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03.02.2022 10:15

Weiteres Rätsel um den Chloridionenkanal ASOR gelöst

Silke Oßwald Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP)

    Der Chloridionenkanal ASOR ist allgegenwärtig in unseren Zellen. Doch außer seiner Beteiligung am Zelltod weiß man nicht viel über seine physiologische Bedeutung. Nachdem Forscher um Prof. Thomas Jentsch vom FMP und MDC vor zwei Jahren das Gen des säureempfindlichen Ionenkanals identifizieren konnten, haben sie nun Erstaunliches über dessen Struktur und Aktivierungsmechanismen herausgefunden. Die jetzt in Science Advances publizierten Erkenntnisse sind ein weiterer Schritt auf dem Weg zu des Rätsels Lösung.

    Ionenkanäle haben lebenswichtige Funktionen: Sie sorgen dafür dass Ionen wie Chlorid, Kalium oder Natrium in unsere Körperzellen ein- und aus ausströmen können. Auf diese Art und Weise wird der Elektrolytgehalt in den Zellen und ihrer Umgebung reguliert und beispielsweise elektrische Signale generiert. Ionenkanäle sind aber auch sehr wichtig für intrazelluläre Organellen, deren Funktion sie maßgeblich beeinflussen. Der Chloridionenkanal ASOR ist einer von ihnen.

    Doch bislang weiß man nur wenig über den Acid-Sensitive Outwardly Rectifying Anion Channel – kurz ASOR. 2019 konnte das Team von Prof. Thomas Jentsch vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) und Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)in Berlin, parallel zu einer Gruppe in den USA, das Gen für den säureempfindlichen Ionenkanal identifizieren. Schon damals war bekannt, dass sich dieser Kanal nur öffnet, wenn die extrazelluläre Umgebung sehr sauer wird. Das ist ungewöhnlich, denn ein derart niedriger pH-Wert kommt normalerweise nur vor, wenn Zellen absterben – etwa bei einem Schlaganfall oder Herzinfarkt.

    Bis heute ist unklar, warum praktisch alle menschlichen und tierischen Zellen diesen Ionenkanal besitzen. Neuere Daten weisen darauf hin, dass ASOR eine wichtige Rolle in intrazellulären Vesikeln spielt, die normalerweise einen pH aufweisen, der sauer genug ist, um ASOR zu aktivieren. Der Mechanismus dieser Aktivierung sowie die Struktur der Pore, durch die Chloridionen strömen können, waren bisher jedoch unbekannt. Erst die Kenntnis dieser Eigenschaften würde ein Design von Pharmaka, die ASOR beeinflussen, ermöglichen. In enger Zusammenarbeit mit Strukturbiologen in New York konnten die Berliner Forscher nun neue wichtige Erkenntnisse gewinnen: Zum ersten Mal überhaupt wurde die Struktur des offenen Kanals gezeigt sowie ein neuer Aktivierungsmechanismus identifiziert.

    Struktur des offenen Kanals beschrieben

    Die Kollegen um Professor Steve Long am Memorial Sloan Kettering Cancer Institute erhielten mit Hilfe von Kryo-Elektronenmikroskopie hochauflösende Strukturen des Kanals bei verschiedenen pH-Werten. Aus einem Vergleich dieser Strukturen wurden Modelle für die Funktion des Kanals abgeleitet, die die Berliner Arbeitsgruppe mit Hilfe des Austauschs einzelner Aminosäuren und anschließender elektrophysiologischer Analyse überprüfte. „Was wir gefunden haben, ist für einen Ionenkanal ziemlich ungewöhnlich“, sagt Post-Doktorandin Maya Polovitskaya, eine der Erstautorinnen der Studie. „Änderungen des pH Werts führen zu einer Kontraktion der extrazellulären Domäne des Kanals, die dadurch an Membran-durchquerenden helikalen Segmenten des Kanalproteins zieht. Im Gegensatz zu anderen Kanälen, bei denen die Öffnung der Pore nur mit relativ kleinen Veränderungen der Position einzelner oder weniger Aminosäuren einhergeht, sehen wir bei ASOR eine drastische Veränderung des Membrananteils des Kanals. Dieser Prozess, den wir Transmembranmetamorphose nennen, führt zur Bildung einer Pore, durch die Chlorid fließt. Diese Umbildung unterscheidet sich daher eklatant von der Öffnung anderer bekannter Kanäle.“

