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17.06.2021 11:59

Von Pandemien bis zum Klimawandel: Die Erforschung des kollektiven Verhaltens muss „Krisendisziplin“ werden

Frank Aischmann Kommunikation, Marketing und Veranstaltungsmanagement
Humboldt-Universität zu Berlin

    Internationale Forschergruppe: Unsere Fähigkeit, globalen Krisen zu begegnen, hängt davon ab, wie wir interagieren und Informationen austauschen.

    Soziale Medien und andere Formen der Kommunikationstechnologie haben die Art und Weise, wie Informationen auf globaler Ebene fließen, radikal umgestaltet. Die Plattformen werden weiterentwickelt, um Beteiligung und Rentabilität zu maximieren, nicht um Nachhaltigkeit oder korrekte Informationen zu gewährleisten. Das macht diese Systeme anfällig für Fehlinformationen und Desinformation, was eine ernste Bedrohung für die Gesundheit, die Demokratie oder auch das globale Klima darstellt.

    Niemand, nicht einmal die Plattformbetreiber selbst haben tieferes Verständnis dafür, wie sich ihre Entscheidungen auf das kollektive Verhalten der Menschen auswirken, argumentiert eine internationale Forschergruppe in ihrem Artikel „Stewardship of global collective behavior“, der in der Fachzeitschrift PNAS erschienen ist.

    „Die Interaktionen in den sozialen Netzwerken, zum Beispiel welche Inhalte einem Nutzer vorgeschlagen werden, das steuern Algorithmen“, erklärt Dr. Pawel Romanczuk vom Institut für Biologie der Humboldt-Universität. „Diese Algorithmen wurden nur mit dem Ziel entwickelt, dem entsprechenden Unternehmen möglichst hohe Werbeeinnahmen zu bescheren. Sie sind darauf ausgelegt, Nutzer möglichst stark auch emotional zu fesseln, damit sie möglichst viel Zeit auf den verschiedenen Plattformen verbringen. Die Algorithmen sind geheim, und es ist überhaupt nicht klar, welchen Einfluss sie auf unsere Gesellschaft haben, und inwieweit sie zur einer extremen politischen Polarisierung führen können."

    "Wir haben Technologien entwickelt und eingeführt, die das Verhalten auf globaler Ebene verändern, ohne dass eine Theorie darüber vorliegt, was passieren wird, oder eine abgestimmte Strategie, um eintretende Schäden zu reduzieren", ergänzt Joseph B. Bak-Coleman, Hauptautor und Post-Doktorand am Center for an Informed Public der University of Washington.

    Als Konsequenz schlagen die Forscher vor, dass das Studium des kollektiven Verhaltens zu einer "Krisendisziplin" aufsteigen muss, ähnlich wie Medizin, Naturschutz oder die Klimawissenschaft.
    „Es bedarf dringend einer globalen, kollaborativen, interdisziplinären Forschungsanstrengung, um die Konsequenzen der Wechselwirkung von komplexen Selbstorganisationsprozessen und neuen Technologien wie Social Media besser zu verstehen und vorhersehen zu können“, so Dr. Pawel Romanczuk. „Die Erstürmung des Kapitols in der US-Hauptstadt Washington am 6.Januar 2021 oder kollektiven Effekte im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sind nur zwei markante Beispiele für die Rolle von Selbstorganisationphänomenen in jüngster Vergangenheit.“

    Während der Corona-Pandemie waren Betreiber von Social Media-Plattformen nicht in der Lage, die "Infodemie" von Fehlinformationen einzudämmen, die die öffentliche Akzeptanz von Pandemie-Kontrollmaßnahmen wie dem Tragen von Masken oder massenhafte Tests behinderte.
    Kollektives Verhalten und andere komplexe Systeme sind zerbrechlich. Werden sie gestört, neigen komplexe Systeme dazu, eine begrenzte Widerstandsfähigkeit zu zeigen, gefolgt von plötzlichen, katastrophalen, und oft irreversiblen Veränderungen, schreiben die Autoren.
    Um mittelfristig (wie beim Corona-Virus) und langfristig (z.B. bei Klimawandel oder der Nahrungsmittelsicherheit) eine Katastrophe abzuwenden, sind schnelle und effektive kollektive Verhaltensreaktionen erforderlich. Noch ist jedoch unbekannt, ob die menschliche soziale Dynamik solche Reaktionen hervorbringen wird.

    "Wir haben einzelne Studien darüber gesehen, wie die Desinformation über den Klimawandel sogar in den Mainstream-Medien überrepräsentiert wird, und Studien, die zeigen, dass dieses Problem in den digitalen Medien nur noch schlimmer wird", sagte Co-Autorin Jennifer Jacquet, eine außerordentliche Professorin für Umweltstudien an der New York University.

    Steige das Studium des kollektiven Verhaltens zu einer "Krisendisziplin" auf, könne es Politikern und Regulierungsbehörden verwertbare Erkenntnisse für die Verwaltung sozialer Systeme liefern.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Pawel Romanczuk
    Collective Information Processing Group
    Institut für Biologie
    Humboldt Universität zu Berlin
    mail: pawel.romanczuk@hu-berlin.de


    Originalpublikation:

    https://dx.doi.org/10.1073/pnas.2025764118


    Bilder

    Anhang
    attachment icon PM HU: Erforschung des kollektiven Verhaltens muss „Krisendisziplin“ werden

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Politik, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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