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13.08.2021 13:21

Paradigmenwechsel in der Immunologie: „Adaptive Toleranz“ balanciert Autoimmunreaktion aus

Annika Bingmann Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universität Ulm

    Ein neues immunologisches Modell aus Ulm könnte einen Paradigmenwechsel bei der Behandlung von Autoimmunerkrankungen auslösen. Im EMBO Journal beschreiben Forschende um Prof. Hassan Jumaa den bislang unbekannten Mechanismus der "adaptiven Toleranz". Demnach sind autoreaktive Antikörper keineswegs schädlich und so schnell wie möglich vom Organismus zu eliminieren. Vielmehr stoßen sie die Bildung von so genannten igM-Antikörpern an, die körperliche Schäden abwenden. Anwendungsgebiete dieses dynamischen immunologischen Modells reichen von der Entwicklung neuer Diabetes-Therapien bis hin zur Impfstoff-Forschung.

    Immunologen der Ulmer Universitätsmedizin haben ein neuartiges Modell entwickelt, das die Behandlung von Autoimmunerkrankungen oder die Impfstoff-Entwicklung revolutionieren könnte. Gemäß der „adaptiven Toleranz“ sind autoreaktive Antikörper keineswegs Krankheitstreiber, die der gesunde Organismus frühzeitig beseitigt. Vielmehr lösen sie die Bildung einer Antikörper-Klasse aus, die körpereigene Strukturen schützt. Die Ulmer Forschenden um Professor Hassan Jumaa haben diesen Paradigmenwechsel zuerst im renommierten EMBO Journal beschrieben.

    Autoimmunkrankheiten sind in Industriestaaten weit verbreitet: Rund 5 Prozent der Bevölkerung leidet an Erkrankungen wie Diabetes Typ 1 oder Rheuma, bei denen sich die Immunabwehr gegen körpereigene Strukturen richtet. Als Krankheitstreiber galten bislang so genannte autoreaktive Antikörper, die normalerweise bei der frühen B-Zellentwicklung identifiziert und entfernt werden. Zur Erinnerung: B-Zellen sind ein entscheidender Bestandteil des adaptiven Immunsystems und können die Bildung von erregerspezifischen Antikörpern auslösen.
    Nun haben Forschende um Professor Hassan Jumaa, Leiter des Ulmer Instituts für Immunologie, die Rolle verschiedener autoreaktiver Antikörper untersucht und letztlich neu definiert.

    Im Zentrum des Forschungsvorhabens standen Immunisierungsexperimente im Mausmodell. Als Autoantigen erhielten die gesunden Tiere menschliches Insulin in Form von Eiweißkomplexen. Das Hormon Insulin ist wichtig für den Stoffwechsel: Bei Diabetikerinnen und Diabetikern wird ein Insulinmangel therapiert.
    „Die Mäuse wurden engmaschig, mit Methoden aus der Diabetologie auf Abwehrreaktionen untersucht. Dabei sind wir auf autoreaktive und somit schädliche Antikörper gestoßen, die nach bisherigen Annahmen in den gesunden Mäusen längst eliminiert sein sollten“, erklärt Professor Jumaa. Eine zuvor verbreitete These zu autoreaktiven Antikörpern war also bereits widerlegt. Darüber hinaus stellten die Immunologen fest, dass eine erneute Gabe der Insulin-Eiweißkomplexe den Insulin-spezifischen Antikörpertiter bei den Mäusen hochschnellen ließ. Diese
    Antikörper vom Typ Immunglobulin-M (igM) konnten die zuvor nachgewiesene Autoimmunreaktion ausbremsen und körperliche Schäden bei den Mäusen abwenden. Die Ulmer Forschenden nennen diesen bislang unbekannten Mechanismus „adaptive Toleranz“.

    „Entgegen früherer Annahmen zeigen unsere Untersuchungen, dass eine gesunde Abwehrreaktion die Bildung schützender IgM-Antikörper auslöst. Dadurch wird die Immunantwort moduliert und der Körper vor autoreaktiven Antikörpern geschützt. Demnach scheint ein diverses B-Zellrepertoire schädliche Autoimmunreaktionen durch adaptive IgM-Antikörper abfedern zu können“, resümiert der Erstautor Timm Amendt die Forschungsergebnisse. Die adaptive Toleranz beruht also auf einem Zusammenspiel verschiedener Autoantigen-Komplexe. Gerät dieser Balanceakt durcheinander, können Autoimmunerkrankungen entstehen. Dass sich diese Forschungsergebnisse vom Mausmodell auf den Menschen übertragen lassen, weisen die Immunologen in einer weiterführenden Studie nach, die kürzlich auf einem Preprint-Server erschienen ist.

    Insgesamt ermöglicht der Paradigmenwechsel vom statischen zum dynamischen immunologischen Modell („adaptive Toleranz“) ungeahnte Einblicke in die Entstehung und Behandlung von Autoimmunerkrankungen. Im nächsten Schritt wollen die Forschenden um Professor Hassan Jumaa mithilfe des neuen Modells untersuchen, ob adaptive IgM-Antikörper bei der Behandlung oder Vorbeugung von Diabetes eingesetzt werden können. Ein weiteres Anwendungsgebiet ist beispielsweise die Impfstoff-Entwicklung.

    Die Untersuchungen wurden an der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm bzw. im Institut für Immunologie durchgeführt und teilweise von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Hassan Jumaa: Tel.: 0731/500-65200, hassan.jumaa@uni-ulm.de


    Originalpublikation:

    Amendt T and Jumaa H (2021), Memory IgM protects endogenous insulin from autoimmune destruction, The EMBO Journal.
    https://www.embopress.org/doi/full/10.15252/embj.2020107621

    Preprint-Studie:
    Amendt T, Allies G, Nicolo A, El Ayoubi O, Young M, Roeszer T, Setz CS, Warnatz W, Jumaa H (2021), Antibodies control metabolism by regulating insulin homeostasis.
    https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2021.08.10.455644v1


    Bilder

    Prof. Hassan Jumaa leitet das Institut für Immunologie am Universitätsklinikum Ulm
    Prof. Hassan Jumaa leitet das Institut für Immunologie am Universitätsklinikum Ulm
    Foto: Elvira Eberhardt
    Universität Ulm


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Prof. Hassan Jumaa leitet das Institut für Immunologie am Universitätsklinikum Ulm


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