idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
09.06.2021 10:55

Lebenswirklichkeit von Menschen schaffen: Architektur-Studierende entwerfen Ausbildungszentrum in Westafrika

Camilla Schulz Referat für Hochschulkommunikation und Marketing
HBC Hochschule Biberach

    Hilfe zur Selbsthilfe für Afrika, das Erreichen wirtschaftlicher Unabhängigkeit und das Bewirken langfristiger Veränderungen sind die Ziele des "Project Justine - Train the trainer e.V.". Indem jungen Einheimischen eine Ausbildung im Schneidern ermöglicht wird, können sie ihr Wissen weitergeben und sich selbst eine Existenz aufbauen. Das Projekt plant den Bau eines Ausbildungszentrums, das neben einem innovativen Bautypus und der Anpassung an die örtlichen klimatischen Begebenheiten auch zum Anknüpfungspunkt für die Dorfgemeinschaft werden soll. Architekturstudierende der Hochschule Biberach entwerfen gemeinsam mit ihrem Professor, Prof. Felix Schürmann, die Gebäude für dieses Dorf:

    „Es sollen Begegnungsräume entstehen, die Platz schaffen für einen Austausch zwischen Menschen und Kulturen. Wir wollen ein kleines Dorf mit vielen Hüttchen erstellen, die in ihren Funktionen auf dem Grundstück verteilt sind.“ Wenn Rowina Perner, Karlie Wasser, Katy Guth und Niclas Peter über ihr aktuelles Studierendenprojekt sprechen, wird sofort deutlich, wie viel Herzblut hinter ihrer Arbeit und Idee steckt. Die vier studieren im Bachelor Architektur an der Hochschule Biberach (HBC) und sind gemeinsam mit Prof. Felix Schürmann, Studiendekan Architektur, Teil des Projekts „The Project Justine – Train the trainer e.V.“, das in Benin, Westafrika, ein Ausbildungszentrum für junge Einheimische errichtet.

    Für die Teilnahme am Projekt haben die Studierenden nun sogar eine Auszeichnung erhalten: Sie haben es unter die 10 Gewinner-Teams des Wettbewerbs „Engagement hoch Zehn“ des Stifterverbands Deutschlandstipendium geschafft. Der Wettbewerb wurde ausgerufen, um StipendiatInnen in den Vordergrund zu rücken und ein Forum zur Präsentation ihrer ehrenamtlichen Projekte zu schaffen.

    Bildung und die Chance auf ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben sind hohe Güter, die längst nicht allen Menschen auf dieser Welt gegeben sind. In unterentwickelten Ländern erreicht nicht einmal die Hälfte der dort lebenden Kinder einen Grundschulabschluss – von der Möglichkeit, eine Ausbildung oder gar ein Studium zu beginnen, können viele Jugendliche nur träumen. Um dies zu ändern, entstand der Verein „The Project Justine – Train the trainer e.V.“ Das Projekt des Vereins besteht im Bau und Betrieb eines Ausbildungs- und Kulturzentrums in Natitingou im Norden von Benin. Junge Einheimische, die sonst kaum Zugang zu einem Beruf hätten, sollen dort Berufsausbildungen erhalten. Ziel ist es, dass sie durch eine Ausbildung ihr Leben selbst in die Hand nehmen und der weit verbreiteten Armut entkommen können. In einem ersten Schritt wird eine Schneiderausbildung angeboten, weitere handwerkliche Gewerke sollen folgen. „Train the trainer“ bildet dabei das Leitprinzip: Die Teilnehmer sollen nicht nur ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen können, sondern das erworbene Wissen als Ausbilder weitergeben. Dadurch werden die erworbenen Fertigkeiten multipliziert – nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe im besten Sinne.

    Das Berufs- und Ausbildungszentrum wird in zwei Bereiche gegliedert, die unterschiedlichen Nutzungen dienen. Arbeits- und Seminarbereich, sowie Wohn- bzw. Appartementbereich. Im Näh- und Seminarbereich ergänzen sich Nähatelier, Laden, Seminar- und Aufenthaltsbereiche zu einem vielseitig – auch veränderbar – zu nutzenden Raumkomplex. Arbeiten, lernen, präsentieren und gemeinsames Verbringen von Pausen und freier Zeit verknüpfen sich zu einem lebendigen Miteinander. Auch im Wohnareal bietet die Anordnung der Häuser sowohl individuelle Rückzugsmöglichkeiten als auch das gesellige Beisammensein in der offenen Küche und im lockeren Innenhof an. „Am Ende soll das Ganze als eine Einheit wahrgenommen und genutzt werden“, beschreibt Niclas Peter das Konzept.
    Bereits seit 2017 ist Professor Schürmann mit der Fakultät Architektur/Energie-Ingenieurwesen der Hochschule Biberach an dem Projekt beteiligt und arbeitet an den Entwürfen für das kleine Dorf. Der Architekt ist durch seine ehemalige Nachbarin, Rahmée Wetterich, die den Verein gegründet und ihrem Münchner Atelier „Noh Nee“ die erste Beniner Schneiderin ausgebildet hat, auf das Projekt aufmerksam geworden. Für die Studierenden ist es aus mehrerlei Hinsicht eine besondere Lehrveranstaltung. „Es ist ein Projekt in einem völlig anderen Kulturkreis und das tropische Klima erfordert eine spezielle Zusammensetzung von Baustoffen. Wir planen mit Materialien, von denen wir vorher gar nicht wussten, dass es sie gibt“, erzählt Niclas Peter. Gerade, dass die Studierenden noch nie vor Ort waren und die klimatischen Bedingungen selbst erlebt haben, stelle sie bei den Planungen vor Herausforderungen. Auf der einen Seite muss bei den Gebäuden die extreme Hitze mitbedacht werden. Auf der anderen Seite fällt viel Regen und die Häuser sollten von unten geschützt werden. Die fehlenden Eindrücke von vor Ort kompensieren sie vor allem durch Gespräche mit Einheimischen. „Hier müssen wir auf das Wissen der Menschen, die dort leben, vertrauen und mit unserem Wissen, das sie vielleicht nicht haben, ergänzen. Eine Vertrauensbasis entwickeln – das ist die Kunst in unserem Beruf“, erklärt Professor Schürmann. Die verwendeten Materialien müssen dem Wetter standhalten, regional und dauerhaft erhältlich sein, sowie die Einbindung örtlicher Handwerker erlauben. Alle Gebäude sollen auf einem Sockel aus Naturstein stehen, wodurch die darauf platzierten verputzten Außenwände aus „Lehm-Bullen“ vor Nässe geschützt werden. Die Dachkonstruktion besteht aus einer geschlossenen Staubdecke und einem Raumfachwerk aus Stahl mit aufliegendem Wellblech.

