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08.12.2021 09:10

2700 Jahre alte Reiterrüstung belegt Technologietransfer in der Antike

Melanie Nyfeler Kommunikation
Universität Zürich

    Wissenschaftler der Universität Zürich untersuchten einen einzigartigen Lederschuppen-Panzer aus dem Grab eines Reiters im Nordwesten Chinas. Stil und Konstruktion legen na-he, dass der Panzer zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert vor Christus im neuassyrischen Reich hergestellt wurde und von dort nach China gelangte.

    Ein fast vollständig erhaltener Lederschuppen-Panzer wurde 2013 erstmals im Grab eines etwa 30 Jahre alten Mannes nahe der heutigen Stadt Turfan im Nordwesten Chinas entdeckt. Auf-grund extremer Trockenheit konnte der Fund die Jahrtausende überdauern und lieferte dem in-ternationalen Team um Patrick Wertmann vom Asien-Orient Institut der Universität Zürich neue Kenntnisse zur Verbreitung von Militärtechnologie im ersten Jahrtausend vor Christus.

    Schuppenpanzer schützten wie eine zweite Haut die lebenswichtigen Organe, jedoch ohne die Bewegungsfreiheit der Kämpfer einzuschränken. Wie die Schuppen eines Fisches wurden die sich überlappenden Reihen von Plättchen auf eine feste Unterlage aufgenäht. Aufgrund der kostspieligen Materialien und der aufwändigen Herstellung waren solche Rüstungen wertvoll und galten als Privileg der Elite. Nur selten wurden sie dem Krieger mit ins Grab gegeben. In der Anti-ke mussten mit dem Aufkommen mächtiger Staaten und grosser Armeen jedoch auch für einfa-che Soldaten kostengünstige, wirksame Rüstungen aus Leder, Bronze oder Eisen entwickeln werden.

    Standardisierte Herstellung für das Reiterheer

    Die Wissenschaftler konnten die alte Rüstung mittels Radiokarbondatierung auf den Zeitraum zwischen 786 und 543 vor Christus datieren. Für die Herstellung wurden ursprünglich insgesamt 5444 kleine und 140 grosse Schuppen aus Rindsleder verwendet. Zusammen mit Lederschnüren und dem inneren Futter ergab sich ein Gesamtgewicht von 4 bis 5 Kilogramm. Die Form erinnert an eine Weste, die den Oberkörper des Trägers im Bereich der Brust, Leisten, Seiten sowie im unteren Rückenbereich schützt. Der Panzer konnte schnell und selbständig angelegt werden und eignete sich für unterschiedliche Körpergrössen.

    «Bei dem Fund handelt es sich um ein professionell hergestelltes Massenprodukt», fasst Wert-mann zusammen. Als die Kriege im Nahen Osten vermehrt mit Pferdestreitwagen geführt wurden, wurde ab dem 9. Jahrhundert vor Christus eine spezielle Rüstung für berittene Soldaten entwi-ckelt und gehörte später in standardisierter Form zur typischen militärischen Ausrüstung des Neu-assyrischen Grossreichs, das sich über Teile des heutigen Iraks, Irans, Syriens, der Türkei und Ägyptens erstreckte.

    Zwei Rüstungen für unterschiedlichen Gebrauch

    Obwohl der Fund des 2700 Jahre alten Schuppenpanzers im gesamten Gebiet Nordwestchinas einzigartig ist, zeigt eine zweite zeitgenössische Rüstung unbekannter Herkunft im Metropolitan Museum of Art New York (MET) stilistische und funktionelle Übereinstimmungen. Die beiden Rüs-tungen könnten von verschiedenen militärischen Einheiten derselben Armee stammen: diejenige von Yanghai wurde möglicherweise von der Kavallerie, die andere von der Infanterie genutzt.

    Ob der Träger der Yanghai-Rüstung selbst ausländischer Soldat war, der im Dienst der assyri-schen Armee stand und die Ausrüstung mit nach Hause brachte, oder ob er die Rüstung von jemandem erbeutete, der sich dort aufhielt, kann nicht geklärt werden. «Auch wenn der genaue Weg des Schuppenpanzers aus Assyrien bis in den Nordwesten Chinas nicht mehr rekonstruiert werden kann, ist der Fund doch ein eindeutiger Beleg für den militärischen Technologietransfer über den eurasischen Kontinent im frühen ersten Jahrtausend vor Christus», sagt Wertmann.

    SNF-Forschungsprojekt

    Die Studie ist Teil des Forschungsprojekts «Sino-Indo-Iranica rediviva – Early Eurasian migrato-ry terms in Chinese and their cultural implications» des Asien-Orient-Instituts der Universität Zü-rich, das durch den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gefördert wird. Anhand von sprachli-chen, historischen und archäologischen Daten wird der früheste Austausch von materiellen Gütern zwischen Zentralasien und China untersucht. An der Publikation sind Wissenschaftler der Universität Zürich, der Academia Turfanica, der Russischen Akademie der Wissenschaften, des LVR-LandesMuseums Bonn, der Freien Universität Berlin, des Metropolitan Museum of Art New York, und des Deutschen Archäologischen Instituts beteiligt.
    https://www.uzh.ch/cmsssl/aoi/de/sinologie/forschung/rediviva.html


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Patrick Wertmann
    Asien-Orient-Institut
    Universität Zürich
    Tel. +41 44 634 44 67
    E-Mail: patrick.wertmann@aoi.uzh.ch


    Originalpublikation:

    Literatur:
    Patrick Wertmann, Dongliang Xu, Irina Elkina, Regine Vogel, Ma'eryamu Yibulayinmu, Pavel E. Tarasov, Donald J. La Rocca, Mayke Wagner, No borders for innovations: A ca. 2700-year-old Assyrian-style leather scale armour in Northwest China. Quaternary International. November 2021.
    https://doi.org/10.1016/j.quaint.2021.11.014


    Weitere Informationen:

    https://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2021/Reiterpanzer.html


    Bilder

    Lederschuppen-Panzer aus einem Reitergrab in Yanghai
    Lederschuppen-Panzer aus einem Reitergrab in Yanghai
    Xu /Wertmann/Yibulayinmu


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kunst / Design, Verkehr / Transport
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Lederschuppen-Panzer aus einem Reitergrab in Yanghai


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