Themen von DNA-Viren über Lernen im Visual Computing bis zu Fragen der Arbeits-, Bildungs- und Fluchtmigration / Insgesamt rund 47,4 Millionen Euro für erste Förderperiode
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) richtet 13 neue Forschungsgruppen ein. Dies beschloss der Hauptausschuss der DFG während der virtuell abgehaltenen DFG-Jahresversammlung am 6. Juli 2021 auf Empfehlung des Senats. Die neuen Forschungsgruppen erhalten insgesamt rund 47,4 Millionen Euro inklusive einer 22-prozentigen Programmpauschale für indirekte Kosten aus den Projekten. Unter den Forschungsgruppen sind auch drei, die im Rahmen der Lead-Agency-Vereinbarung mit dem österreichischen Fonds für wissenschaftliche Forschung (FWF) oder dem luxemburgischen Fonds National de la Recherche (FNR) gefördert werden.
Die Förderdauer der Verbünde richtet sich nach dem Zeitpunkt, zu dem die erste Skizze für einen Förderantrag eingereicht wurde. Forschungsgruppen, deren Antragsskizzen seit 1. Oktober 2018 eingereicht wurden, werden maximal zweimal vier Jahre gefördert; dies gilt für neun der jetzt eingerichteten Forschungsgruppen. Vier Verbünde basieren noch auf einer Antragsskizze, die vor dem 1. Oktober 2018 eingegangen ist; sie werden mit einer Laufzeit von zweimal drei Jahren gefördert.
Zusätzlich zu den 13 Einrichtungen wurde die Verlängerung von neun Forschungsgruppen für eine zweite Förderperiode beschlossen, darunter wiederum zwei, die im Rahmen der Lead-Agency-Vereinbarung mit dem luxemburgischen FNR gefördert werden.
Forschungsgruppen ermöglichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sich aktuellen und drängenden Fragen ihrer Fachgebiete zu widmen und innovative Arbeitsrichtungen zu etablieren. Im Ganzen fördert die DFG damit zurzeit 173 Forschungsgruppen, 14 Klinische Forschungsgruppen und 13 Kolleg-Forschungsgruppen. Klinische Forschungsgruppen sind zusätzlich durch die enge Verknüpfung von wissenschaftlicher und klinischer Arbeit charakterisiert, während Kolleg-Forschungsgruppen speziell auf geistes- und sozialwissenschaftliche Arbeitsformen zugeschnitten sind.
Die 13 neuen Verbünde im Einzelnen
(in alphabetischer Reihenfolge der Hochschulen der Sprecherinnen und Sprecher)
Schmerzen im unteren Rückenbereich (lower back pain, LBP) gehören zu den häufigsten muskuloskelettalen Erkrankungen. Die Aufklärung der zugrunde liegenden Mechanismen ist von großer medizinischer und sozioökonomischer Relevanz. Die interdisziplinäre Forschungsgruppe „Die Dynamik der Wirbelsäule: Mechanik, Morphologie und Bewegung für eine umfassende Diagnose von Rückenschmerzen“ will hier grundlegend neue Erkenntnisse mit Implikationen für Diagnose und Therapie gewinnen. Dazu vereint das Konsortium Forscherinnen und Forscher der Biomechanik, Orthopädie und Unfallchirurgie, Trainings- und Bewegungswissenschaften, Anästhesiologie, und Psychologie. (Sprecher: Professor Dr. Hendrik Schmidt, Charité – Universitätsmedizin Berlin)
Welche Strategien nutzen DNA-Viren während einer Neuinfektion, um die zelluläre Genexpression zu manipulieren, zu umgehen oder für ihre Zwecke ausnutzen? Das ist Thema der Forschungsgruppe „Disrupt – Evade – Exploit: Steuerung der Genexpression und Wirtsantwort durch DNA-Viren (DEEP-DV)“. Mit besonderem Fokus auf der spezifischen Kernumgebung und dem Zustand der Wirtszelle will sie die Kontrollmechanismen akuter und chronischer DNA-Virusinfektionen besser verständlich machen und damit langfristig zur Entwicklung neuer Therapiestrategien beitragen. (Sprecherin: Professorin Dr. Melanie Brinkmann, TU Braunschweig)
