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02.09.2021 11:55

Braucht sozial digital? Die Soziale Arbeit im Wandel.

Lea-Anna Hurler Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
SRH Fernhochschule

    Eine wichtige Kernkompetenz der Sozialen Arbeit ist die soziale Nähe, weshalb die Face-to-Face-Kommunikation als Königsweg galt – bis die Corona-Pandemie kam. Diese stellte die Soziale Arbeit vor viele offene Fragen und spaltete sie in systemrelevante und systemirrelevante Handlungsfelder. Der Leitgedanke, Hilfe geht von Hilfebearf aus, wurde auf eine harte Probe gestellt. Wie verändert dieser noch nie dagewesene Wandlungsprozess die Identität der Sozialen Arbeit?

    Mit COVID-19 sieht sich die Soziale Arbeit aufgrund einer Flut an Veränderungen einem noch nie dagewesenen Wandlungsprozess, in einigen Bereichen sogar einer Identitätskrise gegenüber. Der Leitgedanke, Hilfe geht von Hilfebedarf aus, wurde auf eine harte Probe gestellt. Die Soziale Arbeit als Anwendungswissenschaft mit normativem Charakter war gezwungen, Prämissen und Methoden völlig „uneitel“, aufzugeben bzw. anzupassen und einer politisch vorgebenen Spaltung zuzusehen, die die Handlungsfelder in Systemrelevanz unterteilte. Corona wird uns alle und auch die Soziale Arbeit wohl noch lange begleite. Daraus entstehen Herausforderungen und Chancen entstehen, welche ihre Identität maßgeblich prägen werden.

    Dauerhaft. Systemrelevant.
    Während der Corona-Pandemie standen weite Teile der Sozialen Arbeit still oder fuhren mit „halber“ Kraft. Viele Träger gerieten in finanzielle Schieflage und Fachkräfte verloren ihre Jobs. Warum durften Pflege und Medizin dauerhaft arbeiten, die Soziale Arbeit musste in weiten Teilen stillstehen? Systemrelevanz erscheint als politisch motiviertes Mandat nicht ganz unproblematisch für die Soziale Arbeit. Ein solches Label lässt sowohl die Stellung der Dienstleistung in der Gesellschaft vermuten als auch Rückschlüsse auf die Wertigkeit der unterschiedlichen Handlungsfelder erahnen. Sollte Leben nicht immer systemrelevant sein? Die Soziale Arbeit kann nicht als medizinischer Notfall firmieren, aber welche Folgen haben Isolation und Depressionen für die Gesellschaft? Kurz gesagt, nicht tödlich, aber langfristig schädlich. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind die Waisenkindversuche von Friedrich II. von Hohenstaufen zur Ursprache (sog. Kaspar-Hauser-Versuche), bei denen Waisenkinder nur mit dem Nötigsten versorgt wurden und starben. Die Soziale Arbeit muss sich orientieren und die Soziale Nähe als eine ihrer Kernkompetenzen nicht den Veränderungen und Notwendigkeiten unterordnen, sondern diese „verteidigen“ und mit neuem Leben füllen.

    Notlösungen oder Chance?
    COVID-19 stellte die Soziale Arbeit vor unzählige Herausforderungen, zwei davon können allerdings als dauerhaft gestaltend für die Identität der Sozialen Arbeit angesehen werden. Zum einen die Digitalisierung, welche tradierte Beratungsformen ablöst und eine Mehrbelastung für die Fachkräfte mit sich bringen kann. Zum anderen die Träger in Schieflage, da auch mit Mindestabständen genug Teilnehmende generiert werden müssen.

    Soziale Nähe gehört unstrittig zur Kernkompetenz der Sozialen Arbeit. Body Distancing schließt Soziale Nähe nicht aus, aber erfordert neue Formen und Methoden. Vielfach konnte der Königsweg „Face-to-Face“, nicht mehr aufrecht erhalten werden. Die Lösung schien in Beratungen per Telefon oder Videokonferenz zu liegen. Sicherlich ein zunächst gangbarer Weg, bleiben aber die Fragen, warum z. B. häusliche Gewalt, trotz umfänglicher Bemühungen, dennoch so stark zugenommen hat, sich die Anzahl an sozialer Isolation und Depressionen verdoppelt hat und psychisch Kranke kaum noch erreichbar waren. Scheinbar konnten doch nicht alle ratsuchenden Personen auf diesem Weg gleichermaßen erreicht werden.

