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22.03.2004 13:56

Goethes Tinten analysiert - Neudatierung widerlegt bisherige Ansichten von Goethes Farbenlehre

Petra Schmidt-Bentum Referat für Kommunikation und Marketing, Team Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Fachhochschule Köln

    Goethes Farbenlehre ist der wichtigste Gegenentwurf zu Newtons optischer Theorie. In der Forschung umstritten ist der Zeitpunkt, zu dem Goethes langjähriger Kampf gegen Newton begann. In einer deutsch-schweizerischen Kooperation (Prof. Dr. Robert Fuchs, FH Köln, und Reinhold Sölch, Bern) konnte die bisherige Forschung widerlegt werden. Diese war bislang davon ausgegangen, dass Goethes wesentlichen Erkenntnisse seiner Farbenlehre bereits auf das Jahr 1790 zu datieren sind. Tatsächlich begannen sie erst nach 1791 - das beweisen neueste Analysen mit der Infrarottechnik von Prof. Dr. Robert Fuchs, vom Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft der Fachhochschule Köln. Newton hatte die Hypothese aufgestellt, dass in Weiß alle Farben enthalten sind, während Schwarz die Abwesenheit jeglicher Farbe bedeutet. Dies widersprach Goethes Auffassung vom Wesen der Natur, der zufolge jedes Ding und jede Erscheinung eine Entstehungsquelle hat. Folglich sollte jede Farbe, auch Weiß und Schwarz eine eigene Materie und einen eigenen Ursprung haben.

    EIN ZUFÄLLIGER BLICK DURCH EIN PRISMA?
    Die Forschung der vergangenen 50 Jahre war einhellig der Meinung, Goethes Farbenstudien hätten so begonnen, wie er es in seiner Autobiographie "Konfession des Verfassers" beschrieben hat: ein zufälliger Blick durch ein Prisma, das ein Bote des Besitzers wieder zurückforderte, gefolgt von physikalischen Überlegungen, führten Goethe zu seiner Newton-Kritik. Er deutete die im Prisma sichtbaren Farbränder so, dass Blau aus Schwarz und Gelb aus Weiß entsteht. Jetzt hatte er das letzte Glied seiner Entwicklungstheorie der Natur gefunden. Als Zeitpunkt dieses zufälligen, hypothesenfreien Blicks durch das Prisma bestimmte man den Januar oder Februar 1790, da Goethe anschließend nach Venedig reiste und bereits dort drei "optische Epigramme" (Epigramme = Spottgedichte) geschrieben habe, die sich gegen Newton richten.

    ZWEIFEL AN GOETHES AUTOBIOGRAPHISCHEN ANGABEN
    Diese Theorie gerät nun ins Wanken. Zunehmende Zweifel an Goethes autobiographischen Angaben, die auf eine Akzeptanz bei den zeitgenössischen Physikern abzielten, Widersprüche zwischen seiner Autobiographie und den überlieferten Briefen, sowie die Erkenntnis, dass Goethe keineswegs hypothesenfrei und physikalisch motiviert an die Farben herantrat, lassen die überlieferten Briefe wichtiger erscheinen als Goethes "Konfession". Demnach hätte sein erster Blick durch das Prisma frühestens am 17. Mai 1791 stattgefunden, also nach seiner Venedigreise, nachdem er bereits die Hypothese vertrat, die Vielfalt der Farben könne von wenigen einfachen Farben abgeleitet werden und unterliege allgemeinen Entwicklungsgesetzen der Natur.

    NATURWISSENSCHAFTLICHE ANALYSE MIT INFRAROTREFLEKTOGRAPHIE BRINGT LICHT IN DEN SACHVERHALT
    Gegen die Datierung auf den 17. Mai 1791 sprachen zunächst noch einige Verse der "Venezianischen Epigramme", die Goethe 1795 publiziert und mehrheitlich 1790 in Venedig geschrieben hat. Daher wurde der Beginn von Goethes Farbenlehre überwiegend vor die Venedig-Reise ins Jahr 1790 datiert. Die "Venezianischen Epigramme" befinden sich in der Handschrift H55, von der angenommen wurde, sie sei unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Venedig entstanden. Auch seine drei angeblich ältesten Gedichte über Farben hat Goethe hier notiert. Da die Handschrift aus zwei Teilen besteht, wurden bereits mehrfach in der Forschung Zweifel an ihrer Einheitlichkeit geäußert. Doch erst eine naturwissenschaftliche Analyse der H55 mittels Infrarotreflektographie konnte die Frage eindeutig klären. Mitte Februar 2004 war es dem Forscher Prof. Dr. Robert Fuchs von der Fachhochschule Köln möglich, die Handschrift mit der an der Hochschule entwickelten Infrarottechnik zu untersuchen. Die Ergebnisse brachten endlich Licht in den Sachverhalt:
    Der erste Teil wurde mit einer einheitlichen Tinte geschrieben und mit derselben Tinte von Goethe eigenhändig 1790 datiert. Der zweite Teil ist dagegen mit einer abweichenden Tinte geschrieben. Mit dieser zweiten Tinte fügte Goethe auf das Titelblatt des ersten Teiles den Nachtrag "Erstes Buch" hinzu. Erst jetzt also, vermutlich bei der Vorbereitung für den Druck 1795, wurde eine Erweiterung vorgenommen, durch die die in Venedig entstandenen Epigramme zu einem "Ersten Buch" wurden. Der zweite Teil der H55, der die drei "optischen Epigramme" beinhaltet, ist demnach erst ein bis vier Jahre nach Goethes Venedigreise entstanden. Damit ist also der Beginn von Goethes optischer Forschung wohl erst auf den Mai 1791 zu datieren.

