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14.12.2021 11:26

Identifikation von Stoffwechselabhängigkeiten in Krebszellen liefert neue Therapieansätze

Anna Schwendinger Public Relations
CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

    Viele Krebsarten weisen Veränderungen in ihrem Zellstoffwechsel auf. Diese tragen zur Entstehung und zum Fortschreiten von Krebs bei. Ein veränderter Zellmetabolismus gilt daher als Krebsmarker und könnte als „Angriffspunkt“ für Krebstherapien genutzt werden. WissenschafterInnen am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW sowie der Medizinischen Universität Wien konnten nun anhand einer neuen Wirkstoffbibliothek mit 243 Substanzen, die auf verschiedene zentrale Stoffwechselprozesse der Zelle abzielen, die Sensitivität von 15 myeloischen Leukämiezelllinien ermitteln. Die Ergebnisse liefern einen wichtigen pharmakologischen Ansatzpunkt für zukünftige Krebstherapien.

    Um schnell wachsen und sich schnell reproduzieren zu können, verändern proliferierende Zellen ihren Stoffwechsel. Dieser veränderte Zellstoffwechsel gilt als Krebsmarker, denn Krebszellen brauchen diese Art von „Hochleistungs-Stoffwechsel“, um sowohl im Körper als auch in Zellkulturen überleben und wachsen zu können. Die Forschungsgruppe von Giulio Superti-Furga am CeMM und der MedUni Wien arbeitet seit einigen Jahren daran, die Abhängigkeit bestimmter Funktionen in menschlichen Zellen von Stoffwechselprodukten und Nährstoffen zu verstehen. In einer aktuellen Studie in Nature Communications zeigen die WissenschafterInnen nun, wie sie mittels einer neuen Substanzbibliothek mit dem Namen CLIMET – CeMM Library of Metabolic Drugs – testen, welche Akteure und Prozesse des veränderten Stoffwechsels in unterschiedlichen Krebszelllinien von zentraler Bedeutung sind. Die Wirkstoffbibliothek besteht aus 243 Substanzen, die den Zellmetabolismus beeinflussen, indem sie auf verschiedene Zweige des großen, komplexen und weit verzweigten Netzwerks einwirken, das dem zellulären Stoffwechsel zugrunde liegt. Die Ergebnisse der Studie bringen spezifische metabolische „Schwachstellen" bestimmter Leukämiezelltypen hervor, die wichtige Ansätze zur Entwicklung neuer Therapien liefern.

    Wirkstoffsensitivität gibt wichtige Hinweise für Therapieansätze

    Für die Wirkstoffbibliothek CLIMET griff Erstautorin Tea Pemovska im Rahmen ihres Postdocs in der Forschungsgruppe von Giulio Superti-Furga am CeMM auf Substanzen zurück, die auf acht zentrale Prozesse und Signalwege des Zellmetabolismus abzielen. Um ein besseres Verständnis der molekularen Prozesse zu erhalten, die am Zellstoffwechsel von Krebszellen zentral beteiligt sind, verwendete das Team CLIMET für eine Proof-of-concept Studie in verschiedenen Blutkrebs-Zelllinien sowie Patientenproben. Die erhaltenen Profile der Wirkstoffsensitivität gliedern die Zelllinien bzw. Patientenproben der myeloischen Leukämie in fünf funktionelle Gruppen, die jeweils durch ihre Sensitivität gegenüber 18 verschiedenen Substanzen definiert wurden. Studienleiter Giulio Superti-Furga erklärt: „Die Sammlung chemischer Wirkstoffe, die verschiedene Aspekte des Krebszellstoffwechsels beeinflussen, stellt ein Instrumentarium dar, mit dem Zelllinien, Primärproben von Krebspatientinnen und -patienten sowie Tiermodelle auf vielseitige Weise und mit unterschiedlichen Dosierungen untersucht werden können, um metabolische Abhängigkeiten zu identifizieren und therapeutische Strategien abzuleiten. Damit zeigen wir exemplarisch einen praktischen und auch umsetzbaren Weg, wie diese Schwachstellen der Krebszellen therapeutisch genutzt werden können, typischerweise in Kombination mit anderen Medikamenten."

