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16.06.2021 08:00

Experteninterview: „Die COVID-Impfung bringt die Krebsforschung voran“

Theresa Mair Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Medizinische Universität Innsbruck

    Von der Krebsimpfung Von der Krebsimpfung zur COVID-Impfung und zurück: Nicht zuletzt dank jahrzehntelanger Forschung an Impfstoffen gegen Krebs konnte die Covid-Impfung rasch auf den Weg gebracht werden. Warum die Krebsforschung von den Erkenntnissen der Corona-Massenimpfungen profitiert - sei es auf fachlicher oder auf behördlicher Ebene – erklärt Guido Wollmann, Krebsforscher am Institut für Virologie der Medizinischen Universität Innsbruck.

    Innsbruck, 16.6.2021
    Wie weit ist die Entwicklung von mRNA-Impfstoffen in der Krebsforschung gediehen?
    Guido Wollmann: Die drei bekannten mRNA-Impfstoffhersteller haben einen sehr starken, über Jahre gewachsenen Hintergrund in der Krebsimpfung. Ein Grund, weshalb die Corona-Impfstoffentwicklung so extrem schnell ging, liegt zum großen Teil daran, dass diese Vakzin-Technologien in der Krebstherapie schon weit fortgeschritten sind. Diese RNA-Plattformen, die dann individuell mit RNA-Schnipseln des Coronavirus oder eben auch von Tumormutationen ausgestattet werden können, waren schon über viele Jahre hinweg bei Tausenden Krebspatientinnen und Krebspatienten in klinischen Studien sehr gut charakterisiert.

    Inwieweit unterscheiden sich die Wirkprinzipien von mRNA-Impfstoffen zu Vektorimpfstoffen bei Krebs und Corona?
    G. Wollmann: In einen mRNA-Impfstoff gibt man eine sehr kurzlebige genetische Information und die eigene Körperzelle produziert damit ein Protein. Das kann die Information eines viralen Proteins sein, das kann aber auch jene eines veränderten Bestandteils eines körpereigenen Proteins sein, die einer Tumormutation. Man versucht dann nur jenen Bereich zu codieren, also in die Impfung zu packen, der den Bereich der Mutation umfasst. Das sind Tumorbestandteile, die nur vom Immunsystem wahrgenommen werden, selbst aber keine Funktion mehr haben. Das andere ist die Entwicklung von Vektorimpfstoffen. Für die Anwendung in der COVID-Impfung werden diese Viren fast komplett entkernt, mit einem kleinen Bestandteil der genetischen Information des COVID-Virus befüllt – hier als DNA Stück anstatt RNA – und als Fähre benutzt. Der Körper erkennt das entkernte Virus trotzdem noch als Virus und generiert neben einer gegen Corona gerichteten auch eine Anti-Vektor-Antwort. Bei den onkolytischen, also den krebsabtötenden Viren, ist das anders. Sie werden nicht entkernt, weil sie sich im Tumor – und nur im Tumor – vermehren sollen. Onkolytische Viren werden oftmals direkt in den Tumor injiziert, wo sie den Krebs selbst angreifen und zugleich eine Entzündung auslösen, die das Immunsystem auf den Tumor aufmerksam macht.

    Bringt der Einsatz der COVID-19-Impstoffe die Krebsforschung wiederum voran?
    G. Wollmann: Ja, sehr wohl. All die sehr wichtigen, aber auch strengen, regulatorischen Prozesse stellen für die großen Firmen im Prozess der klinischen Testphasen und der Zulassung eine Hauptlast dar. Da hilft es, wenn man nicht von Tausenden, sondern von millionenfacher Anwendung dieser neuartigen biologischen Therapie-Plattformen berichten kann. Jetzt hat man zusätzliche Argumente bezüglich der Sicherheitsprofile. Diese Massenimpfungen nehmen sehr viele der Bedenken gegen diese neuartigen Therapien. Auch im Upscaling-Prozess, also bei der Aufrüstung der Betriebsanlagen zur Herstellung großer Mengen Impfstoff, haben wir nun einen großen Vorlauf. Das ist ein wichtiger Zukunftsbonus für die Krebsvakzin-Entwicklung.

