Eine neue Studie der ESMT Berlin zeigt auf, wie digitale Märkte zu Monopolen werden und bietet wichtige Erkenntnisse für politische Entscheidungsträger, die nach einer besseren Regulierung von digitalen Märkten streben und eine Monopolisierung verhindern wollen.
Die Studie von Özlem Bedre-Defolie, Professorin an der ESMT, und Rainer Nitsche, Direktor bei E.CA Economics und Research Fellow an der ESMT, berücksichtigt aktuelle Forschungserkenntnisse und viele Fallbeispiele, um die wichtigsten Marktmerkmale zu identifizieren, die Monopolisierungstendenzen in digitalen Plattformmärkten begünstigen und solche, die sie abschwächen. Als Ergebnis wird ein einfacher Leitfaden entwickelt, der in der kartellrechtlichen Praxis dabei unterstützen kann, das sogenannte „Tipping“ zu verhindern.
Die Autoren stellen fest, dass es mehrere Gründe gibt, warum Märkte mit mehrseitigen Plattformen (MSPs) in ein Monopol „kippen“ – so wie in Europa die allgemeinen Suchmärkte zu Gunsten von Google und viele Social-Media-Plattformmärkte zu Gunsten von Facebook gekippt sind. Ein Grund für diese Monopolisierungstendenzen sind Markteintrittsbarrieren, die durch positive Netzwerkeffekte innerhalb einer Nutzergruppe entstehen. Bei vielen digitalen Märkten, wie etwa sozialen Netzwerken und Suchmaschinen, steigen die Vorteile der Nutzung einer Plattform mit der Anzahl der Nutzenden: Je mehr Menschen Google nutzen, desto leistungsfähiger werden die Suchalgorithmen. Je mehr Menschen Facebook nutzen, desto interessanter und wertvoller werden die Inhalte. Dies führt zu einer Markteintrittsbarriere für neue Wettbewerber und beschränkt das Wachstum von bestehenden Wettbewerbern, die aufgrund geringerer Nutzerzahlen nicht über gleichwertige positive Netzwerkeffekte verfügen.
Die Autoren schlagen vor, die für die Wertschöpfung eines MSP zentralen Netzwerkeffekte zu identifizieren. Sie argumentieren, dass eine Monopolisierung wahrscheinlicher ist, wenn die Leistungen, die diesen Netzwerkeffekten zugrunde liegen, kostenlos sind – so wie es bei vielen Suchdiensten und sozialen Netzwerken der Fall ist. Dies erklärt auch, warum Monopolisierungstendenzen bei solchen Plattformmärkten, in denen die zentralen Netzwerkeffekte durch das Zusammenbringen von zwei Seiten generiert werden, von denen mindestens eine die Leistungen bezahlen muss, oft weniger ausgeprägt sind. Dies gilt beispielsweise für Job-Matching-, Dating- und Immobilienplattformen.
Neben positiven Netzwerkeffekten und kostenloser Nutzung erleichtern Single-Homing (Nutzung nur einer Plattform) und hohe Wechselkosten die Monopolisierung in MSP-Märkten. Die Autoren stellen fest: "MSP-Märkte wie Ridesharing, Musik- und Video-on-Demand-Streaming, Lieferdienste und Dating-Apps sind häufig noch nicht gekippt, und die Wettbewerbsbehörden müssen diese genau beobachten, um eine Monopolisierung zu vermeiden."
Führende Plattformen können die Kippwahrscheinlichkeit beeinflussen. Politische Entscheidungsträger müssen daher die Strategien von Plattformen, die das Single-Homing erhöhen und den Wechsel zu Konkurrenten teurer machen, sorgfältig prüfen, betonen die Autoren. So könnten beispielsweise Exklusivitätsverträge mit beliebten Produktverkäufern oder Inhaltsanbietern das Kippen erleichtern, indem sie den Wettbewerbsvorteil von etablierten Anbietern mit starker Marktpräsenz verstärken. Ebenso können Plattformen, die personalisierte Dienste (wie Empfehlungssysteme, Reputationsmechanismen), langwierige Anmeldeprozesse und kostenlose Dienste anbieten, das Kippen erleichtern, indem sie die Kosten der Nutzenden für den Wechsel zu konkurrierenden Plattformen erhöhen. Demgegenüber identifizieren die Autoren auch Faktoren, die das Kippen abschwächen. Dazu gehören negative Netzwerkeffekte (wie der Wettbewerb zwischen Verkäufern auf einer E-Commerce-Plattform), "lokale" Netzwerkeffekte (wie lokale Essenslieferungen, Immobilienmärkte), Multi-Homing, Differenzierung zwischen Plattformen (zum Beispiel durch die sorgfältige Auswahl von Anbietern von Produkten oder Dienstleistungen auf einer Seite des Marktes) und Innovationen.
Die Autoren stellen ein Prüfschema vor, mit dem Regulierer und politische Entscheidungsträger die Wahrscheinlichkeit eines Kippens beurteilen können. Das Schema verwendet vier relevante Fragen, deren Beantwortung bei der Einschätzung hilft: Gibt es Faktoren, die den Wert einer wachsenden mehrseitigen Plattform schmälern? Gibt es Faktoren, die kleineren Plattformen die Gewinnung von weiteren Nutzern erleichtern? Oder diese kleineren Plattformen zumindest für einige Nutzer attraktiv machen? Sind in einem Markt Plattformen aktiv, die von Aktivitäten oder einer starken Position in einem anderen Plattformmarkt profitieren?
Politische Entscheidungsträger wollen sicherstellen, dass der Wettbewerb effektiv bleibt. Allerdings ist die Identifizierung von Märkten, die wahrscheinlich kippen werden, eine anspruchsvolle Aufgabe. "Die Wettbewerbsbehörden sind zunehmend besorgt, dass ihre Instrumente nicht geeignet sind, um mit Märkten umzugehen, die digitale mehrseitige Plattformen haben", sagt Rainer Nitsche. "Die Herausforderung für die politischen Entscheidungsträger wird darin bestehen, ein Kippen zu vermeiden, und gleichzeitig die vielen Vorteile von mehrseitigen Plattformen zu erhalten."
Die vier Schlüsselfragen, die die Autoren vorschlagen, können politische Entscheidungsträger und Wettbewerbsbehörden wie die Europäische Kommission dabei unterstützen, Märkte, die kurz vor dem Kippen stehen, zu identifizieren. Dies ist eine Voraussetzung dafür, die Monopolisierung zu stoppen, bevor sie eintritt.
Diese Studie wurde im Journal of European Competition Law & Practice veröffentlicht.
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