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02.06.2021 17:00

COVID-19: Spätfolgen für die Nieren sind erwartbar

Dr. Bettina Albers Pressearbeit
Deutsche Gesellschaft für Nephrologie e.V. (DGfN)

    Früh wurde erkannt, dass die Nierenwerte einen schweren COVID-19-Verlauf vorhersagen können [1]. Die S3-Leitlinien zur stationären Therapie [2] raten daher zur Bestimmung der Urin- und Nierenwerte schon in der Notaufnahme. Neu ist die Besorgnis, dass durch das Virus verursachte molekulare Gewebeveränderungen langfristig zu Nierenschäden führen könnten, und zwar nicht nur bei COVID-19-Patientinnen/-Patienten, die ein akutes Nierenversagen erlitten haben, sondern auch bei jenen, bei denen es während der Akuterkrankung zu Nierenwertentgleisungen kam. Da diese nicht immer erkannt wurden, unterstreichen Nierenexperten die Bedeutung der nephrologischen Nachsorge nach COVID-19.

    Die Nieren sind ein Zielorgan von COVID-19, sie werden bereits sehr früh im Verlauf in Mitleidenschaft gezogen. Genau darin liegt aber auch ein hohes prognostisches Potenzial: Bereits im letzten Frühjahr wurde die COVID-19-assoziierte Nephritis als frühes Warnsignal für schwere Verläufe der Infektionserkrankung erkannt und entsprechend publiziert [1]. Dazu hatte die Arbeitsgruppe um Professor Oliver Gross, Klinik für Nephrologie und Rheumatologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), in einer Studie 223 Patienten gescreent und davon 145 als Prädiktions-Kohorte eingeschlossen. Studien-Endpunkte waren Aufnahme auf die Intensivstation oder Tod. Im Ergebnis zeigten frühe, mittels Teststreifen einfach erfassbare Urinveränderungen einen schwereren COVID-19-Verlauf an. Kombiniert als Prädiktionssystem (Urin und Serummarker) konnte das Outcome vorhergesagt werden. „Die Nierenwerte sind somit ein Seismograf für den Verlauf einer COVID-19-Erkrankung“, erklärte Studienleiter Prof. Gross auf der Auftaktpressekonferenz des ERA-EDTA-Kongresses 2021.

    In der allgemeinen Handlungsempfehlung (S3-Leitlinie [2]) wurden Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19 erstellt, wo unter anderem zu lesen ist, dass „bei nachgewiesener Covid-19-Infektion und Notwendigkeit einer Hospitalisierung eine Urinuntersuchung (ggf. wiederholt) mit Bestimmung von Albuminurie, Hämaturie und Leukozyturie erfolgen sollte.“

    Doch die Nierenbeteiligung ist noch mehr als ein prognostischer Marker für den Erkrankungsverlauf. Sie ist ein sehr bedeutender Risikofaktor für die Mortalität: Mehrere Studien [3, 4] zeigten, dass es bei Patienten, die an COVID-19 erkranken, häufig schon frühzeitig im Verlauf zu einer Nierenbeteiligung kommt, d.h. zu einer Albuminurie (und/oder Hämaturie). Eine chinesische Studie [5] kam zu dem Ergebnis, dass die Nierenbeteiligung bei COVID-19-Patienten das Outcome der neuartigen Viruserkrankung dramatisch verschlechtert und die Mortalität um den Faktor 10 erhöht (1,25% der Patienten ohne Nierenbeteiligung verstarben vs. 11,2% der Patienten mit Nierenbeteiligung). Bislang war nur das Auftreten eines akuten Nierenversagens (AKI) als unabhängiger Prädiktor für die Mortalität bekannt [2], doch wie es scheint, sind bereits frühe Zeichen einer Nierenbeteiligung wie Eiweißverlust im Urin, Eiweißreduktion im Blut sowie der Verlust von Antithrombin III prognostisch bedeutsam [1].