    Neben den architektonischen Besonderheiten, spielt für Karlie Wasser der soziale Hintergrund eine bedeutende Rolle: „Wir beschäftigen uns ganz intensiv mit dem sozialen Gefüge vor Ort und müssen uns überlegen, was will ich durch die Anordnung der Gebäude erreichen? Wie beeinflusst die Bauweise die Menschen, die in dem Dorf leben, lernen und arbeiten?“ Ein Gedankenstrang, der die Studierenden laut Professor Schürmann vor allem auch in ihrer Laufbahn als angehende ArchitektInnen weiterbringt: „Durch dieses Projekt lernen unsere Studierenden, dass sie etwas bewirken können und eine Verantwortung haben. Architektur trägt ganz wesentlich dazu bei, zu organisieren, wie Menschen miteinander in Kontakt treten. Hier im Studium kann man so viel bewegen und man merkt, das was ich mache, ist eine Zeit später Lebenswirklichkeit von Menschen.“
    „Wir wollen jetzt mit den Planungen so schnell wie möglich fertig werden, damit mit den Kalkulationen begonnen werden kann und dem Baubeginn im Herbst nichts mehr im Weg steht“, erläutert Rowina Perner. Die Studierenden befinden sich in den letzten Zügen der Planung und stimmen sich derzeit regelmäßig digital ab. Die Bauausführung des Projektes erfolgt in Kooperation und durch das CFL - Centre de Formation Liweitari – einer privaten und von Spenden getragenen Ausbildungsstätte, die sich neben den engagierten Zielen der beruflichen Ausbildung Jugendlicher der einheimische Baukultur verpflichtet fühlt. „Das i-Tüpfelchen wäre, wenn wir zu den Bauarbeiten nach Benin reisen könnten und das Projekt bis zum Ende begleiten dürfen. Das wächst einem schon ans Herz“, sind sich die angehenden ArchitektInnen einig. Stolz macht die vier vor allem, dass sie durch ihre Arbeit nachhaltig etwas in Benin verändern können. „Das Nähatelier ist nur der Anfang und hat den Anstoß für viele weitere Ideen und mögliche neue Jobs gegeben. Durch das Ausbildungszentrum haben die Einheimische die Chance, sich in Zukunft selbst zu finanzieren“, freut sich Rowina Perner


    Weitere Informationen:

    https://www.theprojectjustine.com/ The project Justine
    https://www.hochschule-biberach.de/studium/bachelorstudium/architektur Bachelor Architektur Hochschule Biberach
    https://www.nohneebenin.com/ Noh Nee Benin


    Bilder

    Gemeinsam an einem Tisch konnten die Architekturstudierenden Katy Guth, Niclas Peter, Rowina Perner und Karlie Wasser (von links oben nach rechts unten) leider nicht arbeiten. Die Entwürfe haben sie eigenständig im Homeoffice bearbeitet.
    Gemeinsam an einem Tisch konnten die Architekturstudierenden Katy Guth, Niclas Peter, Rowina Perner ...
    Privat/Hochschule Biberach
    Privat/Hochschule Biberach

    Justine Payarou war die erste Beninerin, die in München von Rahmée Wetterich und Marie Darouiche zur Schneiderin ausgebildet wurde. Sie gibt ihr Wissen nun in Benin weiter.
    Justine Payarou war die erste Beninerin, die in München von Rahmée Wetterich und Marie Darouiche zur ...
    The Project Justine
    The Project Justine


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Bauwesen / Architektur, Energie, Gesellschaft, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsprojekte, Kooperationen
    Deutsch


     

    Gemeinsam an einem Tisch konnten die Architekturstudierenden Katy Guth, Niclas Peter, Rowina Perner und Karlie Wasser (von links oben nach rechts unten) leider nicht arbeiten. Die Entwürfe haben sie eigenständig im Homeoffice bearbeitet.


    Zum Download

    x

    Justine Payarou war die erste Beninerin, die in München von Rahmée Wetterich und Marie Darouiche zur Schneiderin ausgebildet wurde. Sie gibt ihr Wissen nun in Benin weiter.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).