Forschungsprojekt der Frankfurt UAS nahm das körperliche und psychische Wohlbefinden von LSBTIQ* in den Blick
Eine Studie der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) hat sich mit psychosozialer Gesundheit und Wohlbefinden von LSBTIQ* (die Buchstaben stehen dabei für lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queere Menschen) befasst. Hierzu gehören das subjektive Gesundheitsempfinden, chronische Erkrankungen, Suizidrisiken sowie sexuelle Zufriedenheit bzw. Gesundheit (z.B. in Bezug auf eine HIV-Infektion oder Hepatitis). Zu den Forschungsschwerpunkten der Untersuchung gehören zudem das Coming-out sowie Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen. Außerdem wurde nach geeigneten Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation queerer Menschen sowie unterstützenden Faktoren wie soziale Kontakte oder die Inanspruchnahme von Hilfsangeboten gefragt. Unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Timmermanns und Prof. Dr. Heino Stöver wurden Datensätze von 8700 LSBTIQ* aus Deutschland ausgewertet.
Es wurde deutlich, dass die vorgegebenen Selbstbezeichnungen wie hetero-, homo-, bi-, pansexuell, inter* oder trans* vielen Menschen nicht ausreichen, um ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität zu beschreiben. 4,4 Prozent wählten eine Vielzahl anderer Bezeichnungen, um ihre queere Identität zu beschreiben. „Dies bestärkt uns in der Annahme, dass es – gerade unter jüngeren Menschen – einen Trend gibt hin zu einer Vervielfältigung und in Folge dessen vermutlich auch Aufweichung der in der Sexualwissenschaft etablierten Kategorien sexueller und geschlechtlicher Identitäten“, erklärt Timmermanns, Professor für Sexualpädagogik und Diversität in der Sozialen Arbeit an der Frankfurt UAS.
Hintergrund der Studie ist das theoretische Modell des Minderheitenstresses und eine daraus resultierende erhöhte Vulnerabilität von LSBTIQ*. Aus früheren Untersuchungen geht hervor, dass LSBTIQ* häufiger an körperlichen, seelischen und chronischen Erkrankungen leiden. „Zwei Themen sind besonders hervorzuheben, da sie für das Verständnis einer erhöhten Vulnerabilität von Bedeutung sind und auf das Leben sehr vieler LSBTIQ* einen Einfluss haben. Zum einen geht es um die Theorie des Minderheitenstresses, der aus Diskriminierungserfahrungen und queernegativen Einstellungen resultiert und für die erhöhte Prävalenz von psychischen Erkrankungen, Substanzkonsum sowie Suizid bei LSBTIQ* verantwortlich ist. Zum anderen gibt es neben negativen Erfahrungen im Leben von LSBTIQ* jedoch auch Ressourcen, z.B. Kontakte zu anderen queeren Menschen, die es vielen von ihnen ermöglichen, trotz aller Widrigkeiten ein überwiegend gutes und zufriedenes Leben zu führen“, betont Timmermanns.
Die quantitative Auswertung des Online-Fragebogens ergab, dass die Generation U 20 ihr Coming-out früher hat als ältere Jahrgänge: Die Mehrheit bereits im Alter zwischen 11 und 16 Jahren. Ungefähr die Hälfte der Befragten berichtet von Diskriminierung an einem öffentlichen Ort und im Bildungswesen. Hieraus lasse sich laut Timmermanns ein deutlicher Auftrag für Schulen und Jugendarbeit ableiten, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu thematisieren und Diskriminierung und Gewalt entschieden entgegenzutreten.
Zusammenfassend stellt Timmermanns fest: „In der Untersuchung konnten zahlreiche Belege für Minderheitenstress von LSBTIQ* gefunden werden. Dieser ist verantwortlich für die höhere gesundheitliche Belastung, die ebenfalls festgestellt werden konnte. Insbesondere in Bezug auf das psychische Wohlbefinden von LSBTIQ* konnte die Studie belegen, dass diese stärker davon betroffen sind als die Gesamtbevölkerung. Dies gilt für trans* und gender*diverse Personen in noch stärkerem Maße. Zudem sind diese beiden Teilgruppen mit Barrieren beim Zugang zur Gesundheitsversorgung konfrontiert.“ Mit Blick in die Zukunft ergänzt er: „Auf Grundlage unserer Ergebnisse sollten Beratungs- und Unterstützungsangebote für LSBTIQ* ausgebaut und weiter verbessert werden. Neben bildungs- und sozialpolitischen sollten aus den Ergebnissen auch gesundheitspolitische Entscheidungen abgeleitet werden, zum Beispiel eine stärkere Sensibilisierung von medizinischem Personal im Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.“
Die anonyme Befragung fand von November 2018 bis März 2019 statt. Befragt wurden rund 8.700 Personen. Das Durchschnittsalter lag bei 38,3 Jahre (Allgemeinbevölkerung: 44,5 Jahre). Einen Migrationshintergrund gaben rund 20 Prozent an (Allgemeinbevölkerung: ca. 26 %). Die geschlechtliche Identität teilte sich folgendermaßen auf: cis-weiblich (1207), cis-männlich (6608), trans-männlich (266), trans-weiblich (133), trans* (259), gender*divers (160), inter* (45). Zur sexuellen Orientierung wurden diese Angaben gemacht: schwul (5735), lesbisch (812), bisexuell (1210), heterosexuell (86), asexuell (54), orientierungs*divers (387), pansexuell (391), keine Angabe (25). Die Befragung wurde von der Professur für Sexualpädagogik und Diversität in der Sozialen Arbeit der Frankfurt UAS gemeinsam mit verschiedenen Community-Organisationen (u. a. Deutsche AIDS-Hilfe e.V., Schwulenberatung Berlin und Lesben Informations- und Beratungsstelle e.V. Frankfurt) durchgeführt. Durch die finanzielle Unterstützung des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst im Rahmen des Programms „Forschung für die Praxis“ konnte die Umfrage unter LSBTIQ* in ganz Deutschland erfolgen. Weitere Fördermittel kamen aus dem Programm „IFOFO“ der Frankfurt UAS sowie dem Kompetenzzentrum Soziale Interventionsforschung (KomSI), das am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Hochschule angesiedelt ist sowie dem Gender- und Frauenforschungszentrum der hessischen Hochschulen (gFFZ).
Die Ergebnisse der Studie sind bei Beltz Juventa in der Verlagsgruppe Beltz, Weinheim Basel veröffentlicht. Unter dem Titel „Wie geht’s euch?“ ist das Werk am 15. Dezember 2021 erschienen.
Weitere Informationen unter: https://www.frankfurt-university.de/de/hochschule/fachbereich-4-soziale-arbeit-g...
Frankfurt University of Applied Sciences, Fachbereich 4: Soziale Arbeit und Gesundheit, Prof. Dr. Stefan Timmermanns, Telefon: +49 69 1533-2851, E-Mail: timmermanns.stefan@fb4.fra-uas.de
Timmermanns, Graf, Merz und Stöver, „Wie geht’s euch?“, ISBN 978-3-7799-6443-8
© 2022 Beltz Juventa in der Verlagsgruppe Beltz, Weinheim Basel
http://www.beltz.de/de/nc/verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn=978-3-779...
https://www.frankfurt-university.de/de/hochschule/fachbereich-4-soziale-arbeit-g...
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Psychologie
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Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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