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09.04.2021 09:50

Entscheidung für Namensänderung

Dr. Franziska Ahnert Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Heinrich-Pette-Institut – Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie

    Aufarbeitung von Heinrich Pettes Wirken in der Zeit des Nationalsozialismus

    Hamburg. Das Heinrich-Pette-Institut, Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie (HPI) trägt seit 1964 den Namen seines Gründungsdirektors Prof. Dr. Heinrich Wilhelm Pette (1887-1964). Während Heinrich Pettes Leistungen als Forscher auf dem Gebiet der spinalen Kinderlähmung gut dokumentiert sind, war über sein Wirken zur Zeit des Nationalsozialismus bislang nur wenig bekannt. Nachdem sowohl aus dem HPI selbst als auch von außen Nachfragen dazu aufkamen, hat sich das Institut in einem intensiven Prozess mit der Thematik auseinandergesetzt und sich nun, basierend auf zwei Expertengutachten und den daraus gewonnenen Erkenntnissen, dafür entschieden, den Namen „Heinrich Pette“ in Zukunft nicht mehr zu tragen.

    Heinrich Pette trat im Jahr 1933 der NSDAP bei und gehörte zu den Unterzeichnern des Bekenntnisses der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat. Neben seiner Tätigkeit als Direktor der Neurologischen Universitätsklinik im Eppendorfer Krankenhaus (heutiges Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) war er zudem ab 1935 der zweite Vorsitzende der Gesellschaft deutscher Neurologen und Psychiater (GDNP). Vor diesem Hintergrund hat das HPI das Wirken von Heinrich Pette in den Jahren 1933 bis 1945 untersuchen lassen:

    Ein erstes durch das HPI beauftragtes Gutachten zur Stellung Heinrich Pettes im Nationalsozialismus durch den renommierten Medizinhistoriker Prof. Heinz-Peter Schmiedebach lieferte zunächst kein eindeutiges Bild zum Wirken Heinrich Pettes, da aufgrund eines sehr kurzen Bearbeitungszeitraums nur wenig Quellenmaterial gesichtet werden konnte. Daraufhin hat sich das Institut entschieden, einen ausführlichen Prozess der Aufarbeitung zu starten und im Jahr 2015 die Koordination eines zweiten Gutachtens an Prof. Axel Schildt, dem damaligen Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH), sowie an den Historiker Prof. Malte Thießen zu übergeben. Ziel war es, eine feste und kritikfreie Grundlage für die zukünftige Verwendung des Namens Heinrich Pette herbeizuführen. Im Ende 2020 überarbeiteten und nun vorliegenden finalen Gutachten sind drei Ergebnisse besonders hervorzuheben:

    1. Als Facharzt für Neurologie war Heinrich Pette als Gutachter an Erbgesundheitsverfahren im Sinne des Gesetzes zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses beteiligt. In verhältnismäßig vielen Fällen sprach sich Heinrich Pette für Sterilisierungen aus (in sieben seiner 15 bisher ermittelten Gutachten): Zwei Patienten meldete Heinrich Pette dem Erbgesundheitsgericht und beantragte ihre Sterilisierung. In fünf weiteren Gutachten befürwortete er die Sterilisierung: aufgrund der Diagnose Epilepsie, einmal basierend auf der Diagnose einer Schizophrenie sowie in einem Fall aufgrund eines „chronischen Alkoholismus“. Auf Basis der NS-Ideologie galten diese Krankheitsbilder als „erblich“. Wissenschaftlich war das Konzept umstritten. Achtmal lehnte Pette, bisweilen im Gegensatz zu anderen Gutachtern, die Sterilisation ab.

    2. Weiter verdeutlicht das Gutachten, dass Heinrich Pette nicht direkt an „Euthanasie“-Taten beteiligt war. Trotz intensiver Forschungen in Archiven konnten keine Belege für Begleitforschungen Heinrich Pettes an Opfern der „Euthanasie“ gefunden werden. Klar ist allerdings die Mitwisserschaft Heinrich Pettes von „Euthanasie“-Verbrechen. Dafür sprechen seine Arbeit im Beirat des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Hirnforschung und seine Kontakte mit mehreren Verantwortlichen für „Euthanasie“-Verbrechen. Darüber hinaus hat Heinrich Pette seine Mitwisserschaft nach 1945 selbst mehrfach bestätigt. Seine Kontakte zu einem nach dem Krieg unter falscher Identität praktizierenden Mitorganisator der Krankenmorde waren 1961 Gegenstand eines Untersuchungsausschusses des Schleswig-Holsteinischen Landtags.

    3. Das Gutachten zeigt, dass Heinrich Pette trotz seiner NSDAP-Parteimitgliedschaft wohl kein überzeugter Nationalsozialist war. Vielmehr lässt er sich eher in die Kategorie der „Mitläufer“ einordnen, die aus privaten oder beruflichen Vorteilen in die Partei eingetreten sind, ohne vollständig hinter der gesamten Ideologie zu stehen.