    Das legt die Frage nahe, ob und welche spezifischen Langzeiteffekte nach COVID-19 auf die Nieren zu erwarten sind.
    Die Datenlage zum akuten Nierenversagen (AKI) ist relativ eindeutig: Beim AKI („acute kidney injury“) erholt sich die Nierenfunktion nach sieben Tagen, abzugrenzen davon sei die AKD („acute kidney disease“), bei der die Erholung der Nierenfunktion länger dauert, und zwar bis zu 90 Tage. Allerdings gebe es auch viele Patienten, bei denen sich die Nierenfunktion gar nicht erholt, sondern sich im weiteren Verlauf sukzessive verschlechtert, die also chronisch nierenkrank wurden. Kellum et al. [6] zeigten, dass sich bei insgesamt 41,2% der Patienten in den AKI-Stadien 2 und 3 letztlich keine Erholung der Nierenfunktion einstellte. Es kam selbst bei 14,7% von denen, die sich zunächst erholt hatten, zu Rückfällen und langfristiger Nierenfunktionseinschränkung. Die gleiche Arbeitsgruppe zeigte zudem, dass diese Patienten ein Jahr nach Erleiden des AKI ein deutlich schlechteres Outcome (Tod, Dialysepflichtigkeit) aufwiesen. Ähnliche Warnsignale erreichen uns nun zum chronischen Nierenschaden nach COVID-19 aus China [7]: „Wir können also sagen, dass gut die Hälfte der Patientinnen und Patienten, die ein AKI erleiden, im Nachgang chronisch nierenkrank werden. Diese Rate ist auch nach einem COVID-19-assoziierten AKI zu erwarten. Es ist wichtig, die Betroffenen in eine nephrologische Nachsorge zu bringen, damit durch eine adäquate Therapie der Nierenfunktionsverlust verlangsamt bzw. nach Möglichkeit aufgehalten wird“, erklärt Prof. Gross.

    Doch wie sieht es bei den Patientinnen/Patienten aus, die zwar kein akutes Nierenversagen durchgemacht haben, sondern „nur“ eine anfängliche Entgleisung der Nierenwerte? Auch hier rät der Experte zur Vorsicht und Nachbeobachtung: „Es laufen gerade Studien, deren Ergebnisse noch ausstehen, aber es wurden bereits molekulare SARS-CoV-2-assoziierte Gewebeveränderungen in verschiedenen Organen, in denen eine Virusreplikation nachgewiesen wurde, festgestellt.“ Insofern sei mit langfristigen Schädigungen der betroffenen Organe und Post-COVID-Entitäten zu rechnen.

    Wichtigstes Fazit des Göttinger Experten: „Die Niere muss in der COVID-19-Nachsorge neben den Lungen, Herz und dem Nervensystem im Zentrum stehen. Das ist umso wichtiger, da durch eine frühzeitige Behandlung der Nierenfunktionsverlust aufgehalten werden kann, gerade in den letzten Jahren sind dafür neue, effektive Therapien auf den Markt gekommen, wie z.B. die SGLT-2-Inhibitoren. Eine Dialysepflichtigkeit kann heutzutage sehr oft über Jahre, sogar Jahrzehnte hinausgezögert werden, wenn von Anfang an konsequent behandelt wird. Da Nierenerkrankungen erst sehr spät zu Symptomen führen, möchten wir Menschen, die eine COVID-19-Erkrankung durchgemacht haben, für die Möglichkeit von Langzeitfolgen auf die Nieren sensibilisieren. Es ist wichtig, dass der Hausarzt/die Hausärztin bei ihnen – ähnlich wie bei anderen Risikogruppen für Nierenerkrankungen wie etwa Patientinnen/Patienten mit Diabetes mellitus und Bluthochdruck – in regelmäßigen Abständen die Nierenwerte (GFR, Albumin im Urin) überprüft.“

    [1] Gross O, Moerer O, Weber M et al. COVID-19-associated nephritis: early warning for disease severity and complications? Lancet 2020; 395 (10236): e87-e88
    [2] Kluge S, Janssens U, Welte T et al. S3-Leitlinie - Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19. Stand: 17.05.2021. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/113-001LG.html
    [3] Li Z, Wu M, Guo J et al. Caution on Kidney Dysfunctions of 2019-nCoV Patients. medRxiv preprint doi: https://doi.org/10.1101/2020.02.08.20021212
    [4] Cheng Y, Luo R, Wang K, et al. Kidney impairment is associated with in-hospital death of COVID-19 patients. doi: https://doi.org/10.1101/2020.02.18.20023242
    [5] Pei G, Zhang Z, Peng J et al. Renal Involvement and Early Prognosis in Patients with COVID-19 Pneumonia. JASN May 2020, ASN.2020030276; DOI: https://doi.org/10.1681/ASN.2020030276
    [6] Kellum JA, Sileanu FE, Bihorac A et al. Recovery after Acute Kidney Injury. Am J Respir Crit Care Med 2017; 195 (6): 784-791
    [7] Huang C, Huang L, Wang Y, et al. 6-month consequences of COVID-19 in patients discharged from hospital: a cohort study. Lancet. 2021 Jan 16;397(10270):220-232. doi: 10.1016/S0140-6736(20)32656-8.

    DGfN-Pressestelle
    Dr. Bettina Albers
    Tel. +49 3643 7764-23/mobile +49 174 2165629
    presse@dgfn.eu


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    Medizin
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