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02.09.2021 15:00

Kopfschmerztag 2021: Auswirkungen des Corona-Lockdowns auf Patientinnen und Patienten mit primären Kopfschmerzen

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Eine in Deutschland durchgeführte Studie [1] untersuchte, welche Auswirkungen der Lockdown auf Patientinnen und Patienten mit primären Kopfschmerzerkrankungen hatte. Es wurden die Einträge der Studienteilnehmenden in ein digitales Kopfschmerztagebuch analysiert. Zwar gaben viele eine anfängliche Stressreduktion durch den Lockdown an, aber es gab keine langfristigen positiven Auswirkungen auf die primären Kopfschmerzerkrankungen. Eine ähnliche Erhebung [2], die in Italien an Patientinnen/Patienten mit Migräne durchgeführt worden war, ergab, dass womöglich die Stressreduktion durch die Arbeit im Homeoffice positive Effekte hatte.

    Am 5. September ist Kopfschmerztag. Ziel des Aktionstags ist, auf die häufig unterschätzten Kopfschmerzerkrankungen und das Leiden der Betroffenen hinzuweisen. Aktuell untersuchten zwei Erhebungen, wie es Kopfschmerzpatientinnen und -patienten im Lockdown ergangen ist.

    Eine Studie [1] analysierte die Daten von deutschen Patientinnen und Patienten mit primären Kopfschmerzerkrankungen, die ein digitales Kopfschmerztagebuch mit der App „M-sense“ führten und die in den 28 Tagen vor dem Lockdown sowie in den ersten 28 Tag des Lockdowns regelmäßig ihre Daten eingepflegt hatten. Insgesamt konnten die Daten von 2.325 App-Nutzerinnen und -Nutzern ausgewertet werden. Analysiert wurden mögliche Veränderungen im Hinblick auf die monatlichen Kopfschmerztage, die monatlichen Migränetage, der akuten Bedarfsmedikation und der Schmerzintensität. Außerdem wurde erfasst, ob sich Schlafdauer, Schlafqualität, Lebensenergie, Gemütszustand, Stress- und Aktivitätslevel im Lockdown verändert hatten.

    Im Ergebnis zeigte sich, dass es keinen signifikanten Unterschied im Hinblick auf die Kopfschmerztage gab (7,01 ± 5,64 vor dem Lockdown vs. 6,89 ± 5,47 währenddessen, p>0,999). Auch in Bezug auf die monatlichen Migränetage und die Schmerzintensität konnte kein Unterschied festgestellt werden. Allerdings hatte sich die Anzahl der Tage, an denen die Betroffenen eine Akuttherapie benötigten, signifikant reduziert – von 4,50 ± 3,88 auf 4,27 ± 3,81 (p < 0.001). Auch berichteten die App-User einen geringeren Stress- und Aktivitätslevel sowie längere Schlafzeiten, bessere Laune und mehr Energie. „Demnach war der Lockdown in einem gewissen Umfang positiv für Menschen mit Kopfschmerzerkrankungen. Es ist bekannt, dass es einen Zusammenhang zwischen hoher Arbeitsbelastung, mangelnder Erholung und Kopfschmerzen gibt, und offensichtlich führte der Lockdown dazu, dass die Betroffenen etwas ‚herunterfahren‘ konnten. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren in Kurzarbeit und bei den anderen fielen die Wegezeiten zur Arbeit weg, was zu mehr Freizeit führte, außerdem dauerte es oft mehrere Tage oder gar Wochen, bis eine funktionierende Homeoffice-Infrastruktur etabliert war und sie in gewohnter Weise weiterarbeiten konnten“, erklärt Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN.

    Allerdings war der positive Effekt nicht nachhaltig: In einer weiterführenden Analyse der Daten von 439 der Nutzerinnen und Nutzer wurden die monatlichen Kopfschmerztage, die monatlichen Migränetage, die akute Bedarfsmedikation und die Schmerzintensität dann erneut nach drei Monaten erhoben und mit den Ausgangswerten von vor dem Lockdown verglichen. Es zeigte sich, dass es nun keinerlei Unterschiede mehr gab, auch nicht in Bezug auf die Akutmedikation. Die Autorinnen und Autoren schlussfolgern, dass die anfängliche Stressreduktion durch den Lockdown keine langfristigen Auswirkungen auf die primären Kopfschmerzerkrankungen hatte. „Womöglich brachte der Lockdown neue Stressoren mit sich, durch das Homeschooling, die soziale Isolation oder auch durch Zukunftsängste und finanzielle Sorgen“, erklärt Prof. Berlit weiter.

