idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
15.12.2021 10:36

Zweiter Coronawinter: Sitzender Lebensstil schadet Gelenken und kann Arthrose begünstigen

Dr. Adelheid Liebendörfer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V.

    Hohlkreuz, verkürzte Schrittlänge, Steifigkeit: Der Bewegungsmangel während der Corona-Pandemie durch Homeoffice und Kontaktbeschränkungen schadet auch Hüfte und Knie. Das stundenlange Sitzen mit gebeugten Gliedmaßen kann längerfristig zu Verkürzungen und sogenannten Kontrakturen, Bewegungs- und Funktionseinschränkungen der Gelenke, führen. Diese wiederum begünstigen schädliche Fehlhaltungen und Fehlbelastungen. Zudem „hungert“ und leidet der Gelenkknorpel. Er wird nämlich nur durch die Pumpbewegungen bei körperlicher Aktivität mit nährender Gelenkflüssigkeit versorgt. Eine eventuelle Gewichtszunahme verstärkt diese negativen Effekte.

    Die AE - Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik e. V. rät deshalb, Muskulatur und Bänder täglich mehrmals bewusst zu dehnen. Zudem gelte es, Sitzgelegenheit und Sitzposition häufig zu variieren sowie grundsätzlich viel Bewegung in den Alltag zu integrieren. Dies treffe auch auf Patientinnen und Patienten zu, denen der Ersatz ihres Hüft- oder Kniegelenks bevorstünde.

    Die Corona-Pandemie geht in den zweiten Winter. Der damit oft verbundene, betont bewegungsarme sitzende Lebensstil schadet dem Bewegungsapparat: „Durch das stundenlange Verharren in der Sitzposition mit gebeugtem Hüft- und Kniegelenk verspannen und verkürzen sich die beteiligten Muskeln, Sehnen und Faszien“, sagt Professor Dr. med. Karl-Dieter Heller, AE-Präsident und Ärztlicher Direktor der Orthopädischen Klinik am Herzogin Elisabeth Hospital in Braunschweig. Dies könne langfristig zu einer Fehl- und Überbelastung der Gelenke führen.

    Erste Zeichen für Fehlbelastungen sei etwa eine Verstärkung der natürlichen Krümmung der Lendenwirbelsäule, mit Betonung des Bauches (Hohlkreuz). „Das hat nichts mit ein paar Kilos zu viel zu tun“, so Heller. Vielmehr sind hier die Hüftbeuger durch das ständige Sitzen und Verharren in der Beugeposition im Vergleich zur Gesäß- und Bauchmuskulatur verkürzt. Da die Hüftbeuger auch am Becken ansitzen, kippen diese das Becken unnatürlich nach vorne.“ Gleichzeitig verhindern die verkürzten Hüftbeuger das ausgleichende Überstrecken als natürliche Gegenbewegung zur Gelenkentlastung. Sie führen so zu einer weiteren Verkürzung der Hüftbeuger. Ein Teufelskreis, sagt Heller.
    Dies trifft auch auf die Knie zu: durch Dauersitzen verkürzen sich die hinteren Muskelgruppen des Oberschenkels. Hält dieser Zustand länger an, lässt sich das Kniegelenk immer schlechter strecken. Die Entlastung durch eine entsprechende Gegenbewegung sei dann ebenfalls nicht mehr möglich, die Gelenke würden einseitig überlastet, so der Orthopäde und Unfallchirurg.

    „Eine Gelenkkontraktur ist neben Vererbung, Unfall, Übergewicht und Fehlstellung ein verstärkender Faktor für Gelenkarthrose“, so Heller. „Eine Kombination dieser Faktoren erhöht das Risiko. Im schlimmsten Fall steht am Ende einer solchen Entwicklung ein Gelenkersatz.“

    Laut dem im Oktober 2021 veröffentlichten DVK-Gesundheitsreport (1) sitzen Deutsche pro Werktag inzwischen 8,5 Stunden – eine Stunde mehr als noch 2018. Junge Erwachsene (18 bis 29 Jahre) sitzen sogar mittlerweile rund 10,5. Durch das Homeoffice kommen neue Belastungen wie etwa weniger Sitzunterbrechungen hinzu: 43 Prozent der Befragten im Homeoffice finden es im Vergleich zum Arbeiten im Büro schwieriger, ihre Sitzzeit zu reduzieren. 59 Prozent der Menschen, die im Homeoffice arbeiten, sagen, dass sie keine Unterstützung von ihrem Arbeitgeber erhalten, um ihre Sitzzeiten zu verringern.

