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14.07.2021 16:05

Mechanismen zur getrennten Regulation von Freisetzung und Recycling synaptischer Vesikel

Petra Giegerich Kommunikation und Presse
Johannes Gutenberg-Universität Mainz

    Interaktionen von zwei spannungsabhängigen Kalziumkanälen und einer Pumpe erlauben die separate Kontrolle von Exo- und Endozytose an chemischen Synapsen

    Chemische Synapsen dienen der Informationsübertragung im Nervensystem. Bei elektrischer Erregung einer präsynaptischen Zelle verschmelzen synaptische Vesikel mit der präsynaptischen Membran, sodass in Vesikeln enthaltene Botenstoffe in den synaptischen Spalt freigesetzt werden, an Rezeptoren der postsynaptischen Zelle binden und dort wieder ein elektrisches Signal auslösen. Die zeitliche und räumliche Abfolge dieser Signale ist entscheidend für die Verarbeitung und Weiterleitung von Informationen im Gehirn. Die nachhaltige Funktion chemischer Synapsen erfordert das Recycling synaptischer Vesikel, sodass sie zur wiederholten Informationsübertragung zur Verfügung stehen. Die Koordination von Freisetzung und Recycling synaptischer Vesikel erforschen Prof. Dr. Carsten Duch und Prof. Dr. Martin Heine mit ihren Arbeitsgruppen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). „Exo- und Endozytoseraten an chemischen Synapsen müssen für zuverlässige Informationsübertragung im Gehirn aufeinander abgestimmt werden“, erklären die Biologen. Zusammen mit Dr. Ulrich Thomas, Gruppenleiter am Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg, haben Duch und Heine in einem Beitrag für die Fachzeitschrift PNAS dargestellt, wie zeitlich und räumlich getrennte präsynaptische Kalziumsignale unabhängig voneinander die Exo- und Endozytose synaptischer Vesikel, also ihre Freisetzung und Wiederaufnahme, regulieren.

    Co-Existenz unterschiedlicher spannungsabhängiger Kalziumkanäle an der Präsynapse

    An chemischen Synapsen werden ankommende elektrische Impulse in chemische Signale umgewandelt und an die nächste Zelle weitergegeben. Dabei strömen zunächst Kalziumionen durch spannungsabhängige Membrankanäle in die Präsynapse ein, also in die vorgeschaltete Nervenzelle, die das Signal auf die postsynaptische Zelle überträgt. Dieser Kalzium-Einstrom ist zeitlich und räumlich eng begrenzt und führt zur Exozytose synaptischer Vesikel aus einem spezialisierten Vesikel-Reservoir. Präsynaptische Kalziumsignale regulieren auch das Recycling synaptischer Vesikel, allerdings mit anderen zeitlichen und räumlichen Anforderungen. Eine offene Frage ist, wie präsynaptische elektrische Aktivität zu Kalziumsignalen mit verschiedenen zeitlichen und räumlichen Profilen im präsynaptischen Terminal führt.

    Durch die Kombination genetischer Manipulationen mit elektro- und optophysiologischen Messungen an der neuromuskulären Synapse des genetischen Modellsystems Drosophila melanogaster konnte das Team zeigen, dass sich an der Präsynapse zwei verschiedene Typen von spannungsabhängigen Kalziumkanälen befinden, Cav2 und Cav1, jedoch mit räumlich getrennter Lokalisation. Beide öffnen sich beim Eintreffen elektrischer Signale, allerdings sind nur die in präsynaptischen aktiven Zonen lokalisierten Cav2-Kanäle für die Exozytose synaptischer Vesikel notwendig. Cav1-Kanäle befinden sich außerhalb aktiver Zonen und verstärken durch einen aktivitätsabhängigen Kalzium-Einstrom die Endozytose synaptischer Vesikel. Dementsprechend verhindert das Ausschalten von Cav2 mithilfe genetischer Manipulationen synaptische Übertragung, wohingegen das Ausschalten von Cav1 die Endozytoseraten synaptischer Vesikel herabsetzt und daher bei anhaltender Aktivität synaptische Depression verstärkt. Somit regulieren Kalziumsignale durch zwei verschiedene Typen von spannungsabhängigen Kalziumkanälen weitgehend unabhängig voneinander zwei essenzielle Funktionen der Präsynapse in Abhängigkeit der neuronalen Aktivität, nämlich die Freisetzung und das Recycling synaptischer Vesikel.

