Forschende der Universitäten Bern und Konstanz sowie der FernUni Schweiz zeigen, dass grosse Langweile und geringe Selbstkontrolle mit mehr Schwierigkeiten von Schülerinnen und Schülern im Homeschooling während der COVID-19-Pandemie zusammenhängen. Diese Ergebnisse decken sich mit weiteren Befunden und theoretischen Arbeiten des Forschungsteams, die zeigen, dass grosse Langeweile und geringe Selbstkontrolle eine geringere Einhaltung der pandemiebedingten Verhaltensrichtlinien vorhersagen.
In aktuellen theoretischen Forschungsarbeiten wird argumentiert, dass Langeweile und Selbstkontrolle eine wichtige gemeinsame Rolle bei der Steuerung zielgerichteten Verhaltens zukommt und dass diese beiden psychologischen Konstrukte während der COVID-19-Pandemie von besonderer Relevanz sind. Konkret wird angenommen, dass die Tendenz sich häufig und schnell zu langweilen das Befolgen der pandemiebedingten Verhaltensrichtlinien erschwert. Zudem wird angenommen, dass die Tendenz Selbstkontrolle aufzubringen den Umgang mit diesen Schwierigkeiten erleichtert und somit eine Schutzfunktion hat.
Ein Team aus Forschenden der Universitäten Bern und Konstanz sowie der FernUni Schweiz hat diese theoretischen Vorhersagen in mehreren Studien untersucht. In einer ersten Studie, für die 895 erwachsene US-amerikanische Personen befragt wurden, fanden die Forschenden empirische Unterstützung für diese Vorhersagen und konnten die Befunde in einer weiteren Studie mit 574 US-amerikanischen Erwachsenen prospektiv über den Zeitraum von einer Woche replizieren. Überdies zeigen die Forschenden auch die besondere Wichtigkeit spezifischer Selbstkontroll-Strategien auf (sogenannte Wenn-Dann-Pläne). Mit einer Befragung von 138 Schweizer Schülerinnen und Schülern zwischen 6 und 21 Jahren konnten die Forschenden darüber hinaus zeigen, dass Schwierigkeiten im Homeschooling mit grosser Langeweile und geringer Selbstkontrolle zusammenhängen. Für das Einhalten der COVID-19-Verhaltensrichtlinien scheinen Langeweile und Selbstkontrolle somit tatsächlich robuste Einflussfaktoren zu sein.
Der Einfluss von Langeweile und Selbstkontrolle im Homeschooling
Das weitgehend selbstorganisierte Lernen und Arbeiten im Homeschooling stellt zusätzliche Anforderungen an die Selbstkontrolle und an den effektiven Umgang mit Langeweile. «Verglichen mit dem typischen Unterricht in der Klasse ist es plausibel, dass das Homeschooling den Schulstoff als langweiliger erscheinen lässt, weil mehr verlockende Ablenkungen verfügbar sind. Schülerinnen und Schüler im Homeschooling sind daher möglicherweise in besonderem Masse von der Pandemie und den einhergehenden Beschränkungen betroffen», sagt Wanja Wolff, Studien-Mitautor vom Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Bern. Es bedürfe entsprechend mehr Selbstkontrolle, um den Schulstoff dennoch zu bearbeiten.
In ihrer Studie zu Homeschooling kommen die Forschenden zu dem Schluss, dass Langeweile und Selbstkontrolle mit den selbstberichteten Schwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler während des Homeschoolings in der Tat zusammenhängen: Hohe Selbstkontrolle ging mit geringeren Schwierigkeiten und mit einer besseren Umsetzung der Aufgaben im Homeschooling einher. Bei Langeweile wurde der umgekehrte Zusammenhang gefunden: Grosse Langeweile ging mit vermehrten Schwierigkeiten und einer schlechteren Umsetzung der Aufgaben einher. Damit bestätigten die Ergebnisse der Studie abermals theoretische Annahmen zur Relevanz von Selbstkontrolle und Langeweile für das Verhalten.
Geringerer Einfluss von Langeweile und Selbstkontrolle im Klassenraum
Interessante Ergebnisse förderte eine Analyse der gleichen Fragestellung zu Schwierigkeiten beim Lernen im Klassenraum zutage: Hier war die Neigung zur Langeweile kein statistisch bedeutsamer Prädiktor mehr. Auch der Zusammenhang von Selbstkontrolle mit den Schwierigkeiten beim Lernen war geringer ausgeprägt. «Eine vorsichtige Interpretation dieses Befunds ist, dass das strukturiertere Umfeld des Klassenraums mit Lehrkräften, Mitschülerinnen und Mitschülern sowie mit etablierten Regeln die Anforderungen hinsichtlich Selbstkontrolle und dem Umgang mit Langeweile für die Schülerinnen und Schüler reduziert», sagt Wanja Wolff. Dies erleichtere den Schülerinnen und Schülern offenbar, sich den Schulstoff effizienter anzueignen.
Langeweile während der Pandemie ernst nehmen
Die Ergebnisse aller Studien deuten zusammenfassend darauf hin, dass Langweile und Selbstkontrolle wichtige Einflussfaktoren für den individuellen Umgang mit den Herausforderungen der Pandemie sind. Während die Wichtigkeit von Selbstkontrolle in der psychologischen Forschung schon fest etabliert ist, ist die Relevanz von Langeweile bislang erstaunlich wenig beforscht. «Die neu gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass Langeweile sowohl für Erwachsene als auch für Schülerinnen und Schüler den Umgang mit der Pandemie erschwert», sagt Wanja Wolff. Besonders hervorzuheben sei der umgekehrte Zusammenhang zwischen Langeweile und Selbstkontrolle: Personen mit hoher Neigung zur Langeweile berichten häufig eine geringere Selbstkontrolle. Übertragen auf die aktuelle Pandemie könnte das bedeuten, dass es Personen, denen es aus Langweile schwerer fällt, sich an die Verhaltenseinschränkungen zu halten, auch häufig an der nötigen Selbstkontrolle mangelt, um mit den durch Langeweile ausgelösten Impulsen wirksam umzugehen.
«Schlussfolgerungen für den Schulalltag könnten daher sein, die Homeschooling-Situation möglichst ablenkungsfrei zu gestalten und den Gebrauch einfacher Selbstregulationsstrategien einzuüben», sagt Psychologe Wanja Wolff und ergänzt: «Allgemein sollte insbesondere Personen mit stärkerer Tendenz zur Langeweile besonders unterstützend zur Seite gestanden werden».
Dr. Wanja Wolff
Universität Bern, Institut für Erziehungswissenschaft, Abteilung für Pädagogische Psychologie
E-Mail: wanja.wolff@edu.unibe.ch, Twitter: @WolffWanja
Tel.: Telefonische Auskunft kann per E-Mail vereinbart werden
Martarelli, Corinna S.; Pacozzi, Simona G.; Bieleke, Maik; Wolff, Wanja (2021): High Trait Self-Control and Low Boredom Proneness Help COVID-19 Homeschoolers. In: Frontiers in psychology 12, S. 594256. DOI: 10.3389/fpsyg.2021.594256.
https://www.unibe.ch/aktuell/medien/media_relations/medienmitteilungen/2021/medi...
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Pädagogik / Bildung, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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