    Profitiert die Krebsforschung auch auf fachlicher Ebene?
    G. Wollmann: Die Forschung an Vektor-basierten Krebstherapien - also sowohl Krebsvakzinen, als auch onkolytischen Viren - kann insbesondere von den immunologischen Wechselwirkungen zwischen der Immunreaktion gegen das Ziel-Antigen, also das Corona- oder Tumorprotein, und der Anti-Vektor-Immunantwort lernen. Ein verwandtes und sehr aktuelles weiteres Thema wäre auch die nun intensiv untersuchte Anwendung von COVID-Mischimpfungen. Dieses Prinzip wird bereits seit über zehn Jahren in der experimentellen Krebstherapie verfolgt und die weltweit laufenden Studien zu diesem Ansatz werden sicherlich auch die gemischte Anwendung von Krebsvakzinen befördern. Man bekommt klinische Daten zur Reaktion des Körpers auf die Impfstoff-Kombinationen und man kann Parallelen ziehen.

    Für COVID-19-Vektorimpfstoffe werden Adenoviren verwendet, die ebenso bei onkolytischen Viren zum Einsatz kommen. Wie reagiert das Immunsystem darauf?
    G. Wollmann: Jeder Mensch ist ständig Adenoviren ausgesetzt. Das sind die klassischen, milden Erkältungsviren. Sie generieren eine sehr starke, aber keine langfristige Immunität. Es gibt jedoch sehr viele Adenovirus-Unterarten. Bei den vier in verschiedenen Teilen der Welt zugelassenen Adenovirus-basierten COVID-Vektorimpfstoffen, benutzen die Hersteller oftmals unterschiedliche Adenoviren-Subtypen, die eher sehr selten oder gar nicht beim Menschen vorkommen, um eine bereits bestehende Immunität gegen diese Vektoren zu umgehen. In der Tumortherapie hat sich gezeigt, dass die intravenöse Gabe von onkolytischen Adenoviren nur sehr selten zu den gewünschten Reaktionen im Tumorgewebe führt, was zu einem großen Teil dieser gewissen Vorimmunität gegen bestimmte Adenoviren geschuldet ist. Daher werden das onkolytische Adenovirus sowie andere onkolytische humane Viren, bei denen eine hohe Wahrscheinlichkeit dieser bestehenden Immunität vorliegt, direkt in den Tumor gespritzt.

    Impfungen haben Nebenwirkungen. Wie gut verträglich ist eine Krebs-Impfung?
    G. Wollmann: Grundsätzlich gilt im Vergleich zur Chemotherapie, dass das Nebenwirkungsprofil von Krebsvakzinen oder onkolytischen Viren wesentlich geringer ist. Man hat Behandlungsreaktionen, die Teil der Immunantwort sind, die im Körper getriggert wird. Dabei handelt es sich um grippeähnliche Symptome, die man entwickeln kann. Bei den RNA-Anwendungen ist es so, dass sie generell als sehr sicher gelten. Die extrem selten beschriebenen, starken allergischen Reaktionen sind der Nanopartikelhülle zuzuschreiben, der Schutzblase in der sich die RNA befindet. Nach genauerer Untersuchung dieser Fälle hat sich herausgestellt, dass diese besondere allergische Reaktion nur jene Leute betrifft, bei denen es eine allergische Vorgeschichte gegen einen Bestandteil dieser Nanopartikel, nämlich den Stabilisator Polyethylenglykol (PEG), gab. Die Betroffenen zeigten bereits Antikörper gegen diesen Bestandteil. Wenn es mit der Impfung zu einer Injektion von PEG kommt, kann dies zu einer allergischen Reaktion führen.

