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11.11.2021 10:12

Wie Long-Covid-Patient*innen versorgt werden sollten

Ozren Sehic Wissenschaftskommunikation
Austrian Institute for Health Technology Assessment GmbH

    Das Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA) analysierte die Versorgungsstrukturen für erwachsene Long-Covid-Patient*innen in ausgewählten europäischen Ländern und den USA. Die systematische Übersichtsarbeit zeigt, dass der Schlüssel für eine erfolgreiche Long-Covid-Versorgung in der Kooperation unterschiedlicher medizinischer und therapeutischer Disziplinen besteht. Zudem sollten Behandlungsentscheidungen immer gemeinsam von Ärzt*innen und Patient*innen getroffen werden.

    Von Long-Covid wird gesprochen, wenn nach einer überstandenen akuten SARS-CoV-2-Infektion Symptome wie Erschöpfung/Müdigkeit, Kurzatmigkeit, Kopfschmerzen, hoher Blutdruck, Geruchs- und Geschmacksstörungen, neurologische Störungen oder psychische Erkrankungen wie etwa Ängste und Depressionen bestehen bleiben bzw. nach einer gewissen Zeit erneut auftreten. Die neue Erkrankung belastet neben den Patient*innen auch deren Familien und die Gesellschaft, vor allem den Arbeitsmarkt. So hat etwa eine deutsche Analyse gezeigt, dass die Krankenstände durch Long-Covid durchschnittlich länger sind.

    Das Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA) hat nun in einer systematischen Übersichtsarbeit untersucht, welche Empfehlungen es in ausgewählten europäischen Ländern (Großbritannien, Niederlande, Deutschland und Österreich) und den USA bereits gibt, um Long-Covid-Patient*innen bestmöglich zu versorgen. Insgesamt wurden dazu 14 Quellen, darunter Leitlinien, Übersichtsarbeiten, Konsenspapiere und klinische Perspektiven identifiziert und für die Analyse herangezogen. Darüber hinaus präsentiert die Übersichtsarbeit einzelne Beispiele zu bereits bestehenden Versorgungsstrukturen in Belgien, Italien, Großbritannien, Deutschland und Österreich.

    Erste Anlaufstelle: Hausärzt*innen oder Primärversorgungszentren

    Der Großteil der Empfehlungen spricht sich für eine starke Einbindung der Primärversorgung aus. Das heißt, die ersten Anlaufstellen zur Abklärung der Symptome und Diagnose von „Long-Covid“ sollten in den meisten Fällen zunächst Hausärzt*innen oder Primärversorgungszentren sein. Die Studienautor*innen betonen allerdings, dass eine Herausforderung in der möglichen Unsicherheit in der Diagnosestellung der neuartigen Erkrankung liegt. „Aus diesem Grund sind hier zusätzliche Schulungen für Ärzt*innen anzudenken“, sagt AIHTA-Studienleiterin Sarah Wolf. Die Expert*innen betonen auch, dass Behandlungsentscheidungen immer gemeinsam von Ärzt*innen und Patient*innen getroffen werden sollten.

    In Österreich und Deutschland wird empfohlen, dass Patient*innen mit Long-Covid-Symptomen, die länger als vier Wochen nach der akuten Infektion andauern, zur Erstuntersuchung den niedergelassenen Bereich aufsuchen sollten. Im Gegensatz dazu wird in Großbritannien für ehemals hospitalisierte Covid-19-Patient*innen innerhalb von 12 Wochen eine Nachuntersuchung per Telefon oder ein Videoanruf durch medizinisches Fachpersonal aus dem Spital empfohlen. Dauern die Symptome länger als 12 Wochen an, können die ehemals hospitalisierten Patient*innen entweder die Krankenhausambulanz oder ihre Hausärzt*innen aufsuchen.

    Long-Covid-Spezialambulanzen als weiterer möglicher Versorgungsschritt

    Werden bei der Erstuntersuchung schwerwiegende oder potenziell lebensbedrohliche Symptome festgestellt, sollte direkt die Notaufnahme eingeschaltet werden. Für Patient*innen, die vier bis 12 Wochen nach der akuten SARS-CoV-2-Infektion mehrere und/oder unspezifische Symptome aufweisen, die aber nicht lebensbedrohlich sind, wird empfohlen, dass sie an sogenannte „Long-Covid-Spezialambulanzen“ überwiesen werden. Der größte Vorteil dieser Spezialeinrichtungen liegt den Expert*innen zufolge im multidisziplinären Ansatz, der eine ganzheitliche Sicht auf die Patient*innen fördert. Nach einer umfassenden Untersuchung können etwa in Großbritannien rehabilitative Maßnahmen auch direkt in manchen der Ambulanzen in Anspruch genommen werden. Im Gegensatz dazu bieten in Deutschland und Österreich nur wenige Ambulanzen spezielle Long-Covid-Therapien an und überweisen deshalb die Patient*innen z.B. an Reha-Zentren weiter.