Die Psychiatriegeschichte ist eine Geschichte des Gegensatzes von „normal“ und „verrückt“. Das Konzept wird jedoch brüchig, wenn etwa durch die Öffnung der psychiatrischen Anstalten und Integration der Insassinnen und Insassen in die Gesellschaft einerseits das Verrückte alltägliche Normalität gewinnt und andererseits Phänomene wie Rausch, Stress oder Aufmerksamkeitsdefizit pathologisiert werden. Bewährte Narrative der Psychiatriegeschichtsschreibung verlieren so ihre Deutungskraft. Hier setzt die zusammen mit dem luxemburgischen FNR geförderte Forschungsgruppe „NORMAL#VERRÜCKT. Zeitgeschichte einer erodierenden Differenz“ an, um diese Tendenzen als Ressource für die Zeitgeschichte nutzbar zu machen. (Sprecher: Professor Dr. Heiner Fangerau, Universität Düsseldorf)
Der soziale Wandel bleibt nicht folgenlos für die sozialen und politischen Orientierungen von Individuen. Die zunehmende politische Entfremdung und Polarisierung sowie neue soziale Konfliktlinien stellen bestehende Systeme der Ressourcenallokation infrage. Ausgehend von einem dezidiert multidimensionalen Ansatz zur Sozialstruktur will die Forschungsgruppe „Rekonfiguration und Internalisierung von Sozialstruktur (RISS)“ diese Komplexität in einer Kombination aus Sozialstrukturanalyse und Politischer Soziologie adäquat untersuchen. Ziel ist die Entwicklung einer Theorie zur Erklärung soziostruktureller Prägung von individuellen und kollektiven Orientierungen. (Sprecherin: Professorin Dr. Daniela Grunow, Universität Frankfurt/Main)
Die statistische Auswertung riesiger Datenmengen wird immer wichtiger. Die hierzu verwendeten Verfahren und Arbeitsschritte sind aber oft nicht zwangsläufig optimal aufeinander abgestimmt oder mit äußeren Faktoren (verteilter/begrenzter Speicherplatz, limitierte Rechenleistung, Datenschutz etc.) kompatibel. Die gemeinsam mit dem österreichischen FWF geförderte Forschungsgruppe „Mathematische Statistik im Informationszeitalter – Statistische Effizienz und rechentechnische Durchführbarkeit“ will sich der Herausforderung im Hinblick auf vorverarbeitete Daten und die den Analysen zugrunde liegenden statistischen Modelle widmen. Dafür müssen mathematische Grundlagen und deren algorithmische Formulierung vielfach neu erarbeitet werden. (Sprecherin: Professorin Dr. Angelika Rohde, Universität Freiburg)
Die Verwendung von behandeltem Abwasser zur Bewässerung in der Landwirtschaft dient der Ressourcenschonung, birgt aber auch Risiken. So können Schadstoffe aktiviert werden, die wegen früherer Bewässerung mit unbehandeltem Abwasser im Boden lagern. Zur Beurteilung von Ausmaß und Relevanz dieser Risiken fehlt bislang jedoch die Grundlage. Hier setzt die Forschungsgruppe „Interaktionen von Schadstoffen, Antibiotikaresistenz und Pathogenen in einem sich ändernden Abwasserbewässerungssystem“ an. Analysiert werden auch die Interaktionen zwischen dem Verhalten unterschiedlicher Schadstoffe und Bakterien, wobei es insbesondere auch um den weitgehend unbekannten Zusammenhang zwischen Mobilität der Antibiotika und dem horizontalen Gentransfer in Böden geht. (Sprecher: Professor Dr. Jan Siemens, Universität Gießen)
Die permanente Veränderung unserer Umgebung erfordert ein Höchstmaß an flexiblem Verhalten und immer neue Strategien der Anpassung, wofür der präfrontale Cortex (PFC) unseres Gehirns verantwortlich zeichnet. Der Abbau dieser Fähigkeiten bildet den Kern vieler Krankheiten. Die gemeinsam mit dem österreichischen FWF geförderte interdisziplinäre Forschungsgruppe „Aufschlüsselung präfrontaler Netzwerke der kognitiven Flexibilität“ will neuronale Mechanismen identifizieren, die flexibles Verhalten über Speziesgrenzen und Lebensspannen hinweg bestimmen, und den Zusammenhang zwischen Fehlverschaltungen und krankheitsrelevanten Kriterien aufdecken. (Sprecherin: Professorin Dr. Ileana L. Hanganu-Opatz, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf)
