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12.03.2021 20:00

Gletscher und rätselhafte Steinstreifen im Äthiopischen Hochland

Nathalie Matter Media Relations, Universität Bern
Universität Bern

    Obwohl vergangene Temperaturschwankungen in den Tropen für das Verständnis des globalen Klimasystems von grosser Bedeutung sind, ist über ihr Ausmass und den zeitlichen Verlauf noch wenig bekannt. Forschende unter der Leitung der Universität Bern konnten nun anhand von Gletscherschwankungen und riesigen Steinstreifen im Äthiopischen Hochland eine starke lokale Abkühlung in den Tropen während der letzten Kaltzeit nachweisen.

    Die Tropen spielen als «Motor» der globalen Atmosphären- und Ozeanzirkulation eine zentrale Rolle für das Verständnis vergangener und zukünftiger Klimaänderungen. Sowohl globale Klimasimulationen als auch weltweite Rekonstruktionen der Ozeantemperatur deuten darauf hin, dass die Abkühlung in den Tropen während der letzten Kaltzeit – die vor ca. 115‘000 Jahren einsetzte und die bis vor 12‘000 Jahre dauerte – im Vergleich zur gemässigten Zone und den Polarregionen deutlich schwächer ausgefallen ist. Inwiefern diese allgemeine Aussage auch für die tropischen Hochgebirge in Ostafrika und anderswo zutrifft, wird jedoch aufgrund paläoklimatischer, geologischer und ökologischer Untersuchungen in grosser Höhe bezweifelt.

    Ein Forschungsteam um Alexander Groos, Heinz Veit (beide Geographisches Institut) und Naki Akçar (Institut für Geologie) der Universität Bern in Zusammenarbeit mit Kollegen und Kolleginnen der ETH Zürich, der Philipps-Universität Marburg und der Universität Ankara ist der Frage, welches Ausmass und welche Auswirkung die regionale Abkühlung während der letzten Kaltzeit auf tropische Gebirge hatte, exemplarisch am Äthiopischen Hochland nachgegangen. Die Ergebnisse sind in den Fachzeitschriften Science Advances und Earth Surface Dynamics erschienen.

    Entstehung von Plateau- und Talgletschern
    «Das Äthiopische Hochland ist gegenwärtig trotz seiner Höhe von über 4’000 m nicht von Eis bedeckt», erläutert Groos, der im Rahmen seiner Dissertation die Gletscher-, Klima- und Landschaftsgeschichte der Bale und Arsi Mountains im südlichen Hochland untersucht hat. «Moränen und andere Geländeformen zeugen jedoch davon, dass diese Berge während der letzten Kaltzeit vergletschert waren», führt er weiter aus.

    Moräneblöcke in den Bale und Arsi Mountains wurden im Gelände kartiert und beprobt und später mit Hilfe des Chlor-Isotops «36Cl» datiert, um die Ausdehnung und den Zeitpunkt vergangener Vergletscherungen genau zu bestimmen. Dabei erlebten die Forscher eine Überraschung: «Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Gletscher im südlichen Äthiopischen Hochland bereits vor 40’000 bis 30’000 Jahren ihre maximale Ausdehnung erreicht haben», so Groos, «und somit einige Tausend Jahre früher als in anderen Gebirgsregionen Ostafrikas und weltweit». Insgesamt bedeckten die Gletscher im südlichen Hochland während ihres Maximums eine Fläche von mehr als 350 km². Neben der Abkühlung von mindestens 4 bis 6 °C begünstigten die ausgedehnten vulkanischen Hochplateaus oberhalb von 4’000 m die Entstehung einer Vergletscherung dieser Grössenordnung.

