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12.05.2021 11:00

Verstehen ohne Worte - dem Ursprung der Sprache einen Schritt näher

Fabienne Salfner Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS)
Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin e.V. (GWZ)

    Lautmalereien könnten die entscheidende Rolle bei der Entstehung der menschlichen Sprache gespielt haben. Darauf deuten die Ergebnisse einer weltweit durchgeführten Studie eines internationalen Forscherteams unter der Leitung von Expert:innen des Leibniz-Zentrums Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS), Berlin und der University of Birmingham hin.

    Nicht nur Gesten, sondern auch Lautmalereien könnten ein wesentlicher Baustein für die Entstehung der menschlichen Sprache gewesen sein. Das zeigen die Ergebnisse einer Studie mit knapp 1000 Teilnehmer:innen aus 28 Sprachen.

    In der gegenwärtigen Forschung zur Evolution der Sprache wird generell angenommen, dass unsere Vorfahren sich vor allem mit Hilfe von ikonischen Gesten verständigten, (zum Beispiel mit den Armen schlagen für ‘Vogel’) und dass sich daraus die ersten menschlichen Sprachen entwickelt haben. Der Übergang von einer Verständigung mit Gesten zu einer Verständigung mit hörbaren Worten in diesem Prozess ist jedoch unklar. Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Expert:innen des Leibniz-Zentrums Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS), Berlin und der University of Birmingham hat nun herausgefunden, dass ikonische Vokalisierungen, also Lautmalereien, die bestimmte Lebewesen, Gegenstände, Handlungen oder Eigenschaften beschreiben, eine viel größere Bandbreite an Bedeutungen haben und diese viel akkurater vermitteln können als bisher angenommen wurde.

    Die Wissenschaftler:innen untersuchten, ob Sprecher:innen ganz unterschiedlicher Sprachen überall auf der Welt 30 verschiedene Bedeutungen anhand von Lautmalereien verstehen können. Dafür wurden Bedeutungen gewählt, die in allen Kulturen vorkommen und die in der frühen Sprachevolution relevant gewesen sein könnten.
    Die Bedeutungen umfassten Lebewesen, insbesondere Menschen und Tiere (Kind, Mann, Frau, Tiger, Schlange, Hirsch), unbelebte Gegenstände und Zustände (Messer, Feuer, Stein, Wasser, Fleisch, Frucht), Handlungen (sammeln, kochen, verstecken, schneiden, jagen, essen, schlafen), Eigenschaften (stumpf, scharf, groß, klein, gut, schlecht), Quantifizierer (eins, viele) und Demonstrativpronomen (dies, das).

    Die Ergebnisse der Studie sind jetzt in “Scientific Reports” veröffentlicht worden. Es hat sich gezeigt, dass die von englischen Sprechern produzierten Lautmalereien von Studienteilnehmer:innen mit ganz unterschiedlichem kulturellen und sprachlichen Hintergrund verstanden werden konnten. An der Studie haben Sprecher:innen von 28 Sprachen aus 12 Sprachfamilien teilgenommen, darunter auch Gruppen aus Kulturen ohne Schriftsprache wie Palikúr, die im Amazonaswald leben, und Sprecher:innen des Daakie auf der Insel Ambrym im südpazifischen Vanuatu. Unabhängig vom Sprachhintergrund erfassten die Studienteilnehmer:innen die beabsichtigten Bedeutungen der Lautmalereien mit einer Treffsicherheit, die weit über dem reinen Zufall liegt.

    "Bisher nahm man an, dass sichtbare Gesten die wesentlichen Bausteine für die Entstehung menschlicher Sprache lieferten. Unsere Studie beweist, dass Sprache auch aus Lautmalereien entstanden sein kann. Die relativ eindeutigen Ergebnisse waren für mich verblüffend", sagt Dr. Susanne Fuchs, Gruppenleiterin der Laborphonologie am ZAS, die gemeinsam mit der Doktorandin Aleksandra Ćwiek und zwei Kollegen aus Birmingham die Studie leitete.

    Aleksandra Ćwiek, Doktorandin am ZAS und der HU, kommentiert: "Unsere Ergebnisse zeigen, dass die akustische Domäne ein großes ikonisches Potential hat, welches es uns Menschen ermöglicht, sich ohne Sprache zu verständigen. Es ist etwas, was uns verbindet – von Japan bis an den Amazonas. Wir haben viel mehr gemeinsam als wir denken."

