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24.03.2004 13:19

Borderline-Störung besser therapieren - Pfizer-Forschungspreis der RUB verliehen

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Vernachlässigung und Gewalterfahrung in der Kindheit gehören zu den wichtigsten Ursachen der Borderline-Persönlichkeitsstörung, die sich u. a. durch eine instabile Gefühlswelt und selbstschädigendes Verhalten auszeichnet. Das ergab eine Studie, die Dr. Dr. Andreas Remmel über zwei Jahre hinweg an der RUB durchführte. Aufbauend auf seinen Ergebnissen entwickelte er eine verbesserte Behandlungsstrategie. Für sein Projekt wurde er mit einem der Pfizer-Forschungspreise der RUB ausgezeichnet.

    Bochum, 24.03.2004
    Nr. 92

    Vernachlässigt als Kind - psychisch krank als Erwachsener
    Verbesserte Therapie von Borderline-Syndrom und Essstörungen
    Pfizer-Forschungspreis der RUB verliehen

    Viele Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen (BPS) haben während oder seit ihrer Kindheit Ablehnung, Vernachlässigung oder Gewalt durch wichtige Bezugspersonen erlebt und eine Störung ihrer Emotionsverarbeitung entwickelt. Das ergab eine Studie, die Dr. Dr. Dipl.-Psych. Andreas Remmel über zwei Jahre hinweg am Westfälischen Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapie (WZfPP), Klinikum der Ruhr-Universität Bochum, durchführte. Ausgehend von diesem Ergebnis entwickelte er spezielle Behandlungsstrategien, mit denen es gelang, die Symptome des Borderline-Syndroms und auch von Essstörungen zu lindern. Für seine Ergebnisse wurde Dr. Dr. Remmel mit einem der Pfizer-Forschungspreise der RUB ausgezeichnet.

    Instabile Gefühlswelt, Selbstschädigung

    Patienten mit Borderline-Störung pflegen häufig exzessive, aber sehr instabile Beziehungen und zeigen selbstschädigendes Verhalten, z.B. bei Geldausgaben, riskanten sportlichen Aktivitäten, Sexualität. Häufig sind Alkohol- und Drogenmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, "Fressanfälle", wiederholte Selbstmordversuche und massive Selbstverletzungen, z. B. durch Schneiden oder Kopf-gegen-die-Wand-Schlagen. "Die Krankheit zeichnet sich durch ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild des Patienten, in seinem Umgang mit Gefühlen und durch eine hohe Impulsivität aus", so Dr. Dr. Remmel. Die Patienten erleben ein chronisches Gefühl von Leere und unangemessene, heftige Wut. Vorübergehend kann es auch zu Wahnvorstellungen und Bewusstseinsstörungen kommen. Viele Borderline-Patienten leiden unter ausgeprägten Essstörungen und Körperbildveränderungen, zumeist einer Bulimie (Ess-/Brechsucht). 75 Prozent der Betroffenen sind in Behandlung. Die stationäre Behandlung dieser Patientengruppe in allen klinischen Fachdisziplinen kostet in der Bundesrepublik pro Jahr ca. drei Mrd. Euro und macht damit 15 Prozent des Gesamtbudgets für die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung in Deutschland aus.

    Ziel: Risikofaktoren erkennen

    Um die Störungen besser behandeln zu können, gingen Dr. Dr. Remmel und seine Mitarbeiter an der Psychiatrischen Klinik der RUB einigen der Ursachen auf den Grund. Sie entwickelten zusammen mit dem Psychologischen Institut der RUB, dem Deutschen Kollegium für Psychosomatische Medizin, der Uniklinik Jena und der Borderline-Gruppe der Psychiatrischen Uniklinik Freiburg spezielle Interviewverfahren und führten binnen zweier Jahre mit insgesamt 215 psychiatrischen Patienten (75 mit Borderline-Syndrom) Intensiv-Interviews durch, die sie auf Video aufzeichneten. Außerdem füllten die Patienten zahlreiche z. T. eigens entwickelte Fragebögen aus. Alle Interviews und Fragebögen wurden durch speziell geschulte Doktoranden und Diplomanden ausgewertet. Dazu gehörte z. B. der Vergleich zwischen der verbalen Antwort auf eine Frage und der Körpersprache. So ergründeten die Forscher psychosoziale Belastungs- und Risikofaktoren, insbesondere frühe Bindungs- und Beziehungserfahrungen und ihre Bedeutung für gegenwärtige Beziehungsgestaltungen und den Behandlungserfolg. Außerdem untersuchten sie, wie Patienten mit massiven Selbstverletzungstendenzen und Essstörungen ihren eigenen Körper wahrnehmen, kognitiv repräsentieren und emotional erleben.

