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26.03.2021 09:24

„Science“-Titelgeschichte: Forscher lösen Rätsel um Adlermörder

Ronja Münch Pressestelle
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

    Im Süden der USA sterben seit den 1990er Jahren Weißkopfseeadler, aber auch andere Vögel sowie Reptilien und Fische an einer mysteriösen neurodegenerativen Krankheit. Ein Forschungsteam unter Leitung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und der University of Georgia, USA, konnte nun die Ursache für das Sterben identifizieren: ein Gift, das von Cyanobakterien gebildet wird, die wiederum auf invasiven Wasserpflanzen in den betroffenen Regionen wachsen. Verstärkt wird das Problem möglicherweise durch den Einsatz von Herbiziden zur Bekämpfung der Pflanzen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift "Science" veröffentlicht.

    1994 kommt es im Bundesstaat Arkansas in den USA zu einem Massensterben des Weißkopfseeadlers. Die Tiere verlieren die Kontrolle über ihren Körper und in ihrem Gehirn entstehen Löcher. Die zuvor unbekannte neurodegenerative Krankheit wird Vacuolar Myelinopathy (VM) genannt. "Es war ein Mysterium, woher die Krankheit kommt", sagt Prof. Dr. Timo Niedermeyer vom Institut für Pharmazie der MLU.

    Amerikanische Forscher stellen zunächst fest, dass nicht nur Adler, sondern auch ihre pflanzenfressenden Beutetiere betroffen sind. Sie finden einen Zusammenhang mit einer invasiven Wasserpflanze (Hydrilla verticillata), die in Süßwasserseen der betroffenen Regionen wächst. Allerdings gibt es auch Seen mit der Wasserpflanze, an denen die Krankheit nicht auftritt. Susan B. Wilde, Professorin an der Warnell School of Forestry and Natural Resources an der University of Georgia, findet 2005 schließlich ein bisher unbekanntes Cyanobakterium auf den Blättern der invasiven Pflanze, das offenbar für die Krankheit verantwortlich ist: Nur dort, wo das Cyanobakterium auf der Pflanze wächst, kommt es zu VM. Sie nennt das Bakterium "Adlermörder, der auf Hydrilla wächst": Aetokthonos hydrillicola.

    "Ich bin über eine Pressemitteilung der Universität gestolpert und war von dieser Entdeckung begeistert, weil ich seit Jahren mit Cyanobakterien gearbeitet habe", sagt Niedermeyer. Er lässt sich Proben zuschicken, kultiviert die Bakterien im Labor und schickt sie in die USA zurück. Doch die dortigen Tests ergeben nichts, die Krankheit wird durch die Laborkulturen nicht ausgelöst. "Nicht nur die Vögel hat das in den Wahnsinn getrieben, uns auch. Wir wollten dieses Rätsel unbedingt lösen", sagt Niedermeyer. Erneut lässt er sich Blätter mit dem Bakterium zuschicken. Steffen Breinlinger, Doktorand in seiner Arbeitsgruppe, untersucht nun mit einem neuen bildgebenden Massenspektrometer Molekül für Molekül die Zusammensetzung auf der Blattoberfläche. Und findet dabei eine neue Substanz, die auf den Blättern nur dort vorkommt, wo die Cyanobakterien wachsen. In den kultivierten Bakterien findet man sie jedoch nicht.

    Seine Untersuchungen der chemischen Struktur des isolierten Moleküls ergeben, dass es fünf Bromatome enthält. "Die Struktur ist wirklich spektakulär", sagt Breinlinger. Die Eigenschaften seien ungewöhnlich für ein von Bakterien gebildetes Molekül. Und sie liefern die Erklärung dafür, warum das Gift unter Laborbedingungen nicht gebildet wurde: Standardmedien für die Kultivierung von Cyanobakterien enthalten kein Bromid. "Wir haben dann unsere Laborbakterien mit Bromid versetzt und daraufhin haben sie das Toxin ebenfalls gebildet", so Breinlinger. Wilde und ihre Mitarbeiter testen das isolierte Molekül, das nun endlich, nach fast einem Jahrzehnt Forschung in den Laboren von Wilde und Niedermeyer, ein Treffer ist: Es löst VM aus. In Anlehnung an das Bakterium nennen die Forscher ihre Entdeckung Aetokthonotoxin - "Adlermördergift". "Jetzt hatten wir endlich den Täter überführt, und sogar die Tatwaffe gefunden", sagt Susan B. Wilde.

    Eine beteiligte Arbeitsgruppe der tschechischen Akademie der Wissenschaften hat zudem bereits DNA-Abschnitte gefunden, die Erbinformationen für die Synthese des neuen Moleküls enthalten. Warum die Cyanobakterien auf den Wasserpflanzen das Gift bilden, ist jedoch nicht abschließend geklärt. Möglicherweise spielt dabei eines der Herbizide zur Bekämpfung der invasiven Wasserpflanze eine Rolle: Es enthält Bromid und stimuliert so möglicherweise die Bildung des Gifts.

    In Europa ist die Nervenkrankheit bisher nicht aufgetreten, es sind auch noch keine Vorkommen des Toxin-bildenden Cyanobakteriums bekannt.

    Die Studie wurde finanziert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die tschechische Wissenschaftsstiftung GAČR, das US Department of Interior, US Fish and Wildlife, die Florida Fish & Wildlife Conservation Commission, die Gulf States Marine Fisheries Commission, den National Institute of Food and Agriculture McIntire-Stennis Capacity Grant und die American Eagle Foundation.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Timo Niedermeyer
    Institut für Pharmazie
    Telefon: +49 345 55 25765
    E-Mail: timo.niedermeyer@pharmazie.uni-halle.de


    Originalpublikation:

    Breinlinger S. et al. Hunting the eagle killer: A cyanobacterial neurotoxin causes vacuolar myelinopathy. Science (2021). https://science.sciencemag.org/lookup/doi/10.1126/science.aax9050


    Bilder

    Cover von "Science"
    Cover von "Science"

    Reprinted with permission from AAAS

    Kolonien des Cyanobacteriums A. hydrillicola, die auf den Blättern der invasiven Wasserpflanze H. verticillata wachsen.
    Kolonien des Cyanobacteriums A. hydrillicola, die auf den Blättern der invasiven Wasserpflanze H. ve ...
    Susan Wilde
    UGA


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Chemie, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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    Kolonien des Cyanobacteriums A. hydrillicola, die auf den Blättern der invasiven Wasserpflanze H. verticillata wachsen.


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