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18.11.1998 09:26

Carl Stumpf - Revolutionaer der Wissenschaft

Robert Emmerich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    Ein Fest sollte sie werden, die wissenschaftliche Tagung zum 150. Geburtstag von Carl Stumpf (1848-1936). Und sie wurde ein Fest: Acht Nachkommen Stumpfs, sein Enkel und einige Urenkel, sowie 20 Referenten aus Europa und Übersee waren der Einladung nach Würzburg gefolgt.

    Die Gäste konnten den Wurzeln Stumpfs direkt an dessen Geburtsort Wiesentheid im Landkreis Kitzingen nachgehen: Bürgermeister und Gemeinderat empfingen die Konferenzteilnehmer im Rathaus und führten sie zum Geburtshaus von Carl Stumpf. Zur Erinnerung an den "großen Sohn der Marktgemeinde" wurde eine Gedenktafel enthüllt; ein Festvortrag vor einem breiten Publikum schloß sich an.

    Der Philosoph und Psychologe Carl Stumpf hatte bei den führenden Gelehrten seiner Zeit studiert: bei Franz Brentano in Würzburg, bei Hermann Lotze in Göttingen. Schon als 25jähriger wurde er auf den für ihn neu eingerichteten Lehrstuhl für Philosophie II der Universität Würzburg berufen. Seine Ideen waren revolutionierend für die Wissenschaft, weil er das Verhältnis von Theorie und Experiment, von Philosophie und Naturwissenschaft nachhaltig bestimmte.

    Die internationale und interdisziplinäre Fachkonferenz zum Gedenken an Stumpf wurde vom 30. September bis 3. Oktober von der Würzburger Franz Brentano-Forschung (Prof. Dr. Wilhelm Baumgartner) ausgerichtet. Der wissenschaftliche Teil der Veranstaltung wurde im Institut für Philosophie in der Residenz von Universitätsvizepräsident Prof. Dr. Jobst Böning, Prof. Dr. Horst Rupp, Dekan der Philosophischen Fakultät III, und Prof. Dr. Karl-Heinz Lembeck, Vorstand des Instituts für Philosophie, eröffnet. Bei den Referenten und Moderatoren handelte es sich um Philosophen, Psychologen, Historiker und Musikwissenschaftler aus sechs Ländern Europas und den USA.

    Der erste Konferenzteil widmete sich vornehmlich dem Wissenschaftler Stumpf unter Berücksichtigung seiner Biographie. Die Stationen Würzburg, Prag, Halle und Berlin wurden vorgestellt im Hinblick auf das Schaffen Stumpfs, seine geistige Entfaltung, seine Wirkung als Lehrer und Forscher. Seine Einordnung in einen interdisziplinären Zusammenhang war schon durch die Ausrichtung seines Denkens gegeben: Der historisch-systematisch angelegte Versuch Stumpfs bestand darin, die Philosophie seiner Zeit nicht nur "in Gedanken zu fassen", sondern sie auch in den Zusammenhang der Fachwissenschaften, besonders der empirischen Psychologie und Psychophysik zu stellen und Wege der gegenseitigen Wirkungen aufzuzeigen.

    Stumpf sah sich als Mittler zwischen Erkenntnistheorie und zeitgenössischer empirischer Forschung. Eine solche Stellung zwischen "Schreibtisch und Labor" konnte er durchaus für sich beanspruchen: Seit seiner Studienzeit als Philosophiestudent besuchte er stets auch Veranstaltungen von Naturwissenschaftlern, arbeitete beispielsweise im chemischen Labor mit und kannte die "physikalische Sammlung" an der Universität Würzburg. Die dabei gewonnenen Kenntnisse flossen in die epochemachende zweibändige "Tonpsychologie" ein, die auch im ehemaligen K.u.K. Österreich, in Italien und in England lebhaft aufgenommen wurde, und zwar von Philosophen und Psychologen gleichermaßen.

    Es sei, wie im weiteren Verlauf der Tagung betont wurde, bezeichnend für Stumpf, daß er die empirische wahrnehmungspsychologische Forschung vor dem Hintergrund seiner ebenfalls empirisch motivierten "Erkenntnistheorie" betrieb. So zerfielen Naturwissenschaft und Philosophie bei ihm nicht in Disziplinen, als ob sie nichts gemein hätten, sondern seien durch einen methodischen Zusammenhalt gekennzeichnet: die analytische Beschreibung von Denkvorgängen wie von physikalischen "Erscheinungen" und die Ausweisung ihres gesetzesartigen Zusammenhangs.

    Die Ergebnisse der Tagung lassen sich laut Prof. Baumgartner folgendermaßen zusammenfassen: Stumpf liefert einen formalisierten Aspekt, das Leib-Seele-Problem in den Griff zu bekommen. Durch seine "Erscheinungs"-Lehre wird er zu einem Vorläufer der Phänomenologie seines Schülers Edmund Husserl. Zudem zeichnet Stumpf in seinen wahrnehmungspsychologischen Untersuchungen die Denkmuster vor, die später in Form der Gestaltpsychologie seiner Schüler Max Wertheimer, Wolfgang Köhler und Kurt Koffka berühmt werden. Schließlich weist Stumpfs Analyse psychischer Zustände und Ereignisse ihn als frühen Vordenker der heutigen Philosophie des Geistes aus.

    Die Veranstaltung wurde unterstützt von der Fritz Thyssen-Stiftung, dem Universitätsbund Würzburg und der Privatbrauerei Stumpf (Lohr). Die Vorträge der Tagung sollen in Band IX der Brentano-Studien veröffentlicht werden.

    Weitere Informationen: Prof. Dr. Wilhelm Baumgartner, T (0931) 31-2858, Fax (0931) 572261, E-Mail:
    wilhelm.baumgartner@mail.uni-wuerzburg.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Philosophie / Ethik, Psychologie, Religion
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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