idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
06.04.2021 12:26

Schwer verlaufende Hirnvenen- und Sinusthrombosen gehören auf die Neuro-Intensivstation! Stellungnahme der DGNI

Kerstin Aldenhoff Pressestelle
Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin

    Der COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca sorgt wegen möglicher Nebenwirkungen wie Hirnvenen- und Sinusvenenthrombosen für Verunsicherung. Auch wenn es bisher noch keine Klarheit über den kausalen Zusammenhang gibt, einige dieser Fälle jedoch sehr schwerwiegend verlaufen und lebensbedrohlich sein können, gibt die Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI) Hinweise zum Umgang mit der Situation. Dazu die Stellungnahme des Präsidenten der DGNI, Prof. Dr. med. Julian Bösel, Kassel.

    In den letzten Wochen häufen sich Berichte zu Hirnvenen- und Sinusthrombosen (CVST) im Zusammenhang mit der COVID-19 Schutzimpfung mit dem Impfstoff von AstraZeneca. Auch wenn der kausale Zusammenhang noch unklar ist und ein Teil der Diagnosen der ansonsten wegen fluktuierender oder unspezifischer Symptomatik oft verzögert oder gar nicht erkannten Erkrankung der erhöhten Aufmerksamkeit geschuldet sein mag, sind uns einige Hinweise zum Umgang mit der Situation sehr wichtig. Zwar ist noch nicht gänzlich zu verstehen, warum eine Impfungs-assoziierte Thromboseneigung vor allem die Hirnvenen betreffen sollte oder warum deutliche regionale Unterschiede (z.B. kaum erhöhtes Auftreten in UK) zu bestehen scheinen, aber dies kann auch in Unterschieden im Bewusstsein, des Alters der geimpften Bevölkerung, der Symptomerkennung und der diagnostischen Aktivität begründet sein. Erste Erkenntnisse aus der Gerinnungsforschung legen als möglichen Pathomechanismus eine sogenannte Vakzine-induzierte prothrombotische Immunthrombozytopenie (VIPIT) nahe, bei der durch die Impfung immunvermittelt Antikörper gegen Thrombozytenantigene gebildet werden. In Analogie zur Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT) kann es so Fc-Rezeptor-vermittelt zu einer Thrombozytenaktivierung und Thrombose kommen.

    Hinsichtlich der Basis-Diagnostik und -Therapie sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:
    • Auftreten von Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit/Erbrechen, Anfällen meist 5-14 Tage nach der Impfung
    • Betroffen sind vor allem Frauen <55 Jahren
    Bei ausreichend eindeutigem klinischen Verdacht:
    • Diagnosesicherung möglichst mittels MRT und MR-Venografie
    • Labordiagnostik mit großem Blutbild inklusive Fragmentozyten; Gerinnung inklusive INR, aPTT, Fibrinogen, D-Dimere; klinische Chemie, LDH, Haptoglobin; HIT-Diagnostik*
    • Antikoagulation bei CVST-Nachweis und vor Ausschluss HIT nicht durch Heparin, sondern durch Argatroban, Danaparoid oder NOAK*
    • Bei positiver HIT-Diagnostik Applikation von intravenösen Immunglobulinen (IVIG) erwägen*
    • Die CVST ist ein Schlaganfall, daher mindestens Behandlung auf Stroke Unit
    Die DGN wird ihrerseits Empfehlungen zu diesem Thema herausgeben und auch eine zeitnahe Registerstudie zur Erlangung weiterer Erkenntnisse auf den Weg bringen. Hier sind die Empfehlungen der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung. Diese Situation einer immer noch sehr seltenen Nebenwirkung sollte keinesfalls zu einer generellen Angst vor COVID-19 Schutzimpfungen führen, hier ist den differenzierten Empfehlungen von PEI, STIKO, EMA und den Gesundheitsbehörden zu folgen.

    Besonders ist es uns als DGNI wichtig, zu betonen, dass einige dieser Fälle von CVST sehr schwerwiegend verlaufen und durch Komplikationen wie raumfordernde Stauungsinfarkte oder -blutungen, Hirnödem, epileptische Anfallsserien oder Status epilepticus lebensbedrohlich werden können. Während alle Patienten mit CVST auf einer Schlaganfall-Spezialstation (Stroke Unit) nach oben genannter Basistherapie zu behandeln sind, gilt für Patienten mit schwerem Verlauf zusätzlich:
    • Rechtzeitige Verlegung bzw. Aufnahme auf eine NeuroIntensivstation
    • Ggf. rechtzeitige Intubation und Beatmung
    • Ggf. Installation eines Neuromonitorings
    • Konsequente Behandlung epileptischer Anfälle
    • Serielle zerebrale Bildgebung
    • Bei raumforderndem Prozess rechtzeitig chirurgische Dekompression erwägen

    *Zu Details sei auf unten genannte Empfehlungen verwiesen. Die Situation ist im Fluss, weitere neue Erkenntnisse und Änderungen von Handlungsempfehlungen sind zu erwarten.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. med. Julian Bösel, FNCS
    Klinikum Kassel GmbH
    Klinik für Neurologie
    Mönchebergstr. 41-43
    34125 Kassel
    phone: +49 (0)561 980 / 40 51
    fax: +49 (0)561 980 / 69 79
    mail: julian.boesel@gnh.net


    Originalpublikation:

    https://gth-online.org/wp-content/uploads/2021/04/GTH-Stellungnahme-AstraZeneca_...

    https://www.dgho.de/publikationen/stellungnahmen/gute-aerztliche-praxis/coronavi...

    https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27000641/


    Weitere Informationen:

    http://www.dgni.de
    https://www.dgn.de/
    https://gth-online.org/
    https://www.pei.de/DE/home/home-node.html
    https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/stiko_node.html
    https://www.ema.europa.eu/en
    https://www.bundesgesundheitsministerium.de/


    Bilder

    DGNI-Präsident Prof. Dr. Julian Bösel
    DGNI-Präsident Prof. Dr. Julian Bösel

    Uniklinikum Kassel


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

    DGNI-Präsident Prof. Dr. Julian Bösel


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).