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02.08.2021 11:02

An Bord eines Forschungsschiffes auf den Spuren des berühmten Großvaters

Deutsches Schifffahrtsmuseum Kommunikation Kommunikation
Deutsches Schifffahrtsmuseum - Leibniz-Institut für Maritime Geschichte

    Den Gefahren versunkener Munition auf den (Meeres)grund gehen – das ist das Ziel des EU-geförderten Projekts „North Sea Wrecks“ unter der Leitung des Deutschen Schifffahrtsmuseums (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte. An Bord der HEINCKE, eines Forschungsschiffs des Alfred-Wegener-Instituts, nahmen die Forschenden im April 2021 Kurs auf das Seegebiet westlich von Helgoland.

    Für die DSM-Mitarbeiterin Cornelia Riml, die die Expedition filmisch und fotografisch für eine Ausstellung begleitete, war es ein ganz besonderes Erlebnis, da es Schlaglichter in ihre Familiengeschichte warf. Ihr Großvater Walter Riml – berühmter österreichischer Kameramann und Experte für Berg- und Schneeaufnahmen – kämpfte sich 1935 durch Grönland, um Ergänzungsaufnahmen für den Alfred Wegener-Gedenkfilm „Das große Eis“ zu drehen. Rund 90 Jahre später steht seine Enkelin an Bord eines AWI-Schiffes, die Kamera im Anschlag – wenn Geschichte nachhallt, Forschung, Film und Familie verschmelzen.

    Stahl knarzt, Tischbeine scharren, in den Schränken poltert hörbar alles, was nicht fixiert ist – sechs Meter hohe Wellen lassen nichts und niemanden kalt. Selbst die HEINCKE, ein 55 Meter langes Schwergewicht, tanzt auf den Wasserbergen hin und her, die gnadenlos von vorn und achtern anrollen. In Cornelia Rimls Kopf ist nur Platz für Ehrfurcht und Demut – die Urgewalt des Wassers erscheint faszinierend und fremd zugleich. Seit Kindertagen fühlt sich die heute 32-Jährige von Schiffen und Wasser angezogen, doch sie spürt auch: Das Meer ist kein Lebensraum für Menschen.

    Der erste klare Gedanke, den sie wieder fassen kann in ihrer Kajüte, gilt der Kamera: Liegt sie wirklich sicher verstaut im Koffer? Die DSM-Mitarbeiterin ist Teil der Wissenschaftscrew des NSW-Projekts. Im Seegebiet westlich von Helgoland werden Proben vom Weltkriegswrack SMS MAINZ genommen. Das internationale Team will wissen, ob von der Munition Gefahren für Mensch, Meer und Tier ausgehen. Allein auf dem Grund der deutschen Gewässer in der Nordsee vermuten Expert:innen rund 1,3 Millionen Tonnen Munition, die Schadstoffe absorbieren können. Auf der Forschungsfahrt suchen die Wissenschaftler:innen Belege für mögliche Auswirkungen.

    Riml ist buchstäblich überall dabei: Sie hält in Video und Bild fest, wie das Beiboot der Forschungstaucher:innen ins Wasser abgelassen wird, Wasser-, Sediment- und biologische Proben genommen und Muscheln ausgesetzt werden. Kein leichter Job: Die Filmerin muss auf allen Decks gleichzeitig sein und diverse Perspektiven des Geschehens einfangen. Die Zeit ist knapp und Abläufe sind nicht wiederholbar. „NSW ist ein internationales Pionierprojekt, in dem Grundlagenarbeit für den Meeres- und Umweltschutz in der Nordsee geleistet wird. Das ist sehr reizvoll für mich, weil ich viel einbringen kann, was mir liegt“, sagt Riml. Sie beschreibt sich als visuellen Kopf, der in Perspektiven denkt. Doch auch das Forscher-Gen schlummert in ihr.

    Die Kamera hat sie stets im Anschlag, den Finger auf dem Auslöser. Zwischen Stress, Sturm und Bilderflut verschafft sich auch Rimls Vorfahre Oberwasser. Die Sehnsucht nach Meer und Schiffen mag für eine Tirolerin ungewöhnlich anmuten. Für die Enkelin des Kameramanns, der 1935 Ergänzungsaufnahmen für den Alfred Wegener-Gedenkfilm „Das große Eis“ drehte, ein unbewusster Schritt auf dem Traditionspfad. Walter Riml arbeitete mit den Polarforschern Ernst Sorge und Fritz Loewe zusammen und bewies sein Können als Bergfilmspezialist unter anderem im James Bond-Streifen „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“.

