Einem Forschungsteam des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Firma caresyntax ist der Nachweis gelungen, dass künstliche Intelligenz (KI) die Fertigkeiten von Chirurginnen und Chirurgen zuverlässig beurteilen kann. Mit einem dreistufigen Verfahren ist eine Methode vorgestellt, die mit hoher Trefferquote gute und mässige Leistungen korrekt zuordnet. Damit ist der Weg frei für weitere Schritte in Richtung von KI-gestützten Expertensystemen.
In der Schweiz werden jährlich über eine Million Operationen durchgeführt. Die Fertigkeit von Chirurginnen und Chirurgen hat direkte Auswirkungen auf das Operationsergebnis. Dabei spielen Schulung und Erfahrung wie auch momentane Ermüdung und andere Einflussfaktoren eine Rolle. Heute wird die Fertigkeit durch Experten geprüft, entweder direkt während einer Operation oder durch die Auswertung von Videomaterial. Dieses Verfahren ist sehr aufwendig. Es steht nur eine begrenzte Anzahl von Experten zur Verfügung. Die Beurteilung kann variieren und ist nicht immer vollständig reproduzierbar. Seit einiger Zeit werden Versuche unternommen, die Beurteilung von Chirurginnen und Chirurgen zu automatisieren und zu objektivieren.
Nachweis der Machbarkeit
Das zentrale Resultat der Studie ist der Nachweis der prinzipiellen Machbarkeit einer auf künstlicher Intelligenz (KI) basierenden Beurteilung der Fertigkeiten einer Chirurgin resp. eines Chirurgen im Rahmen eines chirurgischen Eingriffes. Die eingesetzte KI identifizierte gute bzw. mässige chirurgische Fertigkeit mit einer Treffgenauigkeit von 87 Prozent. Dies ist als ein sehr gutes Resultat einzustufen. Der Erstautor Joël Lavanchy erläutert: «Überraschend war die grosse Genauigkeit der Algorithmen mit der gewählten Methode. Unsere Methode der Beurteilung chirurgischer Fähigkeiten basiert auf der Analyse der Instrumentenbewegung. Die chirurgischen Instrumente wurden mittels Computeralgorithmen identifiziert und ihre Bewegung über die Zeit analysiert.»
Innovativer, dreistufiger Ansatz der KI
Das Forschungsteam verwendete einen neu entwickelten, dreistufigen Ansatz. Der Studie lagen 242 Videos von laparoskopischen Eingriffen zur Entfernung der Gallenblase zugrunde. In einem ersten Schritt wurden die verwendeten Instrumente identifiziert. Dazu wurde ein Convolutionales Neurales Netzwerk (CNN) zur Erkennung von Instrumenten trainiert. Im zweiten Schritt wurden die Bewegungen analysiert und deren Muster extrahiert. In einem dritten Schritt wurden die extrahierten Bewegungsmuster unter Verwendung einer linearen Regression mit der Beurteilung durch Experten korreliert.
Breitere Datenbasis und vertieftes Training der Algorithmen notwendig
Die vorliegende Studie ist ein erster wichtiger Schritt zu einer breiteren Beurteilung der chirurgischen Leistung. Bis die Technologie in der klinischen Praxis eingesetzt werden kann, sind noch vertiefende Schritte nötig. Zum einen müssen die KI-Algorithmen auf einer breiteren Datenbasis trainiert werden, um die Erkennung der Instrumente weiter zu verbessern. Weiter sind zusätzliche Operationen zu untersuchen und mittelfristig können auch Videos von offenen Operationen sowie Eingriffe ausserhalb des Bauchraums in Angriff genommen werden.
Enes Hosgor, Co-Autor der Studie und Leiter der KI-Abteilung in caresyntax, einer Medtech Firma in Berlin und Boston, ordnet die Studienergebnisse wie folgt ein: «Bisher wurde KI vor allem für die Identifikation von Instrumenten oder gewissen Operationsabschnitten benutzt. In unserer Studie beurteilen wir die chirurgischen Fertigkeiten anhand des Operationsvideos. Der Einsatz der KI kann künftig Probleme auf mehreren Ebenen lösen: Sie ist jederzeit und auch während der Operation verfügbar (nicht von wenigen schwer verfügbaren Experten abhängig). Sie ist nur von Algorithmen angetrieben und deshalb objektiv. Sie ist überregional, personen- und zeitunabhängig vergleichbar und könnte so Zertifizierungsstellen eine wichtige Entscheidungshilfe bieten.»
KI am Medizinalstandort Bern: CAIM als Chance
Das Projekt gibt einen wichtigen Hinweis auf die künftige Entwicklung der KI in der Medizin. Von der früheren Auswertung von Bildmaterial wird sie sich künftig hin zur Bereitstellung von Expertensystemen bewegen. Der Studienleiter Prof. Guido Beldi erläutert: «Die Studie ist ein erster Schritt. Nachdem wir die grundsätzliche Machbarkeit gezeigt haben, können wir nun die Planung von Assistenzsystemen in Angriff nehmen. Diese werden Chirurginnen und Chirurgen während der Operation unterstützen. Sie werden sie z. B. darauf hinweisen, wenn sie eine Ermüdung feststellen und so zur Vermeidung von Komplikationen beitragen.» Die weitere Entwicklung wird von der Förderung der KI am Medizinalstandort Bern profitieren können. Mit der Eröffnung am 19. März wird hier das CAIM (Center for Artificial Intelligence in Medicine) den Betrieb aufnehmen.
- Dr. med. Joël Lavanchy, Oberarzt Viszerale Chirurgie, Inselspital, Universitätsspital Bern
- Prof. Dr. med. Guido Beldi, Leitender Arzt Viszerale und Transplantationschirurgie, Inselspital, Universitätsspital Bern
- Prof. Dr. med. Dr. h.c. Daniel Candinas, Klinikdirektor und Chefarzt Viszerale und Transplantationschirurgie, Inselspital, Universitätsspital Bern
- Dr. Enes Hosgor, Senior Vice President für Künstliche Intelligenz und Forschung, caresyntax, Berlin
https://doi.org/10.1038/s41598-021-84295-6
Prof. Dr. med. Guido Beldi, Leitender Arzt Viszerale und Transplantationschirurgie, Inselspital, Uni ...
Insel Gruppe
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler
Informationstechnik, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
Prof. Dr. med. Guido Beldi, Leitender Arzt Viszerale und Transplantationschirurgie, Inselspital, Uni ...
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