idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
02.06.2021 17:00

COVID-19 als Systemerkrankung: Was bedeutet das für die Niere?

Dr. Bettina Albers Pressearbeit
Deutsche Gesellschaft für Nephrologie e.V. (DGfN)

    Der renale Tropismus bzw. Virusnachweis in Nierenzellen ist mit meist schweren Verläufen, mit vermehrten akuten Nierenschädigungen und einem früheren Versterben assoziiert – dennoch ist die direkte Rolle des Virus in der Niere nicht abschließend geklärt. Wesentlich für die akuten Nierenschädigungen (AKI) ist in jedem Fall die Gesamtsituation mit Pneumonie/ARDS, Zytokinen und Komplement, Hämodynamik/Ischämie und Hyperkoagulopathie/Mikroembolien. Auffällig ist dabei die hohe AKI-Rate bei COVID-19 auch im Vergleich zu anderen Infektionserkrankungen.

    Es war relativ früh schon zu Beginn der Pandemie klar, dass SARS-CoV-2 ein breites Symptombild verursacht, neben typischen Atemwegssymptomen hatten Patienten beispielsweise auch neurologische Symptome (beginnend bei Geruchsstörungen) über gastrointestinale Symptome, Leberwerterhöhungen, Veränderungen in der Niere und dem Urin oder im Blutbild. Die Tatsache, dass sich solche Befunde nicht nur bei schwer Erkrankten mit allgemeiner Entgleisung der Organfunktionen fanden, legte insgesamt die Vermutung nahe, dass das Virus möglicherweise direkt in verschiedenen Organen Störungen verursachen kann, es sich also um eine Multisystemerkrankung handelt.

    In Hamburg war im Frühjahr 2020 behördlich durchgesetzt worden, dass bereits zu Beginn des Pandemiegeschehens verstorbene COVID-19-Patienten obduziert wurden, so dass eine der weltweit größten Autopsie-Datenbanken entstand, in der Daten zu allen Organsystemen gesammelt wurden. Insgesamt haben die Autopsien der Rechtsmedizin Hamburg die Grundlage für viele organbezogene COVID-19-Forschungsprojekte geschaffen.

    Eine der meistzitierten nephrologischen Arbeiten des letzten Jahres unter der Leitung von Prof. Tobias Huber, UKE Hamburg, zeigte [1], dass die Viruslast (gemessen an der Kopienzahl) bei Verstorbenen nach dem Respirationstrakt am zweithöchsten in den Nieren war, gefolgt von Herz und Leber, geringer auch im Blut und Gehirn. Mit dem Multiorgan- und Nierentropismus waren vor allem das hohe Alter und die Zahl der Komorbiditäten assoziiert.

    Die Nieren exprimieren viele sogenannter membranständiger Transportproteine (kodiert von „Faciliator Genen“), welche die virale Adhäsion und Invasion begünstigen. Die Virus-RNA wurde in Nierenzellen mittels verschiedener Techniken nachgewiesen, positive Befunde gab es dabei in verschiedenen Kompartimenten, beispielsweise sowohl tubulär (in den Nierenkanälchen, den Tubuli) als auch glomerulär (in den filternden Nierenkörperchen, den Glomeruli). Auch Virus-Proteine wurden in den verschiedenen Nierenkompartimenten mittels spezifisch entwickelter Immunfluoreszenz-Technik mit Antikörpern nachgewiesen.

    Insgesamt weisen die Studien aus Hamburg darauf hin, dass die Symptomvielfalt bei SARS-CoV-2-Infektionen auch mit dem breiten Organbefall durch das Virus in Verbindung stehen könnten.

    Assoziation des Organtropismus von SARS-CoV-2 mit akuten Nierenschädigungen

    Verglichen mit anderen Intensivpatienten mit schweren Infektionen bzw. Sepsis ist bei COVID-19 die Rate akuter Nierenschädigungen (AKI) deutlich höher (56,9 % versus 37,2 %) [10]. Eine Nierenersatztherapie benötigten 4,9 % versus 1,6 %. Eine Studie [3] an 5.216 US Veteranen mit COVID-19 zeigte eine AKI-Häufigkeit von durchschnittlich 32% − jeder Dritte entwickelte also ein akutes Nierenversagen − 12% benötigten eine Nierenersatztherapie (Dialyse) und bei fast der Hälfte (47%) hatte sich die Nierenfunktion bei der Entlassung nicht erholt. „Das sind dramatische Zahlen“, erklärte Professor Tobias Huber, UKE Hamburg auf der Eröffnungspressekonferenz des ERA-EDTA-Kongresses 2021. „Wir wissen aus großen AKI-Studien, dass einige Patienten, deren Nierenfunktion sich nach einem AKI nicht erholt, in eine chronische Nierenerkrankung übergehen. Das heißt, die Organfunktion wird im Verlauf immer schwächer.