    Säure führt über elektrische Kräfte zur Metamorphose des Kanals

    Durch den Vergleich der Kanalstrukturen bei neutralem und saurem pH kamen die Forscher auch dem zugrundeliegenden Aktivierungsmechanismus auf die Spur. Pro Untereinheit des aus drei gleichen Proteinen zusammengesetzten Kanals gibt es in der extrazellulären Domäne drei Paare von negativ geladenen Aminosäuren, die sich normalerweise elektrisch abstoßen. Bei saurem pH, das heißt einer hohen Konzentration von H+ (Protonen), lagern sich diese positiv geladenen Partikel zwischen die negativen Seitenketten der Aminosäurepaare und ‚kleben‘ diese zusammen. Dadurch kommt es zur oben beschriebenen Kontraktion des extrazellulären Teils und der Bildung der Membranpore. Dies erklärt die starke pH-Abhängigkeit von ASOR.

    Der seit Jahrzehnten bekannte Natriumkanal ASIC wird ebenfalls durch sauren pH geöffnet. Der Mechanismus der pH-Sensitivität und die Iris-ähnliche Öffnung der Pore von ASIC unterscheiden sich aber grundlegend von ASOR. „Wir haben in unserer Arbeit neue Mechanismen entdeckt und eine Grundlage zur Entwicklung von ASOR-beeinflussenden Substanzen geschaffen“, so Polovitskaya.

    Was bleibt, ist die Frage: Wozu ist ASOR eigentlich gut? Eine Gruppe aus den USA konnte vor einiger Zeit zeigen, dass der Ionenkanal eine fatale Rolle beim Schlaganfall spielt. Knock-out-Mäuse, bei denen ASOR abgeschaltet war, überstanden den Hirnschlag mit weniger bleibenden Schäden als ihre Artgenossen mit funktionsfähigem Kanal.

    Zelltod kann nicht der einzige Zweck von ASOR sein

    „ASOR spielt definitiv eine Rolle bei Säure-induziertem Zelltod, aber eine Rolle in intrazellulären Prozessen, zum Beispiel beim Transport von Vesikeln, rückt nun mehr in den Vordergrund“, sagt Arbeitsgruppenleiter Prof. Thomas Jentsch. Er hat schon etliche Ionenkanäle entdeckt, deren biologische Funktionen beschrieben und einige davon als Krankheitsgene entlarven können.Darum ist der Forscher zuversichtlich, auch eines Tages das Rätsel um ASOR zu lösen. „Wir haben jetzt schon Anhaltspunkte, dass eine Inhibition des Kanals das Absterben von Gehirnzellen beim Schlaganfall abmildern könnte. Aber als Grundlagenforscher wollen wir natürlich auch die biologische Funktion im gesunden Organismus verstehen“, meint Jentsch. „Und dieser spannenden Frage bleiben wir auf den Fersen.“


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Dr. Thomas Jentsch
    Department Physiology and Pathology of Ion Transport
    Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP)
    AG Physiologie und Pathologie des Ionentransportes
    Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
    Tel.: +49 30 9406 2961
    jentsch(at)fmp-berlin.de


    Originalpublikation:

    Chongyuan Wang, Maya M. Polovitskaya, Bryce D. Delgado, Thomas J. Jentsch, Stephen B. Long. Gating choreography and mechanism of the human proton-activated chloride channel ASOR. Science Advances, Vol 8, Issue 5, DOI: 10.1126/sciadv.abm3942


    Weitere Informationen:

    http://leibniz-fmp.de/jentsch


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Chemie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Kooperationen
    Deutsch


     

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