    Inmitten der Schaumkronen der Nordsee erkennt die gebürtige Innsbruckerin plötzlich Parallelen. 1932 verschlug es Walter Riml zum ersten Mal nach Grönland. Für den Film „SOS Eisberg“ stand der 2,05 Meter „lange“ Tiroler in Fellanzug und mit Walfett eingeschmiert als Schauspieler vor der Kamera. Während des damaligen siebenmonatigen Aufenthalts in Grönland barg Riml sogar die Signalflagge Alfred Wegeners aus dem Eis. 1935 zog es ihn erneut ins Nordland, dieses Mal hinter die Kamera. Walter Riml schrieb Geschichte in doppelter Hinsicht: Er brach zur ersten Zwei-Mann-Expedition nach Grönland auf, um weitere Aufnahmen für den Film „Das große Eis“ zu drehen. Auf dem rund fünf Kilometer langen Filmmaterial waren Gletscherkalbungen, die Lebensweise der Indigenen und nicht gekannte Naturaufnahmen verewigt. Die Gletscher-Sequenzen sind heute wichtige Zeugnisse für die Wissenschaft, zeigen sie doch die Eisflächen der 30er Jahre, als diese noch nicht so rasant zurückzogen waren wie heute. Der Vergleich macht den Klimawandel schmerzhaft deutlich.

    Als kreativer Kopf und gelernter Zimmermann baute Riml Konstruktionen, die später Forschenden bei der Entnahme von Proben dienlich wurden. Interdisziplinäres Arbeiten würde man das heute nennen. Knapp 90 Jahre später folgt seine Enkelin ihrer Liebe zum Meer, zieht in den Norden, studiert an der Universität Bremen im Master Public History, beginnt für das NSW-Projekt im DSM zu arbeiten und steht für die Dokumentation an Bord des AWI-Schiffes HEINCKE ebenfalls hinter der Kamera. Im Falle von Rimls Familiengeschichte verschwimmen die Grenzen von Film und Forschung – und eine Brücke vom AWI zum DSM entsteht.

    „Natürlich kannte ich die Vergangenheit meines Großvaters – meine Eltern gründeten auf Basis seines Nachlasses das WaRis – Tiroler Filmarchiv samt kleinem Film-Museum. Mein Großvater starb aber, als ich noch ein kleines Kind war. Daher erfahre ich vieles über sein Leben erst jetzt neu und lerne ihn auf eine andere Art und Weise kennen – es eröffnen sich neue Verbindungen und Perspektiven für mich und das ist besonders wertvoll.“ Der Public-History-Studentin wird klar, wie bestimmend das Interesse am Medium Film, der Forschung, dem Entdecken und an einer präsenten Vergangenheit in ihrer Familie ist. „Für mich ist Geschichte eine Brücke, die aus der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft führt.“

    Sie wird die Tradition fortsetzen und weiterhin auf dem Weg des Geschichte(n)-Erzählens bleiben, denn das liegt ihr besonders am Herzen. „In der Public History arbeiten wir mit neuen Ansätzen und Ideen. In meiner Masterarbeit erarbeite ich anhand des NSW-Projektes ein Vermittlungskonzept für Kinder. Denn Geschichte lebt und wirkt immer generationenübergreifend und die Zukunft ist besonders wichtig.“

    Zukünftig trifft man die baldige Master-Absolventin häufiger im AWI-Archiv an. Riml taucht noch tiefer in das Leben ihres Großvaters ein und sucht Verschmelzungen von Film, Forschung und Familie. Sie wurde bereits fündig – die Spurensuche ist noch nicht beendet. Eine Fortsetzung der Forschungsausfahrt gibt es ebenfalls: Die NSW-Crew sticht bald wieder in See, das steht schon in ihrem Kalender: „Ende September, zum Geburtstag meines Großvaters.“ Wenn das kein Zufall ist.

    Die Wanderausstellung „Toxic Legacies of War – North Sea Wrecks“ zum NSW-Projekt wird am 11. August 13 Uhr vor dem Eweiterungsbau des DSM (am Seemannsarm) eröffnet und ist dann bis zum 15. August täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Im Anschluss tourt der NSW-Truck durch mehrere europäischen Städte.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Cornelia Riml
    c.riml@dsm.museum


    Weitere Informationen:

    https://www.dsm.museum/pressebereich/an-bord-eines-forschungsschiffes-auf-den-sp...


    Bilder

    Immer dem Meer entgegen - die Innsbruckerin Cornelia Riml liebt das Leben an der Wasserkante.
    Immer dem Meer entgegen - die Innsbruckerin Cornelia Riml liebt das Leben an der Wasserkante.
    Annica Müllenberg
    DSM


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

    Immer dem Meer entgegen - die Innsbruckerin Cornelia Riml liebt das Leben an der Wasserkante.


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