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25.03.2004 16:47

Damit der medizinische Fortschritt beim Patienten ankommt

Axel Burchardt Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Mittel- und ostdeutsche Narkoseärzte und Intensivmediziner tagen seit heute in Weimar

    Jena (25.03.04) Es gibt moderne Medikamente, die die Behandlung Kranker verbessern. Dennoch sind die Ärzte heute gezwungen, jede Medikamentengabe nicht nur medizinisch, sondern auch ökonomisch zu prüfen, denn die Budgets in den Krankenhäusern und Arztpraxen sind seit der Gesundheitsreform stark gedeckelt. An Blutvergiftung (Sepsis) erkranken dreimal so viele Menschen wie an Brustkrebs, rd. 15-mal so viele wie an Aids. Die Sepsissterblichkeit, die bei ca. 40 % liegt, kann aber, wie jüngste Studien zeigen, um 6-15 % gesenkt werden, wenn neue Therapieverfahren zum Einsatz kommen. Eine effektive neue Substanz ist z. B. aktiviertes Protein C, doch die Behandlung mit diesem neuen Medikament kostet rund 10.000 Euro pro Patient. Prof. Dr. Konrad Reinhart machte das Problem heute (25.03.) während einer Pressekonferenz an diesem Beispiel deutlich. Der Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie der Friedrich-Schiller-Universität Jena ist Mitorganisator der heute in Weimar startenden Ärzte- und Pflegetagung "Perioperative Medizin im Spannungsfeld von klinischen Ansprüchen und wirtschaftlichen Zwängen". Bis zum 27. März werden über 700 Mediziner, Krankenschwestern, Juristen und Krankenhausbetreiber in Weimar bei der Jahrestagung der Landesverbände der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten (BDA) von Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen über diesen Zwiespalt diskutieren.

    Die Probleme sind vielfältig: Moderne Medikamente sind oft wesentlich teurer als ihre Vorgänger. Ein neues Antibiotikum, das auf Intensivstationen gegen bestimmte Infektionen eingesetzt wird, kostet etwa 1.000 Euro, während das Vorgängermedikament mit nur 100 Euro zu Buche schlug, nennt Reinhart ein Beispiel. Um Sepsis, die die Haupttodesursache auf Intensivtherapiestationen darstellt, zu behandeln, wird je nach Krankenhaus ein Fünftel bis die Hälfte der Behandlungskosten in der Intensivtherapie ausgegeben, unterstreicht Reinhart, der auch Vorsitzender der Deutschen Sepsis-Gesellschaft ist. Das Ziel dieser Gesellschaft ist es, in den nächsten fünf Jahren die Sepsis-Sterblichkeit um 25 % zu reduzieren. Wie dies trotz beständig zunehmender Kosten und gleichbleibenden bis sinkenden Etats möglich sein kann, ohne in eine Zwei-Klassen-Medizin zu geraten, wird während der Tagung intensiv diskutiert.

    "Es ist das erste Mal in meinem medizinischen Leben, dass ich über ein Rationieren von Medikamenten nachdenken muss", sagt der 56-jährige Jenaer Mediziner. Daher wird es Fälle geben, ist sich Prof. Reinhart sicher, in denen ein schwer erkrankter Patient mit nur sehr geringer Lebenserwartung statt des teueren nur ein billigeres Medikament erhalten wird. Eine amerikanische Studie zeigt, dass das aktivierte Protein C-Medikament von 27 % der Ärzte wegen seiner hohen Kosten zurückgehalten wurde. "Doch wir wollen Therapie-Entscheidungen nicht aus ökonomischen Zwängen treffen müssen, sondern aus medizinisch-ethischen Erwägungen", ergänzt Oberarzt Dr. Winfried Meißner. Der Leiter der Jenaer Schmerzambulanz ist der Meinung, dass hier die Gesellschaft im Vorfeld entscheiden muss, wie viel Medizin sie sich leisten kann und will.

