Nur wenig war bisher darüber bekannt, wie DNA über lange Zeiträume in Sedimenten überdauert. Ein internationales Team von Forschenden des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und anderer Einrichtungen in Deutschland, Australien, Portugal und Russland zeigt, dass alte menschliche und tierische DNA in kleinen „Hot Spots“ konzentriert ist, insbesondere in mikroskopisch kleinen Knochen- und Kotpartikeln. Durch die Entnahme von Mikroproben solcher Partikel können beträchtliche Mengen alter DNA von Menschen, zum Beispiel von Neandertalern und anderen Arten, gewonnen und in mikroskopischem Maßstab mit archäologischen und ökologischen Daten abgeglichen werden.
Sedimente, in denen archäologische Funde eingebettet sind, wurden von den meisten Archäologen lange Zeit als unwichtige Nebenprodukte von Ausgrabungen betrachtet. In den letzten Jahren hat sich jedoch gezeigt, dass Sedimente uralte Biomoleküle, einschließlich DNA, enthalten können. „Die Gewinnung alter menschlicher und tierischer DNA aus Sedimenten bietet aufregende neue Möglichkeiten, die Besiedlungsgeschichte von Menschen und anderen Organismen an Orten zu untersuchen, an denen Skelettüberreste kaum oder gar nicht vorhanden sind“, sagt Matthias Meyer, Letztautor der Studie und Forscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.
Um die Ursprünge der Sediment-DNA zu untersuchen, haben die Max-Planck-Forschenden zusammen mit einer internationalen Gruppe von Geoarchäologen – Archäologen, die geologische Techniken anwenden, um die Entstehung von Sedimenten und archäologischen Fundstätten zu rekonstruieren – auf mikroskopischer Ebene untersucht, wie und wo DNA im Sediment erhalten bleibt. Dazu verwendeten sie Sedimentblöcke, die sie zuvor aus archäologischen Stätten entnommen und in kunststoffähnlichem Harz (Polyester) getränkt hatten. Die ausgehärteten Blöcke wurden ins Labor gebracht und für mikroskopische und genetische Analysen in Scheiben geschnitten.
Den Forschenden gelang es, DNA aus einer Sammlung von Sedimentblöcken zu extrahieren, die in den letzten vier Jahrzehnten an Ausgrabungsstätten in Afrika, Asien, Europa und Nordamerika entnommen worden waren. „Dass diese Blöcke trotz der oft jahrzehntelangen Lagerung in Plastik eine hervorragende Quelle für alte DNA sind, einschließlich der von Homininen, eröffnet den Zugang zu einem riesigen, bisher ungenutzten Reservoir an genetischen Informationen“, sagt Mike Morley von der Flinders University in Australien, einer der leitenden Geoarchäologen der Studie. „Die Studie eröffnet eine neue Ära der Erforschung alter DNA. In Laboren gelagerte Proben können nun erneut untersucht werden. Auch die Analyse archäologischer Fundstätten, die längst wieder verfüllt wurden, ist nun möglich, was gerade auch in Hinblick auf eingeschränkte Reisemöglichkeiten und die Unzugänglichkeit archäologischer Fundstätten in einer von Pandemien geprägten Welt besonders wichtig ist.“
Fülle von Mikroresten in der Sedimentmatrix
Die Forschenden verwendeten Sedimentblöcke aus der Denisova-Höhle, einer Stätte im Altai-Gebirge in Südzentral-Sibirien, wo alte DNA von Neandertalern, Denisovanern und modernen Menschen gefunden wurde, und konnten belegen, dass kleine organische Partikel mehr DNA liefern als zufällig entnommene Sedimentproben. „Unsere Studie zeigt deutlich, dass die hohe Erfolgsrate bei der Gewinnung alter Säugetier-DNA aus den Sedimenten der Denisova-Höhle auf die Fülle von Mikroresten in der Sedimentmatrix zurückzuführen ist und nicht auf an Mineralkörnern angeheftete DNA aus Fäkalien, Körperflüssigkeiten oder sich zersetzendem Zellgewebe“, sagt Vera Aldeias, Co-Autorin der Studie und Forscherin an der University of Algarve in Portugal. „Diese Studie bringt uns einen großen Schritt weiter, wenn es darum geht zu verstehen, wo und unter welchen Bedingungen alte DNA in Sedimenten konserviert wird“, so Morley.
Der in der Studie beschriebene Ansatz ermöglicht eine genau lokalisierte Entnahme von Sedimentproben für DNA-Analysen und zeigt, dass alte DNA nicht gleichmäßig im Sediment verteilt ist und dass bestimmte Sedimentmerkmale die Erhaltung alter DNA eher begünstigen als andere. „Die direkte Zuordnung von DNA-Sequenzen zum archäologischen Mikrokontext ermöglicht es uns zu untersuchen, ob alte DNA zwischen verschiedenen Sedimentschichten ‚gewandert‘ ist“, sagt Susan Mentzer, Forscherin am Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment in Frankfurt am Main.
Erstautor Diyendo Massilani vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie ist es gelungen, aus nur wenigen Milligramm Sediment erhebliche Mengen an Neandertaler-DNA zu gewinnen. So konnte er das Geschlecht der Individuen bestimmen, die in der Höhle ihre DNA hinterlassen hatten, und belegen, dass sie zu einer Population gehörten, die mit einem Neandertaler verwandt war, dessen Genom zuvor aus einem in der Höhle entdeckten Knochenfragment rekonstruiert worden war. „Die in diesen kleinen Proben von in Plastik eingebettetem Sediment enthaltene Neandertaler-DNA war viel konzentrierter als das, was wir normalerweise in losem Sediment finden“, sagt Massilani. „Mithilfe dieser Technologie wird es zukünftig gelingen, die DNA vieler verschiedener vergangener Menschen aus nur einem kleinen Würfel verfestigten Sediments zu gewinnen. Es ist amüsant sich vorzustellen, dass dies vermutlich nur möglich ist, weil unsere Vorfahren die Höhle vor Zehntausenden von Jahren auch als Toilette benutzt haben.“
Dr. Diyendo Massilani
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig
+49 341 3550-551
diyendo_massilani@eva.mpg.de
Dr. Matthias Meyer
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig
+49 341 3550-509
mmeyer@eva.mpg.de
Dr. Mike Morley
Flinders University, Adelaide, Australia
+61 41 7057-188
mike.morley@flinders.edu.au
Diyendo Massilani et al.
Microstratigraphic preservation of ancient faunal and hominin DNA in Pleistocene cave sediments
PNAS, 27 December 2021, https://doi.org/10.1073/pnas.2113666118
Entnahme einer Probe aus einem imprägnierten Sedimentblock für die Analyse alter DNA.
© MPI f. evolutionäre Anthropologie
Oberfläche eines in Kunststoff imprägnierten Sedimentblocks aus der Denisova-Höhle.
© Mike Morley
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Geschichte / Archäologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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