    Gibt es schon zugelassene Verfahren zur viralen Tumor-Therapie?
    G. Wollmann: 2015 wurde ein Meilenstein erreicht, als das erste onkolytische Virus zur Behandlung des schwarzen Hautkrebses in den USA und in Europa zugelassen wurde.
    Das auf einem modifizierten Herpesvirus basierende „T-Vec“ bringt bei einem gewissen Teil der Patienten sehr gute Behandlungserfolge. Die Ansprechrate liegt in etwa in dem Bereich, in dem auch die so genannten Checkpoint-Inhibitoren (Immuntherapie-Form, Anm.) die Krebstherapie revolutioniert haben. Ansprechen heißt in vielen Fällen nicht nur eine Verlängerung des Überlebens, sondern oft auch eine langfristige Kontrolle des Tumors bis hin zur Heilung. Denn zum einen infizieren sie hochspezifisch die Krebszellen in den behandelten Tumoren und zerstören diese. Andererseits lösen sie eine sehr starke Immunantwort auch gegen den Tumor aus und verhindern so die Wiederkehr des Tumors an anderen Stellen des Körpers. Das ist das große Versprechen dieser onkolytischen Viren. Mittlerweile sind fast alle klinischen Studien zu onkolytischen Viren kombiniert mit der Immuntherapie.

    Steckbrief:
    Guido Wollmann hat in Berlin Medizin studiert. Er arbeitete an der Yale-University (USA) an der Entwicklung einer onkolytischen Virentherapie gegen das Glioblastom, eine Form des Gehirntumors. Seit Ende 2014 führt Wollmann seine Forschung am Institut für Virologie an der Medizinischen Universität Innsbruck weiter, wo er das Christian-Doppler-Labor für Virale Immuntherapie von Krebs leitet.

    Medienkontakt:
    Medizinische Universität Innsbruck
    Public Relations und Medien
    Theresa Mair
    Innrain 52, 6020 Innsbruck, Austria
    Telefon: +43 512 9003 71833
    public-relations@i-med.ac.at, www.i-med.ac.at

    Details zur Medizinischen Universität Innsbruck
    Die Medizinische Universität Innsbruck mit ihren rund 2.100 MitarbeiterInnen und ca. 3.300 Studierenden ist gemeinsam mit der Universität Innsbruck die größte Bildungs- und Forschungseinrichtung in Westösterreich und versteht sich als Landesuniversität für Tirol, Vorarlberg, Südtirol und Liechtenstein. An der Medizinischen Universität Innsbruck werden folgende Studienrichtungen angeboten: Humanmedizin und Zahnmedizin als Grundlage einer akademischen medizinischen Ausbildung und das PhD-Studium (Doktorat) als postgraduale Vertiefung des wissenschaftlichen Arbeitens. An das Studium der Human- oder Zahnmedizin kann außerdem der berufsbegleitende Clinical PhD angeschlossen werden.
    Seit Herbst 2011 bietet die Medizinische Universität Innsbruck exklusiv in Österreich das Bachelorstudium „Molekulare Medizin“ an. Ab dem Wintersemester 2014/15 kann als weiterführende Ausbildung das Masterstudium „Molekulare Medizin“ absolviert werden.

    Die Medizinische Universität Innsbruck ist in zahlreiche internationale Bildungs- und Forschungsprogramme sowie Netzwerke eingebunden. Schwerpunkte der Forschung liegen in den Bereichen Onkologie, Neurowissenschaften, Genetik, Epigenetik und Genomik sowie Infektiologie, Immunologie & Organ- und Gewebeersatz. Die wissenschaftliche Forschung an der Medizinischen Universität Innsbruck ist im hochkompetitiven Bereich der Forschungsförderung sowohl national auch international sehr erfolgreich.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr.med. Guido Wollmann
    Institut für Virologie
    Tel.: +43 512 9003 71742
    E-Mail: Guido.Wollmann@i-med.ac.at


    Weitere Informationen:

    https://www.i-med.ac.at/virologie/ Institut für Virologie am Department für Hygiene, Mikrobiologie und Public Health der Medizin Uni Innsbruck
    https://www.cdg.ac.at/forschungseinheiten/labor/virale-immuntherapie-von-krebs Christian-Doppler-Labor für Virale Immuntherapie an der Medizin Uni Innsbruck


    Bilder

    Guido Wollmann leitet das Christian-Doppler-Labor für Virale Immuntherapie
    Guido Wollmann leitet das Christian-Doppler-Labor für Virale Immuntherapie
    T. Mair
    MUI


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

    Guido Wollmann leitet das Christian-Doppler-Labor für Virale Immuntherapie


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