    Die Kosten für die Intensivmedizin sind in den neuen Fallpauschalen (DRGs), bei denen die Krankenkassen pro Patient und nicht pro Behandlungstag zahlen, ungenügend berücksichtigt, meinen die Experten. Dies bedeutet, dass bereits jetzt für Intensivmedizin bundesweit ca. zwei Mrd. Euro mehr ausgegeben werden als von den Kassen bezahlt wird. Neue teure Substanzen lassen sich, wenn sich hier nichts ändert, nur schwer finanzieren.

    Zusätzliche Mittel müssen in diese intensive und überlebensnotwendige Fachrichtung eingebracht werden, fordern die Anästhesisten und Intensivmediziner. Geld, das sie auf der anderen Seite teilweise selber einsparen können und wollen, machten die Intensivmediziner heute deutlich. Die Einführung neuer Organisations-Strukturen ermöglicht es, dass pro Patient bis zu einem Drittel Medikamentenkosten eingespart werden können, wie Bonner und Jenaer Studien beweisen. So wird die interdisziplinäre Zusammenlegung der Intensivstationen unter Leitung der Anästhesiologie im neuen Jenaer Klinikum "Einsparungen im sechsstelligen Bereich" bringen, weist Prof. Reinhart auf einen Punkt. Diese Zentralisation sei auch am Klinikum Meiningen erfolgreich durchgeführt worden, bestätigt sein Ärztlicher Direktor und BDA-Vorsitzender Dr. Eckhard Meinshausen. Hinzu kommt der weitere Vorteil, dass dann etwa die Chirurgen mehr Zeit für ihre Operationsaufgaben haben, ohne von der Nachbetreuung ihrer Patienten ausgeschlossen zu sein. Auch andere Organisationsveränderungen nützen Patienten und staatlichem Geldbeutel, wie Dr. Meißner an einem Beispiel aufzeigt. In der Schmerzbehandlung nach Knieoperationen wurden eine Regionalanästhesie, die nur von Schmerzspezialisten durchgeführt werden kann, mit einer Behandlung durch konventionelle Schmerzmittel verglichen. Bei den konventionellen Schmerzmitteln litten nach 24 Stunden ca. dreimal so viele Patienten unter Schmerz wie bei der Regionalanästhesie. Und die nachfolgende Reha-Maßnahme war rund 25 % kürzer, wodurch wiederum Kosten eingespart werden können, so Meißner.

    Als vierte kostensparende Maßnahme plädiert Prof. Reinhart dafür, so weit wie möglich "evidenzbasierte Medizin" zu betreiben. Nicht die Pharmaindustrie, sondern die medizinische Wissenschaft müsse den Fortschritt der Medikamente und Therapien definieren und ihren professionellen Einsatz bestimmen. "Wenn wir nicht das Unsinnige weglassen, kann keine Gesellschaft die ständig steigenden Kosten für die Medizin noch bezahlen", plädiert Prof. Reinhart für solche Qualitätsprüfungen.

    Sollten diese Maßnahmen, über deren Details in Weimar ausführlich diskutiert wird, nicht umgesetzt werden, "dann werden einige Krankenhäuser pleite gehen", ist sich der Jenaer Mediziner sicher. Doch er ist optimistisch, dass die vorgeschlagenen Veränderungen und ein neues Bewusstsein der Politik für die wichtige Rolle der Narkoseärzte und Intensivmediziner auch in Zukunft jedem Patienten eine optimale Behandlung sichern. "Dieses Fachgebiet kann mit seinem Fachwissen im Bereich der Narkoseführung, der Notfallmedizin, der Schmerztherapie und der Intensivmedizin wesentlich dazu beitragen, dass mehr kritisch kranke Patienten das Krankenhaus lebend verlassen und den Krankenhausaufenthalt so schmerzfrei wie möglich zu gestalten", so Reinhart.

    Kontakt:
    Prof. Dr. Konrad Reinhart
    Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie der Universität Jena, 07740 Jena
    Tel.: 03641 / 9323111
    E-Mail: konrad.reinhart@med.uni-jena.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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