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15.04.2004 15:01

Praxisverhindernde Theorie - Untersuchung zu Methoden im Berufsschulunterricht

Ole Lünnemann Referat Hochschulkommunikation
Universität Dortmund

    Angesichts der derzeitigen Misere auf dem Arbeitsmarkt gerät auch die berufliche Bildung verstärkt in die Diskussion. Arbeitgeber bemängeln die Qualität der Nachwuchsfachkräfte und die Praxisferne der Ausbildung. Angesichts seit Jahren hoher Abbrecherzahlen und Durchfallquoten in den Abschlussprüfungen stellt sich die Frage, inwieweit der Berufsschulunterricht zur Verbesserung der Qualität der Ausbildung beiträgt. Der Lehrstuhl für Berufspädagogik der Universität Dortmund hat jetzt in einer Studie erstmals untersucht, wie handlungsorientierte kompetenzfördernde Unterrichtskonzepte Eingang in die Unterrichtspraxis gefunden haben. Ein zentrales Ergebnis offenbart den dringenden Reformbedarf im Berufsschulunterricht: Nach wie vor dominiert der klassische Frontalunterricht. Projektunterricht, Lernen mit Multimedia oder Experimente sind trotz einer intensiven didaktischen Diskussion in den letzten Jahren noch lange nicht Standard im Berufsschülerleben.

    In sechs Bundesländern befragte das Wissenschaftlerteam um Prof. Günter Pätzold an 74 berufsbildenden Schulen knapp 400 Lehrkräfte aus dem gewerblich technischen, dem kaufmännisch-verwaltenden sowie dem IT - Bereich. Zusätzlich befragten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rund 3.500 Auszubildende, um ergänzende Befunde zu Motivation, subjektiv bewerteten Lernzuwächsen und Einschätzung zur Bedeutung des Gelernten für die Berufspraxis zu erhalten.
    Zwar zeigt die Untersuchung, dass alle abgefragten eher handlungsorientierten Unterrichtsformen ab und an zum Einsatz kommen, der Unterrichtsalltag jedoch überdeutlich vom klassischen lehrerzentrierten Frontalunterricht geprägt ist. Das fragend-erarbeitende Lehrgespräch nimmt eine herausragende Stellung ein, der Medieneinsatz beschränkt sich oftmals auf Tafel, Overhead-Projektor, Schulbücher und Arbeitsblätter.
    Der Lehrkräfte begründen dies vor allem mit der Notwendigkeit der effizienten Vermittlung von Begriffswissen und der Bewältigung eines umfangreichen Lehrstoffes in kurzer Zeit. Die Auszubildenden werden zwar durch handlungsorientierte Unterrichtsansätze deutlich stärker motiviert, attestieren dem Frontalunterricht jedoch einen hohen Lerneffekt. Pätzold führt diese Denkweise unter anderem auf die traditionelle Abschlussprüfungspraxis der Kammern zurück, die bislang vornehmlich Faktenwissen abfragen: "Die Ausbildung im dualen System wird stets auch durch den "heimlichen Lehrplan" der Abschlussprüfungen mit bestimmt - schließlich sollen und wollen die Auszubildenden so unterrichtet werden, dass sie die Prüfungen bestehen. So ist es nicht verwunderlich, das nur wenig Raum für handlungsorientierte Lehr-Lern-Arrangements bleibt sondern alte Wissensfragen gepaukt werden." Zwar sind hier zweifellos bereits erste Tendenzen einer Umgestaltung der Abschlussprüfungen zu erkennen - so werden seit Mitte der 1990er Jahre verstärkt innovative Prüfungsformen in den Ausbildungsordnungen festgeschrieben -, von einer flächendeckenden Umsetzung dieser Prüfungsmethoden kann aber noch nicht gesprochen werden. Wohl auch deshalb, weil' sie im Vergleich zu den traditionellen Prüfungsformen mit einem höheren Aufwand verbunden sind.
    Die Dortmunder Wissenschaftler fordern daher eine handlungsorientierte Prüfungspraxis, die die Prüfungsinhalte enger mit der betrieblichen Praxis verzahnt. "Das theoretische Wissen muss im Unterricht in einen Kontext gestellt werden, damit es für den Lernenden in der späteren betriebliche Praxis Anwendungsbezug hat." Eine "praxisverhindernde Theorie" kann die Auszubildenden im späteren Berufsleben mit erheblichen Problemen konfrontieren. Schließlich ist es längst nicht mehr Standard, dass Auszubildende von ihren Ausbildungsbetrieben übernommen werden. Auf dem modernen Arbeitsmarkt müssen sie sich häufig bei neuen Arbeitgebern in neuen betrieblichen Umgebungen und Aufgabenfeldern orientieren. Die hierfür notwendige Flexibilität und Handlungskompetenz muss im Berufsschulunterricht einen größeren Raum einnehmen.
    Diese Forderung stellt auch neue Ansprüche an die Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte. Die Untersuchung zeigt, dass Fortbildungen einen positiven Einfluss auf die Grundhaltung gegenüber handlungs- und schülerorientierten Lehr- und Lernformen hat und die Motivation, diese im Unterricht auch einzusetzen, verstärkt. Um aber die tatsächliche Einsatzhäufigkeit zu erreichen, gilt es, Fortbildung so zu etablieren, dass sie nicht nur auf theoretische Methodenvermittlung abzielen, sondern die Übung und konkrete Erprobung ermöglichen und die Reflexion und Erforschung des eigenen Unterrichts in den Vordergrund stellen. An dieser Stelle sehen die Dortmunder Wissenschaftler auch sich selbst gefordert. Nur durch eine Verbesserung des Transfers in die universitäre Erstausbildung und vor allem die ein Berufsleben begleitende Weiterbildung können Erkenntnisse der methodisch-didaktischen Forschung eine Wirkung in der schulischen Alltagspraxis zeigen.

    Weitere Informationen:
    Prof. Dr. Günter Pätzold
    Universität Dortmund / IAEB
    Lehrstuhl für Berufspädagogik
    Emil-Figge-Straße 50
    44221 Dortmund
    Telefon:(0231) 755-2198 /- 2199
    Fax:(0231) 755-6230


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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