    Ungeachtet des Erfolgs der Digitalisierung sollten die Mitarbeitenden nicht vergessen werden. Viele fühlten sich durch die Maßnahmen überfordert, isoliert und zweifelten deren Wirksamkeit an. Zudem betrachteten viele Träger die Mehrbelastung ihrer Mitarbeitenden nicht so sensibel, wie es für sie sinnvoll wäre. Wahrscheinlich sind zwei Erklärungen, einerseits, dass die Träger vermehrt in finanzielle Schieflagen gerieten und schlichtweg mit „Überleben“ beschäftigt waren und andererseits, dass die Solidarität und das Engagement der Fachkräfte über die eigentlichen Fragen hinwegtäuschen.

    Zusammengefasst steht die Soziale Arbeit vor der Herausforderung, sich selbst eine modifizierte Identität zu ermöglichen und sinnstiftend für alle Beteiligten sich zu rekonfigurieren.

    Bewährtes neu denken
    Die Soziale Arbeit gilt tradiert als eine Anwendungswissenschaft, die Neuerungen eher skeptisch gegenübersteht und zumeist langsam annimmt. Damit ist natürlich nicht die Adaption gesellschaftlicher Problemlagen gemeint, die sich zeitnah mit den gewohnten Methoden vollzieht. Mit der Pandemie folgte ein Quantensprung in der Entwicklung der Sozialen Arbeit, der mit der meist gelungenen Einbindung digitaler Wege und signifikanter Flexibilität einherging. Zentral für die Soziale Arbeit waren und bleiben die Klienten:innen und so wurden kreativ Wege gefunden. Viele Ratsuchenden konnten digital erreicht werden und die Kommunikationswege haben sich deutlich erweitert. Eine gänzlich veränderte Form von Niederschwelligkeit gehört nun genauso zum Repertoire wie klientenseitig erweiterte Chancen zur Teilhabe und sozialer Inklusion. Dabei ist aber nicht zu vergessen, dass manche Handlungsfelder der Sozialen Arbeit, ihren Fachkräften keine Möglichkeit gaben, regelkonform zu arbeiten und einige Fachkräfte sich durch ihr Weiterarbeiten strafbar machten.

    Soziale Arbeit nach COVID-19 sollte bewusst darüber diskutieren, was vom Alten bleibt und was an Neuem dazu kommt. Zum Einstehen für die Profession gehört auch ein Blick auf Bewährtes und Chancen. Letztlich wird eine normative Anwendungswissenschaft sich selbst und ihre Identität auch in Chancen- und Experimentierräumen finden, die sensibel bewertet und im Live-Betrieb getestet werden sollten. Dabei darf die Corona-Pandemie und der damit einhergehende Strudel an Ereignissen nicht leitend sein, sondern der Fokus wieder vermehrt auf das System Sozialer Arbeit gelenkt werden.

    Ein Blick in die Zukunft der Sozialen Arbeit
    Der Utopie, dass die Corona-Pandemie irgendwann vorbei geht, sollte sich die Soziale Arbeit nicht hingeben. Bleiben ohnehin die Fragen, wann soll das sein und welche Veränderungen die Gesellschaft dauerhaft begleiten werden. Die Soziale Arbeit sollte sich auf ihre Grundsätze und Kernkompetenzen fokussieren, Wege und Methoden finden, die eigene Identität zu bestimmen und für sich und ihre Klient:innen einzustehen. Befindlichkeiten und Wertigkeiten sind die eine Seite, auf der anderen Seite geht Hilfe von Hilfebedarf aus. Einen Königsweg wird es wahrscheinlich nicht geben, sondern das Verständnis von Sozialer Nähe und den zugehörigen (neuen) Methoden. „Face-to-Face“ ist nicht mehr die einzige Kernkompetenz für Soziale Nähe. Die Soziale Arbeit wird sich und ihre Professionalität neu konfigurieren und nicht zum Call-Center für soziale Dienstleistungen avancieren.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Daniela Voigt, Professorin für Soziale Arbeit an der SRH Fernhochschule
    E-Mail-Adresse: daniela.voigt@mobile-university.de
    Telefonnummer: 01776256802


    Bilder

    Anhang
    attachment icon PDF der Pressemitteilung "Braucht sozial digital? Die Soziale Arbeit im Wandel."

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
    Gesellschaft
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Studium und Lehre
    Deutsch


     

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