    Die in 1964 erfolgte Umbenennung des Instituts zur Erforschung der spinalen Kinderlähmung in Heinrich-Pette-Institut für Experimentelle Virologie und Immunologie an der Universität Hamburg basierte auf den bedeutsamen wissenschaftlichen Leistungen Heinrich Pettes auf dem Gebiet der Virologie und insbesondere im Bereich der Polioforschung. Nach wie vor gilt Heinrich Pette als zentraler Akteur bei der Einführung der Polioimpfung in der Bundesrepublik Deutschland sowie als international anerkannter und richtungsweisender Experte auf diesem Gebiet.

    „Das genau ist es, was die Auseinandersetzung mit der Person Heinrich Pette so schwer gemacht hat: Wie viele Lebensläufe seiner Zeit lässt sich sein Wirken nicht einfach in reines Schwarz oder Weiß unterscheiden, sondern es gibt viele Zwischentöne. Der Auseinandersetzung mit dieser Ambivalenz – seine Leistungen in der Wissenschaft und als Gründungsdirektor des Instituts auf der einen Seite und seine Entscheidungen in den Erbgesundheitsverfahren auf der anderen Seite – mussten wir uns als Institut, das seinen Namen trägt, stellen“, erläutert der Wissenschaftliche Direktor des HPI Prof. Thomas Dobner.

    Angesichts der Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus ist das Tragen des Namens einer Persönlichkeit, die in jener Zeit in prominenter Funktion in der Medizin gewirkt hat, kaum kritikfrei möglich. „Mit Blick auf eine zukunftsgerichtete und internationale Ausrichtung, erscheint der großen Mehrheit von uns der Name ‚Heinrich Pette‘ für das Institut als nicht mehr angemessen und kompatibel", erklärt Prof. Thomas Dobner.
    Nach vielen ausführlichen Diskussionen mit dem Kuratorium sowie unter Einbeziehung des Kollegiums und mehreren auf diesem Gebiet etablierten und renommierten Historikern, möchte das Institut den Namen „Heinrich Pette“ in Zukunft nicht mehr führen und hat die Umbenennung beschlossen.

    Katja Linke, Administrative Direktorin des HPI, ergänzt: „Die Aufarbeitung der Geschichte Heinrich Pettes war ein langer und intensiver Weg: Die beteiligten Historiker haben uns mit ihren Gutachten eine wertvolle Basis für die Auseinandersetzung mit der zukünftigen Namensverwendung geliefert, auf deren Grundlage sich das Institut für die Ablegung des Namens entschieden hat.“

    Die Entscheidung für die Umbenennung wird auch durch Prof. Matthias Kleiner, dem Präsidenten der Leibniz-Gemeinschaft, unterstützt: „Die rückblickende Beurteilung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern muss immer auch die zeitgeschichtlichen Kontexte ihres Wirkens berücksichtigen. So zeichnen die Gutachten zur Rolle Heinrich Pettes im Nationalsozialismus ein Bild von Opportunismus und Mitwisserschaft, ethisch fragwürdiger Gutachtertätigkeit, aber gleichzeitig wissenschaftlicher Leistungen und Verdienste. Die Ehre, Namensträger eines Leibniz-Instituts und somit ein besonderes Vorbild für nachfolgende Generationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu sein, lässt sich mit dieser Belastung und Ambivalenz nicht vereinbaren. Deshalb begrüße ich die verantwortungsvolle Aufarbeitung der Institutsgeschichte und die daraus gezogenen Konsequenzen.“

    Auch die Hamburger Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank stimmt dem zu: „Die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit im Nationalsozialismus ist in allen Bereichen des öffentlichen Lebens von zentraler Bedeutung – und ein wichtiger Bestandteil unserer Demokratie. Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass sich das HPI in einem langjährigen Prozess umfassend und kritisch mit seinem Namengeber und dessen Rolle im NS-Staat auseinandergesetzt hat. Dass das Institut sich mit großer Mehrheit für eine Namensänderung entschieden hat, ist eine wichtige Grundlage für die nun gestartete Namensfindung. Der neue Name wird stellvertretend für die weiterhin exzellenten Forschungsleistungen am Institut stehen.“

    Ein Namensfindungsprozess ist initiiert und soll bis Ende 2022 umgesetzt werden. Im Anschluss können die notwendigen Schritte zum endgültigen Vollzug der Namensänderung durchgeführt werden. Bis zum Abschluss dieses Prozesses präferiert das Institut die Bezeichnung nach dem zweiten Teil des ursprünglichen Namens „Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie“ (HPI).

    Das Gutachten sowie eine kurze Darstellung und Einordnung der wichtigsten Ergebnisse sind auf der Instituts-Webseite veröffentlicht und können dort eingesehen werden: https://www.hpi-hamburg.de/de/das-hpi/geschichte/heinrich-pette-die-ns-zeit/


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Thomas Dobner, Wissenschaftlicher Direktor
    Thomas.Dobner@leibniz-hpi.de
    Tel.: 040/48051-301

    Katja Linke, Administrative Direktorin
    Katja.Linke@leibniz-hpi.de
    Tel.: 040/48051-102


    Weitere Informationen:

    https://www.hpi-hamburg.de/de/das-hpi/geschichte/heinrich-pette-die-ns-zeit/


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Geschichte / Archäologie, Medizin
    überregional
    Organisatorisches, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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