162 internationale Forschende haben Pferdeknochen aus ganz Eurasien zusammengetragen und analysiert – darunter Funde der Universität Bamberg.
Pferde wurden zuerst in der pontisch-kaspischen Steppe im Nordkaukasus domestiziert, bevor sie innerhalb weniger Jahrhunderte den Rest Eurasiens eroberten. Domestizierung bedeutet, dass Menschen Wildpferde zähmten. Das sind die Ergebnisse einer Studie unter der Leitung des Paläogenetikers Prof. Ludovic Orlando vom französischen „Centre national de la recherche scientifique“ (CNRS) aus Toulouse. Er leitete ein internationales Team, dem unter anderem Forschende der Universitäten in Toulouse, Évry und Bamberg angehörten. Die Studie löst ein jahrzehntealtes Rätsel und ist am 20. Oktober 2021 im renommierten Wissenschaftsmagazin „Nature“ veröffentlicht worden.
Von wem und wo wurden die modernen Pferde zuerst domestiziert? Wann haben sie den Rest der Welt erobert? Und wie verdrängten sie die unzähligen anderen Pferdearten, die es damals gab? Dank eines Teams von 162 Forschenden, die sich auf Archäologie, Paläogenetik und Linguistik spezialisiert haben, können diese Fragen endlich beantwortet werden.
Forschende analysieren DNA von 273 Pferden
Vor einigen Jahren untersuchte das Team um Ludovic Orlando die Fundstätte der Botai-Kultur in Zentralasien, die den ältesten archäologischen Nachweis für domestizierte Pferde lieferte. Die DNA-Ergebnisse waren aber nicht zufriedenstellend: Diese aus der Zeit vor 5500 Jahren stammenden Pferde waren nicht die Vorfahren der heutigen Hauspferde. Neben den Steppen in Zentralasien erwiesen sich auch alle anderen vermuteten Ursprungsorte wie Anatolien, Sibirien und die Iberische Halbinsel als falsch. „Wir ahnten, dass auch der Zeitraum zwischen 4000 und 6000 Jahren nicht stimmen konnte, aber wir konnten keine Beweise dafür finden“, sagt Orlando. Das Forschungsteam beschloss daher, seine Studie auf ganz Eurasien auszudehnen und analysierte die Genome von 273 Pferden, die von 50.000 bis 200 vor Christus lebten. Diese Informationen wurden an der Université Toulouse III - Paul Sabatier und der Université d’Évry sequenziert und mit den Genomen heutiger Pferde verglichen.
Einzige deutsche Proben stammen aus Oberfranken
Die einzigen Proben von Pferdeknochen aus Deutschland, die analysiert wurden, stammen vom Hohlen Stein bei Schwabthal in Oberfranken. Diese hat ein archäologisches Team der Universität Bamberg während eines Forschungsprojekts im Jahr 2008 ausgegraben und datiert. Grabungsleiter Dr. Timo Seregély von der Professur für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie erläutert: „Wir haben dort Pferdeknochen von mehreren Tieren aus der Zeit um 2600 vor Christus gefunden, die im Zusammenhang mit einer Siedlung der schnurkeramischen Kultur aus der späten Jungsteinzeit stehen. Sie waren durch die direkte Lage am auffälligen Dolomitfelsmassiv des Hohlen Steins fantastisch erhalten und wiesen einen reichen Gehalt an alter DNA auf.“
Im Gegensatz zu Seregélys bisheriger Annahme ist nun nicht einmal mehr sicher, ob es sich bei den oberfränkischen Funden überhaupt um die Reste von domestizierten Pferden handelt. Es könnte sich ebenfalls um gejagte, damals noch in der Region lebende Wildpferde gehandelt haben. Die von Pablo Librado und Ludovic Orlando geleitete Studie kann diese Frage nicht sicher beantworten – dafür aber eine andere, unglaublich wichtige, wie Seregély bekräftigt: „Bisher ging man davon aus, dass Pferde bereits im frühen dritten vorchristlichen Jahrtausend bei der Expansion von Menschen aus den eurasischen Steppenregionen in zahlreiche Regionen Europas eine entscheidende Rolle bei der Mobilität spielten. Das ist nun klar widerlegt. Ob wir für diese große, sich über mehrere Jahrhunderte und einige Zwischenetappen erstreckende Migrationswelle nun eher Rindergespanne als Mobilitätsfaktor ins Auge fassen können, müssen spätere Studien zeigen.“
Explosionsartige Vermehrung der Pferde
Die Vorfahren der heutigen Hauspferde stammen hingegen aus einer späteren Zeit: In Eurasien, das einst von genetisch unterschiedlichen Pferdepopulationen bevölkert war, kam es zwischen 2200 und 2000 vor Christus zu einer dramatischen Veränderung. „Die Pferde, die in Anatolien, Europa, Zentralasien und Sibirien lebten, waren genetisch sehr unterschiedlich“, sagt Dr. Pablo Librado, Erstautor der Studie. Dann verbreitete sich ein einziges genetisches Profil, das es zuvor nur in der pontischen Steppe im Nordkaukasus gab. Es verdrängte innerhalb weniger Jahrhunderte alle Wildpferdepopulationen vom Atlantik bis zur Mongolei. „Die genetischen Daten deuten auch auf eine explosionsartige Vermehrung der Pferde hin, die in den letzten 100.000 Jahren ihresgleichen sucht“, fügt Orlando hinzu. „Damals übernahmen Menschen die Kontrolle über die Fortpflanzung dieser Tierart und produzierten Pferde in beträchtlicher Anzahl.“ Die Ausbreitung dieser Pferde ereignete sich zumindest in Asien gleichzeitig wie jene von Streitwägen mit Speichenrädern und indoiranischen Sprachen.
Doch wie lässt sich diese überwältigende Beliebtheit erklären? Die Forschenden fanden zwei auffällige Unterschiede zwischen dem Genom dieses Pferdes und dem Genom der Populationen, die es ersetzte: zum einen fügsameres Verhalten, zum anderen ein stärkeres Rückgrat. Das Forschungsteam vermutet, dass diese Merkmale den Erfolg der Tiere zu einer Zeit sicherten, als das Reisen mit Pferden weltweit zunahm.
Dr. Timo Seregély
Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie
Tel.: 0951/863-2414
timo.seregely@uni-bamberg.de
www.nature.com/articles/s41586-021-04018-9
http://www.cnrs.fr/en/origin-domestic-horses-finally-established
Ein mongolischer Pferdehirte in der Region Khomiin Tal.
Ludovic Orlando
Am Hohlen Stein bei Schwabthal hat ein archäologisches Team der Universität Bamberg ca. 4600 Jahre a ...
Timo Seregély/Universität Bamberg
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
überregional
Forschungsergebnisse, Kooperationen
Deutsch
Ein mongolischer Pferdehirte in der Region Khomiin Tal.
Ludovic Orlando
Am Hohlen Stein bei Schwabthal hat ein archäologisches Team der Universität Bamberg ca. 4600 Jahre a ...
Timo Seregély/Universität Bamberg
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