    Wichtige Erkenntnisse erlangten die Forschenden, indem sie die eigens rekonstruierten Gletscherschwankungen im Äthiopischen Hochland mit denen der höchsten ostafrikanischen Berge sowie Klimaarchiven aus dem Grossen Afrikanischen Grabenbruch verglichen. «Die Quervergleiche zeigen, dass sich die tropischen Berge in Ostafrika deutlich stärker abgekühlt haben als das umgebende Tiefland», fasst Groos zusammen. «Darüber hinaus legen die Ergebnisse eine uneinheitliche Reaktion der ostafrikanischen Gletscher und Eiskappen auf Klimaänderungen während der letzten Kaltzeit nahe, was sich unter anderem auf regionale Unterschiede in der Niederschlagsverteilung und im Gebirgsrelief zurückführen lässt», erklärt er weiter.

    Das Rätsel der Steinstreifen
    Während ihrer Feldarbeit auf dem zentralen Sanetti Plateau der Bale Mountains stiessen die Forschenden ausserhalb des Bereichs der ehemaligen Eiskappe auch auf gigantische, bis zu 1’000 m lange, 15 m breite und 2 m tiefe, Steinstreifen. «Die Existenz dieser Steinstreifen auf einem tropischen Hochplateau hat uns überrascht, da sogenannte periglaziale Formen dieser Grössenordnung bisher nur aus den gemässigten Breiten und Polarregionen bekannt waren und mit Bodentemperaturen um den Gefrierpunkt in Verbindung gebracht werden», so Groos. Die Durchschnittsbodentemperatur auf dem Sanetti Plateau beträgt gegenwärtig allerdings etwa 11 °C.

    Die grossen Blöcke und Basaltsäulen, aus denen die Steinstreifen bestehen, stammen ursprünglich von stark erodierten Felsformationen und vulkanischen Quellkuppen. Nach jetzigem Stand gehen die Forschenden davon aus, dass die Steinstreifen während der letzten Kaltzeit durch eine natürliche Sortierung der zuvor chaotisch verteilten Gesteinsblöcke im Zuge des periodischen Gefrierens und Auftauens des Untergrunds in der Nähe der ehemaligen Eiskappe entstanden sind. Dies würde in Äquatornähe lokal jedoch eine Absenkung der durchschnittlichen Bodentemperatur von mindestens 11 °C und der Lufttemperatur von mindestens 7 °C voraussetzen. Ob diese beispiellose Abkühlung ein regionales Phänomen ist oder exemplarisch für die Abkühlung tropischer Hochgebirge während der letzten Kaltzeit steht, müssen zukünftige Untersuchungen aus anderen tropischen Gebirgsregionen zeigen.

    Förderung durch den SNF und die Deutsche Forschungsgemeinschaft
    Neben den Geographen und Geologen aus Bern beteiligten sich auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Marburg, Zürich und Ankara an den Publikationen in Science Advances und Earth Surface Dynamics. Sie alle gehören der Forschungsgruppe 2358 der Deutschen Forschungsgemeinschaft an, die die Klima-, Landschafts- und Menschheitsgeschichte im Äthiopischen Hochland erforscht. Die Untersuchungen der Berner Arbeitsgruppe wurde vom Schweizerischen Nationalfond SNF unterstützt.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Alexander R. Groos
    Universität Bern, Geographisches Institut
    Telefon: +41 76 602 03 90 / +49 15 77 82 21 060 /
    E-Mail: alexander.groos@giub.unibe.ch


    Originalpublikation:

    Groos, A. R., Akçar, N., Yesilyurt, S., Miehe, G., Vockenhuber, C., and Veit, H.: Nonuniform Late Pleistocene glacier fluctuations in tropical Eastern Africa, Sci. Adv., 7, eabb6826, https://doi.org/10.1126/sciadv.abb6826 , 2021.

    Groos, A. R., Niederhauser, J., Wraase, L., Hänsel, F., Nauss, T., Akçar, N., and Veit, H.: The enigma of relict large sorted stone stripes in the tropical Ethiopian Highlands, Earth Surf. Dynam., 9, 145–166, https://doi.org/10.5194/esurf-9-145-2021 , 2021.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Geowissenschaften, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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