    Die Studie wurde einerseits als Online-Experiment durchgeführt, was es den Forscher:innen ermöglichte, eine große Anzahl unterschiedlicher Teilnehmer:innen auf der ganzen Welt zu testen. Andererseits konnten in einem Feldforschungsexperiment Sprecher:innen teilnehmen, welche in überwiegend mündlich geprägten Gesellschaften an entlegenen Orten leben, wie zum Beispiel auf der Insel Ambrym im südpazifischen Vanuatu.

    Die Forscher:innen fanden heraus, dass einige Bedeutungen durchgehend besser verstanden wurden als andere. Im Online-Experiment reichte die Genauigkeit von 98% für das Verb "schlafen" bis zu 35% für das Demonstrativpronomen "das". Am besten konnten die Teilnehmer:innen die Bedeutungen 'schlafen', 'essen', 'Kind', 'Tiger' und 'Wasser' erkennen, am schlechtesten die Bedeutungen 'das', 'sammeln', 'stumpf', 'scharf' und 'Messer'.

    Die Ergebnisse der Studie liefern klare Hinweise dafür, dass ikonische Vokalisierungen, also Lautmalereien, zu der Entstehung gesprochener Wörter geführt haben können. Die Forscher:innen gehen aber auch davon aus, dass ikonische Gesten ebenfalls eine entscheidende Rolle in der Evolution der menschlichen Kommunikation gespielt haben, wie es auch bei der modernen Entstehung von Gebärdensprachen der Fall ist. Unsere heutige gesprochene Sprache ist multimodal, sie kann daher aus hörbaren Lautmalereien und sichtbaren Gesten entstanden sein.

    An der Studie waren folgende Einrichtungen beteiligt: Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS), Berlin, Deutschland und University of Birmingham, Großbritannien sowie Humboldt-Universität zu Berlin, Deutschland; Ludwig-Maximilians-Universität, München, Deutschland; University of Tartu, Estland; Université Lumière Lyon 2, Frankreich; University of Helsinki, Finnland; Keio University, Tokyo, Japan; Universität Bielefeld, Deutschland; University of Wisconsin-Madison, USA; Konkuk University, Seoul, Süd Korea; Agnes Scott College, Decatur, USA; CNRS & Aix-Marseille Université, Aix-en-Provence, Frankreich; CNRS & Sorbonne Nouvelle, Paris, Frankreich; University of Southern Denmark, Odense, Dänemark; Hungarian Research Centre for
    Linguistics, Budapest, Ungarn; Istanbul Medipol University, Istanbul, Türkei und University of KwaZulu-Natal, Durban, Südafrika

    Über das Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS), Berlin

    Das ZAS ist ein außeruniversitäres Forschungsinstitut des Landes Berlin. Aufgabe des Zentrums ist die Erforschung der menschlichen Sprachfähigkeit im Allgemeinen und deren Ausprägung in Einzelsprachen. Ziel ist es, diese zentrale Fähigkeit des Menschen und ihre biologischen, kognitiven und sozialen Faktoren besser zu verstehen.

    Links zu Sounddateien - bitte mit Quellenangabe University of Birmingham:
    • ‘schneiden’ - https://mfr.osf.io/render?url=https://osf.io/ejzr9/?direct%26mode=render%26actio...
    • ‚Tiger‘ - https://mfr.osf.io/render?url=https://osf.io/euwyn/?direct%26mode=render%26actio...
    • ‘Wasser’ - https://mfr.osf.io/render?url=https://osf.io/85ysk/?direct%26mode=render%26actio...
    • ‘gut’ - https://mfr.osf.io/render?url=https://osf.io/7wrcy/?direct%26mode=render%26actio...

    Kontakt für Presseanfragen:

    Dr. Fabienne Salfner
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    salfner@leibniz-zas.de
    Tel: +49 176 27805112


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Aleksandra Ćwiek
    Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS), Berlin
    E-Mail: cwiek@leibniz-zas.de


    Originalpublikation:

    ‘Novel Vocalizations are Understood across Cultures’ - Aleksandra Ćwiek, Susanne Fuchs, Christoph Draxler, Eva Liina Asu, Dan Dediu, Katri Hiovain, Shigeto Kawahara, Sofia Koutalidis, Manfred Krifka, Pärtel Lippus, Gary Lupyan, Grace E. Oh, Jing Paul, Caterina Petrone, Rachid Ridouane, Sabine Reiter, Nathalie Schümchen, Ádám Szalontai, Özlem Ünal-Logacev, Jochen Zeller, Bodo Winter, and Marcus Perlman in Scientific Reports. https://doi.org/10.1038/s41598-021-89445-4


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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