    Patient*innen mit einem dominanten Symptom sollten z.B. von den Hausärzt*innen oder Primärversorgungszentren zur Abklärung an entsprechende Fachärzt*innen überwiesen werden, heißt es in der systematischen Übersichtsarbeit weiter. Nach Abschluss der weiteren Untersuchungen werden die Betroffenen idealerweise, je nach Bedarf, an multidisziplinäre stationäre, teilstationäre oder ambulante Reha-Programme, die eine psychische, kognitive und/oder psychologische Expertise besitzen, überwiesen. Eine Alternative dazu bieten sogenannte „Community Care Networks“, wie sie etwa in Großbritannien oder Italien umgesetzt wurden. Ziel dieser Angebote ist es, die Patient*innen beispielsweise durch Hausbesuche bei der Bewältigung ihrer Erkrankung zu unterstützen und so die Selbständigkeit zu fördern.

    Ein wesentlicher Punkt der Empfehlungen liegt in der Stärkung des Selbstmanagements der Patient*innen, das entweder als alleinige Therapie bei milderen Long-Covid-Symptomen eingesetzt wird oder als Ergänzung zu anderen Behandlungen bei moderaten bis schweren Symptomen. Konkret sind darunter Bewegungstherapien zu Hause, die Steigerung der Ernährungskompetenz, Stressabbau oder die Teilnahme an Long-Covid-spezifischen Onlineprogrammen zu verstehen. „Von den untersuchten Ländern gab es jedoch nur in Großbritannien mit ‚The Your COVID Recovery Platform‘ ein entsprechendes digitales Angebot. Für die Teilnahme an diesem Programm ist allerdings eine Überweisung notwendig“, erläutert Sarah Wolf vom AIHTA.

    Nur gelungene Kommunikation ist gute Kommunikation

    Ein weiterer zentraler Aspekt der Empfehlungen zur Long-Covid-Versorgung ist nach Meinung der Expert*innen eine gute Kommunikation zwischen Ärzt*innen und Patient*innen. Sie gilt dann als gelungen, wenn sie kulturelle Unterschiede, Sprachbarrieren und die individuelle Situation der Patient*innen berücksichtigt, empathisch ist und den passenden Detailgrad aufweist. – „Das bedeutet, dass die Patient*innen weder zu viel noch zu wenig Information über ihre Erkrankung erhalten sollen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Betroffenen unnötig verunsichert werden“, betont Sarah Wolf.

    Krankenstände, beruflicher Wiedereinstieg, Umschulungen

    Was die Sozialleistungen für Long-Covid-Patient*innen betrifft, so werden derzeit die gleichen Leistungen wie für Patient*innen mit anderen (chronischen) Erkrankungen empfohlen. Dazu zählen etwa derselbe Krankenstandprozess, Wiedereingliederungsteilzeit oder Umschulungsprogramme. Die Vorbereitung für die Rückkehr am Arbeitsplatz sollte ein spezifischer und wichtiger Teil des Long-Covid-Rehaprogramms sein, da ein Großteil der Patient*innen im arbeitsfähigen Alter ist. Zudem ist bei den Reha-Programmen darauf zu achten, dass die Patient*innen körperlich nicht überfordert werden, sondern ein vorsichtiges Training mit langsamen Leistungssteigerungen („Pacing“) erhalten.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Sarah Wolf, Bsc, Msc
    Garnisongasse 7/20
    1090 Wien
    T +43 / 1 / 2368119-21
    E-Mail: sarah.wolf@aihta.at
    Web: http://www.aihta.at

    Kontakt für Fragen zur Veröffentlichung:
    Mag. Günther Brandstetter; T +43 / 660 / 3126348
    E-Mail: guenther.brandstetter@aihta.at


    Originalpublikation:

    Wolf, S. and Erdös, J. Long COVID care pathways: a systematic review. AIHTA Projektbericht Nr.: 135b; 2021. Wien: HTA Austria – Austrian Institute for Health Technology Assessment GmbH. https://eprints.aihta.at/1342


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Politik
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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