Neurone sind hochpolarisierte Zellen, die über Synapsen kommunizieren, zu deren Struktur und Funktion eine Vielzahl von Proteinen beitragen. Dies führt an den Synapsen, dem Schauplatz der Neurotransmission, zu einer hohen Dynamik: Spezialisierte Prozesse des Austauschs und der Erneuerung von Proteinen sind erforderlich. Wie dies lokal an der Präsynapse reguliert wird und wie der vernetzte Prozess – die Proteostase – dabei funktioniert, ist eine zentrale, bisher nur fragmentarisch beantwortete Frage der Zellbiologie. Die Forschungsgruppe „Membrantransportprozesse zur Regulation präsynaptischer Proteostase“ sucht jetzt nach Antworten. (Sprecher: Dr. Michael R. Kreutz, Leibniz-Institut für Neurobiologie, Magdeburg)
Der Einsatz von maschinellen Lernmethoden hat das Feld der grafischen Informationsverarbeitung (Visual Computing) geradezu revolutioniert. Trotz aller Fortschritte bleibt der Einsatz künstlicher neuronaler Netze in praktischen Anwendungen weiterhin eine Herausforderung, da das Lernen mit realen Daten aufwendig und kompliziert ist. An dieser Stelle setzt die Forschungsgruppe „Lernen und Simulieren im Visual Computing“ an und widmet sich der Entwicklung neuer Simulations- und Lerntechniken. Das übergeordnete Ziel ist, ein besseres Verständnis vom Zusammenhang zwischen simulierten und realen Trainingsdaten zu erlangen und somit zu verstehen, welche Merkmale den größten Einfluss auf die Wirksamkeit des Lernprozesses haben. (Sprecher: Professor Dr.-Ing. Matthias Niessner Ph.D., TU München)
Die Forschungsgruppe „Militärische Gewaltkulturen – Illegitime militärische Gewalt von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart“ zielt auf die Schließung eines wichtigen Desiderats sowohl der Militärgeschichtsschreibung als auch der Gewaltforschung: Auf welche Weise und in welchem Ausmaß bildeten sich von der Frühen Neuzeit bis zur Zeitgeschichte spezifische militärische Gewaltkulturen in den Armeen der europäischen Großmächte aus? Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht dabei zeitgenössisch als illegitim aufgefasste physische Gewalt sowohl in Kriegs- als auch in Friedenszeiten, weshalb die Frage nach den sich wandelnden Maßstäben von Legitimität und Illegitimität der Gewalt gestellt wird. (Sprecher: Professor Dr. Sönke Neitzel, Universität Potsdam)
Gesellschaftspolitische Debatten zeigen, dass Phänomene wie Arbeits-, Bildungs- und Fluchtmigration als institutionelle Herausforderung und umgekehrt Institutionen als potenzielle Hürde für derartige Prozesse angesehen werden. Die Forschungsgruppe „Grenzüberschreitende Mobilität und Institutionendynamiken“ untersucht beide sich bedingenden Aspekte unter soziologischer, ethnologischer und politikwissenschaftlicher Perspektive. Im Zentrum steht dabei die Frage, wann Institutionen mobilisieren beziehungsweise immobilisieren und wie Migration Institutionen verändert. (Sprecherin: Professorin Dr. Karin Schittenhelm, Universität Siegen)
In Gesellschaften zirkulieren Texte mit normativem und identitätsstiftendem Charakter. Oft sind sie mit religiösen, aber auch politischen, juristischen und literarischen Gebrauchspraktiken verbunden, in deren Rahmen sie mit Bedeutung aufgeladen („sakralisiert“) werden. Diesen Status können sie im Zuge historischer Wandlungsprozesse aber auch wieder verlieren. Dieser Ausgangsthese spürt die Forschungsgruppe „De/Sakralisierung von Texten“ nach. Die Analyse der gegenläufigen Dynamiken von Sakralisierung und Desakralisierung in unterschiedlichen sozialen, kulturellen und religiösen Kontexten bildet dabei die Klammer. (Sprecherin: Professorin Dr. Birgit Weyel, Universität Tübingen)
Sogenannte Jets von Aktiven Galaktischen Kernen (AGN) sind in der Lage, einen Teil der bei der Ansammlung von Materie auf ein supermassereiches Schwarzes Loch frei werdenden potenziellen Energie zu transportieren. Aber: Woraus bestehen die Jets? Wie werden sie von der Umgebung sehr massereicher Schwarzer Löcher gestartet? Welche Prozesse sind für ihre hochenergetische Strahlung verantwortlich – und welche Wechselwirkungen bestehen mit der Muttergalaxie? Die Forschungsgruppe „Relativistische Jets in Aktiven Galaxien“ sucht mithilfe von Theorie, Modellierung, Beobachtung und Interpretation nach Antworten. (Sprecher: Professor Dr. Matthias Kadler, Universität Würzburg)