    Funktionelle Trennung von Cav1 und Cav2 durch eine Kalziumpumpe

    Eine wesentliche Frage war, wie Kalziumsignale durch unterschiedliche Kanäle im Nanometerbereich des präsynaptischen Terminals funktionell separiert werden können, denn Kalzium ist ein hoch diffusionsfähiger intrazellulärer Botenstoff. „Unterschiedliche vitale Funktionen von Kalziumsignalen durch Cav1 und Cav2 werden durch einen membranständigen Kalziumpuffer voneinander getrennt“, schreiben die Autoren in ihrem Beitrag. Cav2-Kanäle sind innerhalb präsynaptischer aktiver Zonen in 70 bis 140 Nanometer Abstand zu den freisetzbaren synaptischen Vesikeln zu finden. Diese spezifische Lokalisation von Cav2 führt bei präsynaptischer elektrischer Aktivität zur Entstehung von zeitlich und räumlich eng regulierten Kalziumsignalen in sogenannten Nanodomänen, die für die zeitliche Präzision synaptischer Übertragung unerlässlich sind. Die Lokalisation von Cav1-Kanälen umschließt die aktiven Zonen, sodass ein Kalzium-Einstrom durch beide Kanaltypen theoretisch ohne messbare Verzögerung zu Mischsignalen führen sollte. Solche Mischsignale werden durch die Kalziumpumpe PMCA verhindert. PMCA sitzt außerhalb aktiver Zonen und isoliert diese von der dynamischen Regulation der Endozytose durch Cav1-vermittelten Kalzium-Einstrom. Da Cav1, Cav2 und PMCA auch an zentralen Synapsen im Säugergehirn nachgewiesen worden sind, könnten diese Proteine eine konservierte funktionelle Triade zur getrennten aktivitätsabhängigen Regulation der Exo- und Endozytose synaptischer Vesikel darstellen.

    Kalziumkanäle und die Regulation essenzieller synaptischer Funktionen

    In Zukunft werden die Arbeitsgruppen von Duch und Heine weiter die Interaktionen von Kalziumkanälen und ihren assoziierten Molekülen an der Präsynapse erforschen. Kalziumsignale im präsynaptischen Terminal regulieren neben der Exo- und Endozytose weitere essenzielle synaptische Funktionen. Hierzu gehören die Regulation der Bewegungen synaptischer Vesikel zwischen unterschiedlichen spezialisierten Reservoirs sowie die Kontrolle festgelegter synaptischer Übertragungsstärken, die bei Perturbation durch kompensatorische Mechanismen wieder hergestellt werden. Dieser als homöostatische synaptische Plastizität bezeichnete Prozess ist für die zuverlässige Informationsverarbeitung im Gehirn unerlässlich. In einem Projekt des Sonderforschungsbereiches 1080 „Molekulare und zelluläre Mechanismen der neuronalen Homöostase“ untersuchen die Arbeitsgruppen von Duch und Heine die Mechanismen der zeitlichen und räumlichen Trennung präsynaptischer Kalziumsignale zur unabhängigen Kontrolle von Exo- und Endozytose, des Transports von Vesikeln zwischen verschiedenen Reservoirs und der synaptischen Homöostase. „Kalziumsignale sind hervorragend geeignet, um eine Vielzahl vitaler synaptischer Funktionen präzise an verschiedene neuronale Aktivitäten anzupassen, aber die Mechanismen zur unabhängigen Regulation dieser Funktionen beginnen wir erst zu verstehen“, merken Duch und Heine zu ihrer neurobiologischen Forschungsarbeit an.

    Weiterführende Links:
    https://idn.biologie.uni-mainz.de/ - Institut für Entwicklungsbiologie und Neurobiologie
    https://www.ftn.uni-mainz.de/drittmittelprojekte/sonderforschungsbereich-1080-mo... - Sonderforschungsbereich 1080

    Lesen Sie mehr:
    https://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/11867_DEU_HTML.php - Pressemitteilung „Kalziumkanal-Untereinheiten spielen offenbar wichtige Rolle bei autistischen Störungen“ (22.07.2020)
    https://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/11315_DEU_HTML.php - Pressemitteilung „Nanodomänen an neuronaler Kommunikation beteiligt“ (30.04.2020)
    https://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/395_DEU_HTML.php - Pressemitteilung „Synapsen konkurrieren um neuronales Baumaterial“ (09.02.2017)
    https://www.uni-mainz.de/presse/63736.php - Pressemitteilung „Dendriten von Motorneuronen der Taufliege für grundlegende Funktionen entbehrlich“ (22.01.2015)


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Carsten Duch
    Institut für Entwicklungsbiologie und Neurobiologie (IDN)
    Johannes Gutenberg-Universität Mainz
    55099 Mainz
    Tel. +49 6131 39-23419
    Fax +49 6131 39-25443
    E-Mail: cduch@uni-mainz.de
    https://enb-idn.biologie.uni-mainz.de/prof-dr-carsten-duch/

    Prof. Dr. Martin Heine
    Institut für Entwicklungsbiologie und Neurobiologie (IDN)
    Johannes Gutenberg-Universität Mainz
    55099 Mainz
    Tel. +49 6131 39-26682
    Fax +49 6131 39-26804
    E-Mail: marthein@uni-mainz.de
    https://idn.biologie.uni-mainz.de/prof-dr-martin-heine/


    Originalpublikation:

    Niklas Krick et al.
    Separation of presynaptic Cav2 and Cav1 channel function in synaptic vesicle exo- and endocytosis by the membrane anchored Ca²⁺ pump PMCA
    Proceedings of the National Academy of Sciences, 13. Juli 2021
    DOI: 10.1073/pnas.2106621118
    https://www.pnas.org/content/118/28/e2106621118


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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