachdruck die nationale Forschungslandschaft für die klinische Prüfung neuer Therapieansätze mit PatientInnen optimiert werden.
Diese Anliegen dienen einem Ziel: in den kommenden 10 Jahren die Entwicklung neuer Therapien für Parkinson und andere Bewegungsstörungen den entscheidenden Schritt voranzubringen: zur ersten ursächlichen Therapie.
Fachlicher Kontakt für die Medien
Prof. Dr. med. Günter Höglinger
1. Vorsitzender der DPG, Direktor der Klinik für Neurologie, Medizinische Hochschule Hannover
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Die Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG) fördert die Erforschung der Parkinson-Krankheit und verbessert die Versorgung der PatientInnen. Organisiert sind in der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaft Parkinson-ÄrztInnen sowie GrundlagenforscherInnen. Die Zusammenarbeit dieser beiden Zweige ist entscheidend für die Fortschritte in Diagnostik und Therapie.
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Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen e.V. (DPG)
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E-Mail: info@parkinson-gesellschaft.de
1. Vorsitzender: Prof. Dr. med. Günter Höglinger, Hannover
2. Vorsitzender: Prof. Dr. med. Karla Eggert, Marburg
3. Vorsitzender: Prof. Dr. med. Alexander Storch, Rostock
Schriftführer: Prof. Dr. med. Rüdiger Hilker-Roggendorf, Recklinghausen
Schatzmeister: Prof. Dr. med. Dirk Woitalla, Essen
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