Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA) veröffentlicht erneut systematische Analyse (zweites Update einer Analyse von 2016) zur Beschaffenheit und zum Erkenntnisinteresse von Nicht-interventionellen Studien bzw. Anwendungsbeobachtungen in Österreich.
Nicht-interventionelle Studien (NIS) oder Anwendungsbeobachtungen (AWB) evaluieren Arzneimittel und Medizinprodukte nach der Marktzulassung für die zugelassene Verwendung beobachtend in der Routineversorgung. Zu ihrer Rolle wird seit einigen Jahren eine kritische Diskussion geführt: ob es sich etwa um eine wertvolle Erkenntnisquelle oder lediglich um ein Marketinginstrument handelt. In Österreich sind NIS nicht genehmigungs-, aber meldepflichtig. Die NIS müssen in einer Studiendatenbank (Register) registriert werden, in der einige (aber nicht alle) Informationen auch öffentlich zugänglich gemacht werden. Das AIHTA ging nun erneut den Fragen nach, wie viele NIS in Österreich in welchem Umfang laufen, wer sie verantwortet und worin ihr Erkenntnisinteresse liegt. Dazu wurden die im Juli 2021 in der teil-öffentlichen Datenbank des BASG/AGES (https://www.basg.gv.at/gesundheitsberufe/klinische-studien/nicht-interventionell...) verfügbaren Informationen zu den erfassten NIS inklusive der veröffentlichten Kurzfassungen zu den Abschlussberichten ausgewertet. Als kritisch zu sehende Aspekte gestalteten sich v.a. die ungewöhnlich hohen Teilnehmer*innenzahlen, die Masse an Studien zu bereits gut erprobten Arzneimitteln, sowie die Redundanz in Bezug auf mehrere AWB zum selben Arzneimittel. Wie schon in den Analysen zuvor wurden dem Register abermals formale Mängel attestiert, die dazu führen, dass das Register in seiner derzeitigen Form keinen Beitrag zur Unterstützung der kritischen Öffentlichkeit leistet.
Im BASG/AGES NIS-Register waren zum Stichtag 11. Juni. 2021 462 NIS mit einer geplanten Patient*innenzahl von 757.948 registriert. Davon werden 55.708 Personen als österreichische Patient*innen ausgewiesen. In den Berichten aus 2016 und 2017 konnte diese Information dem Register noch nicht entnommen werden. Im Vergleich zum Erstbericht aus 2016 stieg die Gesamtanzahl der NIS damit um 84% (2016: 251 NIS) sowie die Patient*innenanzahl um 86% (2016: 406.831 Patient*innen). Ein Abgleich der Anzahl der geplanten involvierten Patient*innen mit jenen der tatsächlich involvierten Patient*innen laut Endbericht erfolgt allerdings noch immer nicht. Diesen Umstand bemängelte das AIHTA bereits in den ersten beiden Analysen.
Die Urheber der eingespeisten NIS sind weiterhin zum größten Teil die Pharmafirmen selbst. In konkreten Zahlen ausgedrückt stammten 292 der 462 NIS (d.h. 63%) von diesen Organisationen – im Erstbericht betrug dieser Anteil noch 76%. Laut Analyse sind die 15 – bei NIS - aktivsten Pharmafirmen noch immer für mehr als ein Drittel der NIS verantwortlich (164 der 462 NIS, 36%). Im Zuge dessen wurden insgesamt 119.238 Patient*innen (3.792 aus Österreich) rekrutiert, was fast einer Verdoppelung im Vergleich zum Erstbericht bzw. Update entspricht (2016/2017: 59.438). Die fünf Pharmafirmen Novartis, Amgen, AbbVie, Sanofi-Aventis und Astellas mit jeweils mehr als 15 NIS stechen hier besonders heraus. Auf universitäre Einrichtungen entfielen 34 NIS (2016/2017: 37), während andere (private oder gemeinnützige) Forschungseinrichtungen mit 128 NIS (Anteil: 28%, 2016/2017: 23) im Register vertreten waren.
In Bezug auf die inhaltliche Ausrichtung der NIS zeigte die Analyse des AIHTA anhand der Auswertung von 156 Abschlussberichten (der 161 abgeschlossenen NIS), dass es sich bei der Mehrzahl um Anwendungsbeobachtungen handelt, die Fragen zur Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen, Verträglichkeit und Praktikabilität, sowie zur langfristigen Sicherheit der Studienmedikamentierung erkundeten. Eine der größten Hürden in der Auswertung bestand in der Beschaffenheit des Registers selbst: So bemängelte das AIHTA v.a., dass Titel und Forschungsfragen erst in den Abschlussberichten konkretisiert werden, Kategorisierungen widersprüchlich erfolgen und/oder nicht mit den hochgeladenen Ergebnissen abgeglichen werden. Es dürfte daher vom Register-Betreiber BASG/AGES keine oder nur eine sehr oberflächliche, formale Kontrolle der eingereichten Datensätze erfolgen. Zu diesem Schluss kam das AIHTA bereits im Erstbericht bzw. Update.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) listete 2020 vier Aspekte auf, wonach AWBs kritisch zu bewerten sind. Drei dieser Aspekte (ungewöhnlich hohe Teilnehmer*innenzahlen, Studien zu längst eingeführten und gut erprobten Arzneimitteln, mehrere unterschiedliche/ einander sehr ähnliche AWB zum selben Arzneimittel) ließen sich aus dem österreichischen NIS-Register ableiten. Zum vierten Aspekt (ungewöhnlich hohe Vergütungen) gibt es keine öffentlich zugänglich Informationen. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) rät inzwischen von der Teilnahme an Anwendungsbeobachtungen explizit ab. Die Gründe: Geringer Erkenntnisgewinn und forcierter Einsatz teurer Medikamente bei existierenden Alternativen, um Marktanteile zu gewinnen. Eine 2015 in Deutschland durchgeführte Analyse zu Anwendungsbeobachtungen stellte fest, dass jede/r zehnte niedergelassene Arzt/ Ärztin an AWB teilnimmt und infolge Studienmedikamente 7-8% häufiger verschreibt als ihre/seine Kolleg*innen.
Ozren Sehic, B.A. ozren.sehic@aihta.at
Sehic O., Wild C. Nicht-Interventionelle Studien (NIS) in Österreich, 2. Update der systematischen Analysen 2016 & 2017. AIHTA Policy Brief Nr.: 010 2021. Wien: HTA Austria – Austrian Institute for Health Technology Assessment GmbH. https://eprints.aihta.at/1333/
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
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Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
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