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20.05.2021 11:01

Geschlechtsspezifische Rollenmodelle bei jungen Orang-Utans

Melanie Nyfeler Kommunikation
Universität Zürich

    Bei den Orang-Utans ist soziales Lernen Geschlechtersache: Junge Männchen schauen ihr Futtersuchverhalten bei eingewanderten Artgenossen ab, weibliche Jungtiere bei der Mutter. Sie entwickeln unterschiedliches ökologisches Wissen, um ihr Überleben zu sichern.

    Orang-Utans sind mit dem Menschen nahe verwandt. Allerdings sind sie untereinander deutlich weniger gesellig als andere Menschenaffenarten. Frühere Studien zeigten jedoch, dass Jungtiere ihr Wissen und ihre Fertigkeiten hauptsächlich von ihren Müttern und auch von anderen Tieren übernehmen. Soziales Lernen findet bei Orang-Utans durch anhaltendes Beobachten von Artgenossen aus nächster Nähe statt, dem sogenannten Peering.

    Ein internationales Team unter Leitung der Universität Zürich (UZH) hat nun das Peeringverhalten von Orang-Utan-Jungtieren an zwei Forschungsstationen in Sumatra und Borneo untersucht. Die Daten wurden von Forschenden des Anthropologischen Instituts der UZH, des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie Konstanz, der Universitas Nasional Jakarta und der Universität Leipzig erhoben. In rund 13 Jahren wurden über 3’100 einzelne Peering-Situationen mit insgesamt 50 Jungtieren beobachtet.

    Geschlechtsspezifische Rollenmodelle

    Die Resultate der Studie zeigen, dass sich weibliche und männliche Jungtiere signifikant in der Wahl ihrer Rollenmodelle unterscheiden: Junge männliche Orang-Utans orientieren sich mit zunehmendem Alter in ihrer Entwicklung nicht mehr an ihrer Mutter, sondern an eingewanderten adulten Männchen oder an eingewanderten Jugendlichen beider Geschlechter. Weibliche Jungtiere hingegen zeigen ein durchgehend hohes Interesse am Verhalten ihrer Mutter, also an einem maternalen Rollenmodell. Ist dieses nicht verfügbar, dienen auch lokal ansässige ausgewachsene Weibchen und jungendliche Tieren beiderlei Geschlechts als Vorbilder.

    Interessanterweise entwickeln sich diese Unterschiede in einer Entwicklungsphase, in dem die Jungtiere noch durchgehend mit ihren Müttern unterwegs sind. Die Mütter ihrerseits unterscheiden sich nicht in ihren Assoziationsmustern, wodurch sie den weiblichen und den männlichen Jungtieren dieselben Lernmöglichkeiten bieten. «Die beiden Geschlechter nutzen die gebotenen Möglichkeiten einfach anders», erklärt Letztautorin Caroline Schuppli von der Universität Zürich und vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. «Die unterschiedlichen Rollenmodelle spiegeln sich auch im sozial erlernten Wissen der Jungtiere ab: Weibchen entwickeln ein ähnliches Nahrungsmuster wie ihre Mütter, Männchen dagegen eignen sich vergleichswiese mehr Wissen ausserhalb der Repertoires der Mutter an.»

    Sesshaftigkeit versus Auswanderung

    Diese Unterschiede sind sowohl auf das Erlernen von ökologisch relevantem Wissen wie auch auf geschlechtsspezifisches Verhalten zurückzuführen. Beim Eintritt der Geschlechtsreife verlassen Orang-Utan-Männchen ihren Geburtsort, um mehrere Jahrzehnte lang durch verschiedene Gebiete zu ziehen. Da sich diese Regionen in ihrer ökologischen Nahrungsvielfalt unterscheiden, ist es für männliche Jungtiere von Vorteil, sich ein möglichst breites Wissensrepertoire anzueignen.

    Weibliche Jungtiere hingegen bleiben ihrem Geburtsort treu. Für sie zahlen sich möglichst tiefe Kenntnisse des lokalen Gebietes aus. «Zudem vermuten wir, dass sich männliche Jungtiere von adulten Männchen geschlechtsspezifisches ökologisches Verhalten abschauen. Erwachsene Männchen sind nicht nur deutlich grösser als Orang-Utan-Weibchen, sie unterscheiden sich auch in diversen Aspekten ihres Futtersuch- und Fressverhaltens», so Schuppli.

    Soziales Lernen zentral für die menschliche Entwicklung

    Die Studienresultate unterstreichen die Bedeutung des sozialen Lernens für die Entwicklung der Jungtiere. Dass soziales Lernen bei den semi-solitären Orang-Utans eine zentrale Rolle in der Entwicklung einnimmt, deutet darauf hin, dass dies auch bei anderen Menschenaffen von zentraler Bedeutung ist. Daraus lässt sich schliessen, dass sich die menschliche Fähigkeit des sozialen Lernens kontinuierlich in der Evolution entwickelt hat. Die Resultate dieser Studie dürften überdies für neue Artenschutzstrategien relevant sein, insbesondere bei der Wiederauswilderung von Hand aufgezogener verwaister Orang-Utans.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Caroline Schuppli
    Anthropologisches Institut und Museum
    Universität Zürich
    und Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie
    Tel. +41 44 635 54 16
    E-Mail: caroline.schuppli@uzh.ch


    Originalpublikation:

    Literatur:
    Beatrice Ehmann, Carel P. van Schaik, Alison M. Ashbury, Julia Mörchen, Helvi Musdarlia, Suci Utami Atmoko, Maria A. van Noordwijk, Caroline Schuppli. Immature wild orangutans acquire relevant ecological knowledge through sex-specific attentional biases during social learning. PLOS Biology. May 19, 2021. DOI: 10.1371/journal.pbio.3001173


    Weitere Informationen:

    https://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2021/Rollenmodelle-Orang-Utan.htm...


    Bilder

    Unterschiedliche Rollenmodelle: Weibchen entwickeln ein ähnliches Nahrungsmuster wie ihre Mütter, Männchen dagegen erweitern es.
    Unterschiedliche Rollenmodelle: Weibchen entwickeln ein ähnliches Nahrungsmuster wie ihre Mütter, Mä ...
    (Bild: Julia Kunz)
    (Bild: Julia Kunz)

    Soziales Lernen nimmt bei den semi-solitären Orang-Utans eine zentrale Rolle in der Entwicklung ein.
    Soziales Lernen nimmt bei den semi-solitären Orang-Utans eine zentrale Rolle in der Entwicklung ein. ...
    (Bild: Guilhem Duvot)
    (Bild: Guilhem Duvot)


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Unterschiedliche Rollenmodelle: Weibchen entwickeln ein ähnliches Nahrungsmuster wie ihre Mütter, Männchen dagegen erweitern es.


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    Soziales Lernen nimmt bei den semi-solitären Orang-Utans eine zentrale Rolle in der Entwicklung ein.


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