Die neun für eine zweite Förderperiode verlängerten Verbünde
(in alphabetischer Reihenfolge der Hochschulen der Sprecherinnen und Sprecher und mit Verweisen auf die Projektbeschreibungen in der DFG-Internetdatenbank GEPRIS zur laufenden Förderung):
FOR „Zelluläre Schutzmechanismen gegen mechanischen Stress“ (Sprecher: Professor Dr. Jörg Höhfeld, Universität Bonn)
https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/388932620
FOR „Understanding the global freshwater system by combining geodetic and remote sensing information with modelling using a calibration/data assimilation approach (GlobalCDA)“ (Sprecher: Professor Dr.-Ing. Jürgen Kusche, Universität Bonn) https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/324641997
Die Forschungsgruppe wird im Rahmen der Lead-Agency-Vereinbarung mit dem Fonds National de la Recherche Luxembourg (FNR) gefördert.
FOR „Die Grenzen des Fossilberichtes: Analytische und experimentelle Ansätze zum Verständnis der Fossilisation“ (Sprecher: Professor Dr. Martin Sander, Universität Bonn)
https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/348043586
KFO „Klinische Relevanz von Tumor-Stroma-Interaktionen im Pankreaskarzinom“ (Sprecher: Professor Dr. Thomas Mathias Gress, Universitätsklinikum Gießen und Marburg; Klinische Leitung: Professor Dr. Matthias Lauth, Universität Marburg)
https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/329116008
FOR „Receiving and Translating Signals via the gamma-delta T Cell Receptor“ (Sprecher: Professor Dr. Immo Prinz, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf)
https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/395236335
KFO „Molekulare Mechanismen von Podozyten-Erkrankungen – die Nephrologie auf dem Weg zur Präzisionsmedizin“ (Sprecher: Professor Dr. Thomas Benzing, Klinische Leitung: Professor Dr. Paul-Thomas Brinkkötter, beide Uniklinik Köln)
https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/386793560
FOR „Umweltveränderungen in Biodiversitäts-Hotspot-Ökosystemen Süd-Ecuadors: Systemantwort und Rückkopplungseffekte (RESPECT)“ (Sprecherin: Professorin Dr. Nina Farwig, Universität Marburg)
https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/386807763
FOR „Populärkultur transnational – Europa in den langen 1960er Jahren“ (Sprecher: Professor Dr. Dietmar Hüser, Universität des Saarlandes)
https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/285228642
Die Forschungsgruppe wird im Rahmen der Lead-Agency-Vereinbarung mit dem Fonds National de la Recherche Luxembourg (FNR) gefördert.
FOR „Sektorenübergreifendes kleinräumiges Mikrosimulationsmodell (MikroSim)“ (Sprecher: Professor Dr. Ralf Münnich, Universität Trier)
https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/316511172
Weiterführende Informationen
Medienkontakt:
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der DFG, Tel. +49 228 885-2109, presse@dfg.de
Ausführliche Informationen erteilen auch die Sprecherinnen und Sprecher der Verbünde.
Ansprechpartnerin in der DFG-Geschäftsstelle:
Ursula Rogmans-Beucher, Gruppe Qualitäts- und Verfahrensmanagement, Tel. +49 228 885-2726,
ursula.rogmans-beucher@dfg.de
Zu den Forschungsgruppen der DFG:
www.dfg.de/for
www.dfg.de/kfo
www.dfg.de/kolleg_forschungsgruppen
http://www.dfg.de/for
http://www.dfg.de/kfo
http://www.dfg.de/kolleg_forschungsgruppen
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Forschungsprojekte, Wissenschaftspolitik
Deutsch
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