    „Antrieb“ und „Schwachstellen“ des Zellmetabolismus identifizieren

    Tea Pemovska, die derzeit Wissenschaftlerin in der Functional Precision Hematology Group an der MedUni Wien ist, und ihre KollegInnen konnte im Rahmen der Studie zeigen, dass bestimmte menschliche Leukämie-Zelllinien besonders sensitiv auf den PI3K-Inhibitor Pictilisib, den Fettsäure-Synthase-Inhibitor GSK2194069 und den SLC16A1-Inhibitor AZD3965 reagierten. Sie erklärt: „Bei einige Zelllinien der myeloiden Leukämie, vor allem bei zwei Zelllinien mit Chronischer Myeloischer Leukämie, zeigte sich eine hohe selektive Sensitivität auf den Inhibitor AZD3965, der den wichtigen Laktattransporter SLC16A1 hemmt. Dadurch lassen sich Rückschlüsse darauf ziehen, welche Zelllinien bzw. Patientinnen und Patienten am besten auf diesen Wirkstoff ansprechen könnten.“ Gleichzeitig bestätigt die Studie erneut den hohen Nutzen einer fokussierten metabolischen Wirkstoffbibliothek in phänotypischen Screening-Plattformen, die die Identifikation von Stoffwechselabhängigkeiten ermöglichen. „Unsere Studie belegt die Durchführbarkeit dieser Strategie und unterstreicht die Bedeutung des ‚Aufspürens‘ metabolischer Schwachstellen in Krebszellen mittels funktioneller Tests", so Superti-Furga.
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    Die Studie „Metabolic drug survey highlights cancer cell dependencies and vulnerabilities“ erschien in Nature Communications am 14. Dezember 2021. DOI: 10.1038/s41467-021-27329-x.

    AutorInnen: Tea Pemovska, Johannes W. Bigenzahn, Ismet Srndic, Alexander Lercher, Andreas Bergthaler, Adrián César-Razquin, Felix Kartnig, Christoph Kornauth, Peter Valent, Philipp B. Staber, Giulio Superti-Furga;

    Förderung: Die Studie wurde mit Unterstützung des Europäischen Forschungsrates (695214 und 677006), des Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF (SFB F4711), des European Molecular Biology Organization (EMBO) Long Term Fellowship 733-2016, und des Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds (WWTF) im Rahmen des Projekts LS16-034 finanziert.

    Giulio Superti-Furga ist Wissenschaftlicher Direktor des CeMM sowie Professor für Medizinische Systembiologie an der Medizinischen Universität Wien. Er wurde an der Universität Zürich, bei Genentech, am IMP Wien und am EMBL Heidelberg zum Molekularbiologen ausgebildet. Er erhielt vier Förderungen des Europäischen Forschungsrates, ist Mitglied fünf wissenschaftlicher Akademien und hat mehr als 250 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht. CeMM, dem er seit 2005 als Direktor vorsteht, befindet sich mitten im großen Campus der MedUni/des Allgemeinen Krankenhauses in Wien, von wo aus Superti-Furga, zusammen mit etwa 180 WissenschaftlerInnen und ÄrztInnen, der klinischen Welt eine genomische und systemische Sicht näherbringt, um die medizinische Praxis zu verbessern. Für CeMM trieb er einen einzigartigen Modus der Super-Kooperation voran, in dem Biologie mit Medizin, Experimente mit Computertechnologie, Entdeckung mit Translation und Wissenschaft mit Gesellschaft und Kunst verbunden werden. Zu den aktuellen Interessensgebieten zählen Möglichkeiten zur Schaffung funktioneller Ansätze in der Präzisionsmedizin und die Rolle der menschlichen Membran-Transporter in der Pathophysiologie und der Arzneimittelentdeckung. Zudem ist auch wissenschaftlicher Koordinator von „RESOLUTE“, einem Konsortium der „Innovative Medicine Initiative“, das sich der Deorphanisierung von SLC-Transportern verschreibt.

    Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen, sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. www.cemm.at

    Die Medizinische Universität Wien (MedUni Wien) ist eine der traditionsreichsten medizinischen Ausbildungs- und Forschungsstätten Europas. Mit rund 8.000 Studierenden ist sie heute die größte medizinische Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Raum. Mit 5.500 MitarbeiterInnen, 26 Universitätskliniken und etlichen medizintheoretischen Zentren und hochspezialisierten Laboratorien zählt sie zu den bedeutendsten Forschungsinstitutionen Europas im biomedizinischen Bereich. Der klinische und forscherische Schwerpunkt der Medizinischen Universität liegt auf den Themen Immunologie, Neurobiologie, Imaging, Onkologie und Herz-Kreislauferkrankungen. www.meduniwien.ac.at


    Originalpublikation:

    DOI: 10.1038/s41467-021-27329-x;
    https://www.nature.com/articles/s41467-021-27329-x


    Bilder

    Erstautorin Tea Pemovska und Studienleiter Giulio Superti-Furga
    Erstautorin Tea Pemovska und Studienleiter Giulio Superti-Furga
    Klaus Pichler
    CeMM


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Erstautorin Tea Pemovska und Studienleiter Giulio Superti-Furga


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