    Der bisher viel zitierte Bote des Prismabesitzers Büttner erscheint immer mehr als autobiographische Fiktion. Am Anfang von Goethes Farbenlehre stand vielmehr seine erste Schrift "Über das Blau", Ansichten über einfache und zusammengesetzte Farben, die er von Leonardo da Vinci übernommen hatte, Gedanken über Entwicklungsgesetze bei der Farbenvielfalt, Zweifel an Newton und die gezielte Absicht, anhand eines Prismas seinen Artikel "Über das Blau" zu verifizieren oder zu verwerfen.

    Zwei wichtige überlieferte Briefe
    Goethe an Karl August am 17. Mai 1791: "Die Theorie der blauen Farbe habe ich auch in diesen Tagen geschrieben und werde sie in irgend ein Journal einrucken lassen." [Die Theorie der blauen Farbe enthielt noch kein Wort über das Prisma oder die Polarität gelb-blau]

    Goethe an Karl August am 18. Mai 1791: "Noch kann ich mit lebhafter Freude melden, dass ich seit gestern die Phänomene der Farben wie sie das Prisma, der Regenbogen, die Vergrößerungsgläser pp. zeigen auf das einfachste Prinzipium [die Polarität] reduziert habe. Vorzüglich bin ich durch einen Widerspruch Herders dazu animiert worden, der diesen Funken herausschlug."

    Die drei "optischen Epigramme" aus dem zweiten Buch der H55:
    (20)
    "Mit Botanik gibst du dich ab? mit Optik? Was tust du?
    Ist es nicht schönrer Gewinn, rühren ein zärtliches Herz?"
    Ach, die zärtlichen Herzen! Ein Pfuscher vermag sie zu rühren;
    Sei es mein einziges Glück, dich zu berühren, Natur!
    (21)
    Weiß hat Newton gemacht aus allen Farben! Gar manches
    Hat er euch weis gemacht, das ihr ein Säkulum glaubt.
    (22)
    "Alles erkläret sich wohl", so sagt mir ein Schüler, "aus jenen
    Theorien, die uns weislich der Meister [Newton] gelehrt."
    Habt ihr einmal das Kreuz von Holze tüchtig gezimmert,
    Passt ein lebendiger Leib freilich zur Strafe daran.

    Weitere Informationen
    Fachhochschule Köln, Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft
    Prof. Dr. Robert Fuchs, Ubierring 40, 50678 Köln
    Tel: 0221-8275-3477, Fax: 0221-8275-73477, E-Mail: robert.fuchs@fh-koeln.de

    Reinhold Sölch, Buchautor
    Schwarzenburgstr. 336; CH 3098 Köniz, Tel: 0041-79-756-48-16, E-Mail: rsoelch@tiscali.ch


    Weitere Informationen:

    http://www.goethes-farbenlehre.com


    Bilder

    Infrarotreflektographie der H55 durch  Prof. Dr. Robert Fuchs  © Reinhold Sölch
    Infrarotreflektographie der H55 durch Prof. Dr. Robert Fuchs © Reinhold Sölch

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    Die Infrarotreflektographie hat ergeben, dass die Zeilen "Erstes Buch" und "===" erst mit der Tinte des zweiten Buches nachträglich eingefügt wurden (vermutlich 1795) © Reinhold Sölch
    Die Infrarotreflektographie hat ergeben, dass die Zeilen "Erstes Buch" und "===" erst mit der Tinte ...

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Mathematik, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Physik / Astronomie, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Infrarotreflektographie der H55 durch Prof. Dr. Robert Fuchs © Reinhold Sölch


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    Die Infrarotreflektographie hat ergeben, dass die Zeilen "Erstes Buch" und "===" erst mit der Tinte des zweiten Buches nachträglich eingefügt wurden (vermutlich 1795) © Reinhold Sölch


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