    Doch wer sich nicht genügend bewegt, schadet seiner Gesundheit. Zudem schreitet mangelnde Beweglichkeit unbemerkt fort. Dabei helfen schon kleine Maßnahmen: „Es geht nicht darum, den perfekten Stuhl zu finden oder die ganze Zeit zu stehen“, so Heller. „Keine Position, die wir zu lange einnehmen, ist gut für uns.“ Vielmehr seien Regelmäßigkeit und Abwechslung wichtig: „Wir sollten jede kleine Unterbrechung im Büroalltag für Dehn- und Kräftigungseinheiten nutzen. Während Ihr Teewasser kocht, können Sie etwa Ihren Psoas - den größten Beugemuskel in unserer Hüfte -, durch einen Ausfallschritt nach vorne dehnen. Jeweils 30 Sekunden pro Seite, drei Wiederholungen.“

    Das Integrieren von bewusster Bewegung sei auch für Patientinnen und Patienten wichtig, die auf ein Ersatzgelenk warten: „Wir beobachten vermehrt eingesteifte Gelenke“, stellt Professor Dr. med. Carsten Perka, Generalsekretär der AE, fest. „Dies hängt damit zusammen, dass unsere Patienten jetzt Pandemie-bedingt wieder länger auf ihre OP warten und sich der Zustand ihrer Gelenke in der Zwischenzeit weiter verschlechtert. Ein zusätzlicher Bewegungsmangel verstärkt diese Entwicklung.“ Dabei gelte auch für eine Hüft- und Knie-OP: „better in – better out“, so der Ärztliche Direktor des Centrums für Muskuloskeletale Chirurgie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Der körperliche Zustand vor der OP wirke sich auf das Ergebnis der Implantation eines neuen Hüft- oder Kniegelenks aus. Dies belege auch der aktuell veröffentlichte Jahresbericht des Endoprothesenregisters Deutschland (EPRD) (2). „Wir dürfen das Dauer-Sitzen nicht zur Gewohnheit werden lassen“, betont Perka, der auch Sprecher des EPRD ist. „Wir sind nicht für ein eingesperrtes Leben wie im Zoo gemacht.“ Auch über die Weihnachtstage sollte man täglich mehrmals rausgehen und sich zwischendurch dehnen.

    – Bei Abdruck, Beleg erbeten –

    Quellen:
    1. Der DEVK-Report 2021: Wie gesund lebt Deutschland? https://www.ergo.com/de/Newsroom/Reports-Studien/DKV-Report
    2. EPRD Jahresbericht 2021: https://www.eprd.de/fileadmin/user_upload/Dateien/Publikationen/Berichte/Jahresb...

    Weitere Informationen:
    WHO guidelines on physical activity and sedentary behaviour, 25 November 2020 https://www.who.int/publications/i/item/9789240015128

    DIE WHO empfiehlt allen Erwachsenen von 18 bis 64 Jahren, auch denjenigen mit einer chronischen Erkrankung oder Behinderung, zudem, jede Woche mindestens 150 bis 300 Minuten aktiv zu sein. Menschen ab dem 65. Lebensjahr empfiehlt die Organisation, zunehmend Aktivitäten in ihr Bewegungsprogramm einzubauen, die den Fokus auf Koordination, Gleichgewicht und Stärkung der Muskelkraft legen – und dies an mindestens drei Tagen in der Woche.

    Die AE – Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik e. V. verfolgt als unabhängiger Verein seit 1996 das Ziel, die Lebensqualität von Patienten mit Gelenkerkrankungen und -verletzungen nachhaltig zu verbessern und deren Mobilität wiederherzustellen. Mit ihren Expertenteams aus führenden Orthopäden und Unfallchirurgen organisiert sie die Fortbildung von Ärzten und OP-Personal, entwickelt Patienteninformationen und fördert den wissenschaftlichen Nachwuchs. Die AE ist eine Sektion der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. (DGOU).

    Pressekontakt für Rückfragen:
    Pressestelle
    AE - Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik e. V.
    Dr. Adelheid Liebendörfer
    Postfach 30 11 20
    70451 Stuttgart
    Tel.: 0711 8931-173
    Fax: 0711 8931-167
    E-Mail: liebendoerfer@medizinkommunikation.org


    Weitere Informationen:

    http://www.ae-germany.com/


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).