    Bindungserfahrung in der Kindheit ist maßgeblich

    Die Ergebnisse: Patienten mit einer Borderline-Störung berichten über unsichere Bindungserfahrungen in ihrer Kindheit. Nahe Bezugspersonen, meist Mütter oder Väter, wurden fast durchgängig als sehr ambivalent geschildert; Patienten erlebten wenig Aufmerksamkeit und Feinfühligkeit, ihre Bedürfnisse und Gefühle wurden wenig beachtet und sehr unterschiedlich beantwortet. "Die Patienten konnten sich nicht auf ihre Bezugspersonen und deren Reaktionen verlassen", bringt es Dr. Dr. Remmel auf den Punkt. Die Patienten entwickelten häufig ein ausgeprägtes "Schwarz-Weiss-Denken" und eine wenig differenzierte Sicht anderer Menschen und Sachverhalte. Eine Teilgruppe zeigte auch festgelegte Negativmuster in der Wahrnehmung und Bewertung anderer Menschen.

    Typisch: Negative Körperwahrnehmung

    Gegen ihren eigenen Körper entwickelten viele Patienten schon früh einen ausgeprägten Selbsthass, vielfach als Umkehr erlebter Kränkungen oder Vernachlässigungen. Der eigene Körper wird zum gehassten Objekt. Selbstverletzungen erfüllen eine dreifache Funktion: Sie lösen Spannungszustände oder richten sich gegen den gehassten Körper, bei manchen Patienten sorgen sie aber auch für einen euphorischen "Kick", der die Gefühlsleere ausgleicht. Auch in dieser Gruppe hatte ein großer Teil der Patienten Erfahrungen körperlichen und/oder sexuellen Missbrauchs oder von Misshandlung/Vernachlässigung in der Kindheit oder Jugend machen müssen.

    Magersüchtige unterdrücken Bedürfnisse

    Patientinnen mit Magersucht scheinen andere Bindungserfahrungen gemacht zu haben. Im Gegensatz zu Patienten mit Ess-/Brechsucht und Borderline-Störung hatten ihre Bezugspersonen jedoch nicht unstet, sondern meist gar nicht auf ihre Bedürfnisse reagiert. Daher hatten sie Strategien entwickelt, eigene Wünsche, Bedürfnisse und Gefühle eher zu unterdrücken und zeigten fast alle eine hohe Leistungsorientierung, mit z. T. zwanghaftem Denken und perfektionistischen Zügen.

    Erfolgreiches neues Therapiekonzept

    Aufgrund dieser Erkenntnisse entwickelten Dr. Dr. Remmel und sein Team bewährte Therapieverfahren weiter. Im Rahmen der sog. dialektisch-behavioralen Therapie (DBT) lernen Patienten, ihre Gefühle besser wahrzunehmen, zu differenzieren und Spannungen auf andere Art und Weise abzubauen, mit anderen klarer zu kommunizieren und Stress besser zu tolerieren. So erarbeiten sie z. B. konkrete Alternativen für selbstschädigendes Verhalten. "Alle im WZfPP diagnostizierten und behandelten Patienten zeigten zu Therapiebeginn eine sehr hohe Symptombelastung", erläutert Dr. Dr. Remmel. "Nach etwa drei Monaten stationärer Therapie waren die Häufigkeit von Selbstverletzungen und zwischenmenschlichen Problemen deutlich verringert. Dabei scheint der Beachtung der verschiedenen spezifischen Bindungsrepräsentationen der Patienten eine wichtige Rolle für den Therapieerfolg zuzukommen." Nach der stationären Therapie sollten die Patienten ambulant weiter behandelt werden. Zurzeit arbeiten Dr. Dr. Remmel und seine Mitarbeiter an einer Ergänzung der Behandlungsstrategien für Essstörungen und posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), die nach lebensbedrohlichen Situationen im Erwachsenenalter auftreten können.

    Pfizer-Preise für herausragende medizinische Forschung

    Mit den Pfizer-Preisen ehrt FoRUM (Forschungsförderung RUB Medizinische Fakultät) jedes Jahr herausragende Projekte, die aus den Mitteln der Medizinischen Fakultät gefördert wurden. Weitere Pfizer-Forschungspreise gingen an Dr. Lars Steinsträsser, der die Wirkung antimikrobieller Peptide auf die Wundheilung erforscht, an Dr. Holger Sudhoff für seine Erforschung des Abbaus der Gehörknöchelchen beim Cholesteatom und an Dr. Stephan Weihe, der eine Hochdruckbegasungsanlage zur Beschichtung von Schädelimplantaten entwickelte.

    Weitere Informationen

    Dr. Dr. Dipl. Psych. Andreas Remmel, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI), Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Fakultät für Klinische Medizin, Universität Heidelberg, J5; 68159 Mannheim, Tel. 0621/1703-470 od.-402, Fax: 0621/1703-424, E-Mail: remmel@zi-mannheim.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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