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03.12.2021 10:36

„Wir sind in die Irre gegangen...“

Stephan Laudien Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Kirchenhistoriker der Universität Jena bringt mit Münchener Kollegen Buch über das Eisenacher „Entjudungsinstitut“ heraus

    Wenige Monate vor dem deutschen Angriff auf Polen, im Mai 1939, starteten elf evangelische Landeskirchen in Deutschland den Versuch, alles Jüdische aus Kirche und Christentum zu beseitigen. In der Bibel, im Gesangbuch oder in den Kirchengebäuden sollten jüdische Redewendungen, Namen oder Bilder getilgt und so die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens zerstört werden. In Eisenach wurde zu diesem Zweck das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ gegründet, kurz „Entjudungsinstitut“ genannt.

    Dessen unrühmliche Geschichte ist eng mit der Friedrich-Schiller-Universität Jena verbunden, denn einige der führenden Köpfe des Instituts waren Theologie-Professoren aus Jena. „Einer der Hauptakteure und der erste Wissenschaftliche Leiter war Walter Grundmann, der in Jena Neues Testament und Völkische Theologie lehrte“, sagt Prof. Dr. Christopher Spehr von der Universität Jena. Der Kirchenhistoriker forscht über die Geschichte des Instituts. Nun hat Spehr gemeinsam mit seinem Fachkollegen Prof. Dr. Harry Oelke von der Ludwig-Maximilians-Universität München das Buch „Das Eisenacher 'Entjudungsinstitut'. Kirche und Antisemitismus in der NS-Zeit“ herausgegeben. Das Buch ist in der Reihe „Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte“ im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen erschienen.

    Die Karriere im neuen System weitgehend nahtlos fortgeführt

    Die Geschichte des „Entjudungsinstituts“ blieb lange Zeit im Dunkeln, konstatiert Christopher Spehr. Einer der Gründe war vermutlich, dass führende Protagonisten ihre Karriere innerhalb der Evangelischen Kirche fast nahtlos fortsetzten. Walter Grundmann etwa wurde 1954 Rektor des Eisenacher Katechetenseminars und engagierte sich in der Ausbildung von Studierenden der Kirchenmusikschule Eisenach. Der Professor für Systematische Theologie, Heinz-Erich Eisenhuth, wurde 1952 Superintendent im Kirchenkreis Eisenach und Herbert von Hintzenstern leitete von 1968 das Lutherhaus in Eisenach. Hintzenstern war zudem von 1956 bis 1981 Chefredakteur der Kirchenzeitung „Glaube und Heimat“. 1945 waren die NS-belasteten Professoren aus dem Staatsdienst entlassen und ihres Amtes enthoben worden. „Von Schuldbewusstsein konnte bei ihnen allerdings keine Rede sein“, ergänzt Harry Oelke. Vielmehr hätten die Akteure auch nach dem Zweiten Weltkrieg behauptet, die Bemühungen der „Deutschen Christen“ und des Instituts zielten darauf, die Kirche im Nationalsozialismus zu erhalten, den Glauben zu bewahren. Kurz nach dem Krieg seien sogar Stimmen laut geworden, das Eisenacher Institut in ein theologisches Forschungsinstitut mit ökumenischen Perspektiven umzuwandeln.

    Blick auf die Auswirkungen des Instituts in Ost- und Westdeutschland

    Das neue Buch über das „Entjudungsinstitut“ versammelt die Beiträge einer wissenschaftlichen Tagung, bei der 2019 Expertinnen und Experten aus Kirchengeschichte, Religions- und Kulturwissenschaft sowie Jüdische Studien in Eisenach ihre Forschungsergebnisse vortrugen. Die Aufsätze weiten den Blick auf das Institut in mehrfacher Hinsicht. So gibt es u. a. einen Exkurs über den Antisemitismus im 19. Jahrhundert, einen Aufsatz zur Ideologie der Deutschen Christen und eine Untersuchung zum Verhältnis von Christentum und Judentum in DDR und BRD. Eine neue und spannende Facette fügt Prof. Dr. Christian Wiese an. Der Frankfurter Professor für jüdische Religionsphilosophie hat untersucht, welche kritischen und teils dialogischen Reaktionen es von jüdischer Seite auf die theologisch-völkische Religionswissenschaft des Eisenacher „Entjudungsinstituts“ gegeben hat.

    Christopher Spehr von der Universität Jena ordnet die Tagung ein in umfangreiche Bemühungen in jüngerer Zeit, die Geschichte des Instituts und der Deutschen Christen aufzuklären und sich so der eigenen Verantwortung zu stellen. In Eisenach wurde im Lutherhaus 2019 eine Sonderausstellung zum „Entjudungsinstitut“ eröffnet, die noch bis 2022 zu sehen sein wird. Unweit des einstigen Institutsgebäudes wurde zudem im Mai 2019 ein Mahnmal enthüllt. Es trägt den Satz aus dem Darmstädter Wort von 1947: „Wir sind in die Irre gegangen...“


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Christopher Spehr
    Theologische Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena
    Fürstengraben 6, 07743 Jena
    Telefon: 03641 / 942730
    E-Mail: christopher.spehr@uni-jena.de


    Originalpublikation:

    Christopher Spehr, Harry Oelke (Hg.): „Das Eisenacher 'Entjudungsinstitut'. Kirche und Antisemitismus in der NS-Zeit“, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2021, 395 Seiten, 39 Euro, ISBN: 978-3-525-55797-6


    Bilder

    Unweit des einstigen „Entjudungsinstituts“ wurde im Mai 2019 ein Mahnmal enthüllt. Es trägt den Satz: „Wir sind in die Irre gegangen...“.
    Unweit des einstigen „Entjudungsinstituts“ wurde im Mai 2019 ein Mahnmal enthüllt. Es trägt den Satz ...
    Sascha Willms
    Stiftung Lutherhaus Eisenach


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Geschichte / Archäologie, Religion
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Unweit des einstigen „Entjudungsinstituts“ wurde im Mai 2019 ein Mahnmal enthüllt. Es trägt den Satz: „Wir sind in die Irre gegangen...“.


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