    Ein AKI war assoziiert mit dem Risiko einer mechanischen Beatmung (OR 6,46), dem Sterberisiko (OR 6,71) und längerer stationärer Behandlung (OR 5,56). Prädiktoren des akuten Nierenversagens waren Alter, Adipositas, Diabetes mellitus, Hypertonie, Nierenfunktionseinschränkung (verminderte Filtrationsleistung/ eGFR), männliches Geschlecht und afroamerikanische Abstammung.

    Eine weitere große Autopsiestudie des Hamburger Teams um Prof. Huber [4] ging der Hypothese nach, dass möglicherweise der renale Tropismus eigenständig mit dem Outcome korreliert ist. Bei 63 Autopsien mit ähnlich hoher Komorbiditätsrate wie in anderen Studien gelang bei 60% in den Nieren ein direkter Virusnachweis. Dieser korrelierte ebenfalls mit Alter, Zahl der Begleiterkrankungen und männlichem Geschlecht. Die Zeit von der COVID-19-Diagnose bis zum Tod war signifikant kürzer, wenn das Virus in den Nieren nachweisbar war (ca. 14 versus 21 Tage). Auch war der renale Tropismus mit der Inzidenz des akuten Nierenversagens assoziiert: Von insgesamt 40 Patienten hatten 7/40 kein AKI (3/7 mit renalem Virusbefall) – gegenüber 33/40 Patienten mit AKI (23/33 mit Virusnachweis in der Niere). Aus bei den Autopsien gewonnenem Nierengewebe wurde das Virus aus Tubuluszellen isoliert und in anschließenden Zellinfektionsversuchen gezeigt, dass es sich um aktive bzw. replikationsfähige Viren handelt, die sich in 48 Stunden tausendfach vermehrten.

    Die Charakterisierung einzelner Immunzellen ergab darüber hinaus [5], dass gewebeständige TH17-Zellen eine wichtige Rolle bei der überschießenden Entzündungsreaktion (Hyperinflammation) im Gewebe spielen. Sie vermitteln Entzündungssignale via profibrotische und proinflammatorische Faktoren bzw. Zytokine wie Interleukin-1β, GM-CSF („granulocyte-macrophage colony-stimulating factor“), Interleukin 26, CCL5, TNFα oder Interleukin 21. „Diese Faktoren können auch als Biomarker dienen und Ziele für künftige Therapien darstellen“, so Professor Huber.

    [1] Victor G Puelles, Marc Lütgehetmann, Maja T Lindenmeyer et al. Multiorgan and Renal Tropism of SARS-CoV-2. N Engl J Med 2020; 383 (6): 590-592
    [2] Alexis Werion, Leila Belkhir , Marie Perrot et al. SARS-CoV-2 causes a specific dysfunction of the kidney
    proximal tubule. Kidney Int 2020; 98 (5): 1296-1307
    [3] Benjamin Bowe, Miao Cai, Yan Xie et al. Acute Kidney Injury in a National Cohort of Hospitalized US Veterans
    with COVID-19. Clin J Am Soc Nephrol 2020; 16 (1): 14-25
    [4] Fabian Braun, Marc Lütgehetmann, Susanne Pfefferle et al. SARS-CoV-2 renal tropism associates with acute
    kidney injury. Lancet 2020; 396 (10251): 597-598
    [5] Yu Zhao, Christoph Kilian, Jan-Eric Turner et al. Clonal expansion and activation of tissue-resident memory-like Th17 cells expressing GM-CSF in the lungs of severe COVID-19 patients. Sci Immunol 2021; 6 (56): eabf6692.

    DGfN-Pressestelle
    Dr. Bettina Albers
    Tel. 03643 7764-23/mobil 0174 2165629
    presse@dgfn.eu


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).