    Eine ähnliche Erhebung [2] war in Italien an Migränepatientinnen und -patienten mittels eines E-Mail-Fragebogens durchgeführt worden. 92 Betroffene nahmen an der Umfrage teil. Die Attackenhäufigkeit war bei 40,2% der Befragten während des Lockdowns konstant geblieben, bei 33,7% hatte sie sich erhöht, bei 26,1% reduziert. Die Dauer der Attacken war bei 55,4% gleichgeblieben, bei 23,9% war sie länger geworden, bei 20,7% hatte sie sich verkürzt. Der Migräneschmerz war bei 65,2% gleich oder vermindert, bei 34,8% hatte die Schmerzintensität zugenommen. Die Wirksamkeit der Migränemedikamente gaben 73,9% der Befragten mit gleich gut an, 17,4% nahmen sie als vermindert wahr, 8,7% als verbessert. Zusammenfassend hatte der Lockdown in dieser Erhebung bei ca. der Hälfte der Patientinnen und Patienten keinerlei Auswirkungen, bei einem Viertel führte er zu Verbesserungen, bei einem anderen Viertel zu Verschlechterungen.

    Was aber besonders interessant war: Die Arbeitsgruppe analysierte auch Faktoren, die auf die Migräne Einfluss nehmen: Interessant war das Ergebnis, dass die Patientinnen/Patienten, die im Homeoffice arbeiteten, weniger Medikamente benötigten, eine geringere Schmerzintensität hatten sowie eine kürzere Attackendauer. Die Autorinnen und Autoren schlussfolgern, dass das Arbeiten im Homeoffice ein möglicher Weg sein könnte, um die Lebensqualität von Menschen mit Migräne zu verbessern. „Diese Hypothese ist nicht abwegig, denn wir wissen, dass bestimmte Trigger, wie beispielsweise Stress oder Lärm, Migräne-Attacken auslösen. Im Großraumbüro kann man sich dem weniger gut entziehen als im Homeoffice. Auch hat man zuhause immer einen Rückzugsraum und kann sich ‚rausnehmen‘, wenn eine Attacke beginnt, was die Intensität und Länge der Schmerzen günstig beeinflussen kann“, erklärt DGN-Pressesprecher Prof. Dr. Hans-Christoph Diener. „Arbeiten im Homeoffice kann also für Patientinnen und Patienten mit Migräne durchaus sinnvoll sein.“ Weitere Tipps, wie Betroffene mit der Migräne umgehen können, welche attackenauslösenden Faktoren es gibt und wie die Erkrankung durch medikamentöse und nichtmedikamentöse Therapien behandelt werden kann, finden sich im „Migräne-Therapiekompass“ von Prof. Diener [3].

    Literatur
    [1] Raffaelli, B., Mecklenburg, J., Scholler, S. et al. Primary headaches during the COVID-19 lockdown in Germany: analysis of data from 2325 patients using an electronic headache diary. J Headache Pain 22, 59 (2021).
    https://thejournalofheadacheandpain.biomedcentral.com/articles/10.1186/s10194-02...

    [2] Currò, C.T., Ciacciarelli, A., Vitale, C. et al. Chronic migraine in the first COVID-19 lockdown: the impact of sleep, remote working, and other life/psychological changes. Neurol Sci (2021).
    https://link.springer.com/article/10.1007/s10072-021-05521-7

    [3] Diener C. Der Migräne-Therapiekompass. Migräneattacken vorbeugen: Welche Medikamente und andere Therapien wirklich helfen. Trias Verlag. ISBN: 9783432114484

    Pressekontakt
    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o Dr. Bettina Albers, albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
    Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 10.000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. Gereon R. Fink
    Past-Präsidentin: Prof. Dr. med. Christine Klein
    Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
    Geschäftsführer: Dr. rer. nat. Thomas Thiekötter
    Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    Originalpublikation:

    https://doi.org/10.1186/s10194-021-01273-z


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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