Forschende der Universitäten Bonn und Regensburg haben die Struktur eines zentralen zellulären Entzündungs-Schalters aufgeklärt. Ihre Arbeit zeigt, an welchen Ort des riesigen Proteins namens NLRP3 Hemmstoffe binden können. Dadurch wird der Weg zu neuen Pharmaka frei, die gegen entzündliche Erkrankungen wie Gicht, Typ-2-Diabetes oder auch Alzheimer helfen könnten. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift Nature erschienen.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben in ihrer Studie ein Eiweißmolekül mit dem kryptischen Kürzel NLRP3 untersucht. Dabei handelt es sich um eine Art Gefahrensensor in der Zelle: Er schlägt Alarm, wenn die Zelle in Stress gerät, etwa durch eine bakterielle Infektion oder durch Toxine.
NLRP3 sorgt dann einerseits dafür, dass in der Zellmembran Löcher entstehen, was schließlich zum Tod der Zelle führt. Davor kurbelt das Sensor-Molekül aber noch die Bildung von Entzündungs-Botenstoffen an, die durch die perforierte Membran freigesetzt werden. Sie rekrutieren weitere Immunzellen an den Ort des Geschehens und sorgen dafür, dass Zellen in der Umgebung Selbstmord begehen – so kann sich zum Beispiel ein Bakterium oder Virus nicht weiter ausbreiten.
„Die Folge ist eine massive Entzündungsreaktion“, erklärt Prof. Dr. Matthias Geyer vom Institut für Strukturbiologie der Universität Bonn, der die Studie geleitet hat. „Zur Abwehr von Erregern ist das auch sehr sinnvoll. Wird sie aber überdosiert oder schon durch harmlose Auslöser getriggert, können chronische Entzündungskrankheiten die Folge sein – etwa Diabetes vom Typ II, Gicht, Morbus Crohn oder selbst Demenzerkrankungen wie Alzheimer.“
Entzündungen gezielt eindämmen
Rund um den Globus suchen Forschende daher nach Wegen, gezielt auf Entzündungsprozesse einzuwirken, ohne dabei den gesamten Mechanismus der Immunantwort auszuhebeln. Schon vor 20 Jahren veröffentlichte die US-Pharmafirma Pfizer dazu einen interessanten Befund: Bestimmte Wirkstoffe verhindern demnach die Freisetzung von Zytokinen, den wichtigsten Entzündungs-Botenstoffen. Wie diese CRIDs (Cytokine Release Inhibitory Drugs) das machen, war aber bislang unbekannt.
Seit einigen Jahren weiß man, dass CRIDs irgendwie verhindern, dass die zellulären Gefahrensensoren Alarm schlagen. „Wir haben nun herausgefunden, auf welche Weise sie diese Wirkung entfalten“, erklärt Geyers Mitarbeiterin Inga Hochheiser. Dazu hat sie große Mengen NLRP3 aus Zellen isoliert, aufgereinigt und mit dem Hemmstoff CRID3 versetzt. Winzige Portionen dieser Mischung hat sie auf einen Träger getropft und dann direkt eingefroren.
Bei dieser Methode entsteht ein dünner Eisfilm. Er enthält Millionen von NLRP3-Molekülen, an die CRID3 gebunden ist. Diese lassen sich mit dem Elektronenmikroskop betrachten. Da die Moleküle beim Auftropfen unterschiedlich fallen, sind unter dem Mikroskop verschiedene Seiten von ihnen zu sehen. „Diese Ansichten lassen sich zu einem dreidimensionalen Bild kombinieren“, erklärt Hochheiser.
Die Kryo-EM-Bilder erlauben einen genauen Einblick in die Struktur des durch CRID3 inaktivierten Gefahrensensors. Auf ihnen ist zu erkennen, dass sich NLRP3 in seiner inaktiven Form zu einem Mega-Molekül zusammenfindet. Es besteht aus zehn NLRP3-Einheiten, die zusammen eine Art Käfig bilden. „Das spannendste Ergebnis unserer Arbeit ist aber, dass wir die CRID3-Bindungsstellen identifizieren konnten“, freut sich Geyer. „Daran haben sich alle anderen Arbeitsgruppen bislang die Zähne ausgebissen.“
Hemmstoff verhindert die Entfaltung des Riesenmoleküls
Die Bindungsstellen (Strukturbiologen sprechen auch von „Taschen“) liegen demnach im Innern des Käfigs. Jede der zehn Einheiten verfügt über eine dieser Taschen. Ist sie von CRID3 belegt, blockiert der Hemmstoff einen Klapp-Mechanismus, der für die Aktivierung von NLRP3 nötig ist. Ähnlich wie bei einer aufblühenden Rose, die nur in diesem Zustand von einer Biene besucht werden kann, gelangen beim Umklappen bestimmte Teile des NLRP3-Proteins auf die Oberfläche des Käfigs und werden dadurch zugänglich.
NLRP3 ist ein Vertreter einer ganzen Familie ähnlicher Proteine. Jedes von ihnen erfüllt vermutlich bei verschiedenen Entzündungsvorgängen seine ganz spezifische Aufgabe. „Wir glauben aufgrund unserer Untersuchungen, dass sich die Taschen all dieser NLRPs unterscheiden“, sagt Geyer. „Für jede lässt sich daher vermutlich ein eigener Hemmstoff finden.“ Forschende erhalten so ein ganzes Arsenal von möglichen neuen Waffen gegen verschiedene, entzündliche Krankheiten an die Hand.
Die aktuelle Arbeit ermöglicht zum Beispiel, gezielt nach wirksameren Alternativen zu CRID3 zu suchen, die zudem weniger Nebenwirkungen haben. Das sei aber nur der Anfang, meint Geyer, der auch Mitglied im Exzellenzcluster ImmunoSensation2 der Universität Bonn ist. „Ich bin davon überzeugt, dass unsere Studie ein fruchtbares neues Forschungsfeld eröffnet, das die Wissenschaft noch Jahrzehnte beschäftigen wird.“
Beteiligte Institutionen und Förderung:
Die Studie wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie durch EU-Mittel im Rahmen der iNEXT-Discovery- und der Instruct-ERIC-Initiativen gefördert. Die Kryo-EM-Bilder zur Strukturaufklärung wurden am EMBL in Heidelberg aufgenommen.
Prof. Dr. Matthias Geyer
Institut für Strukturbiologie der Universität Bonn
Tel. +49-228/287-51400
E-Mail: matthias.geyer@uni-bonn.de
Inga V. Hochheiser, Michael Pilsl, Gregor Hagelueken, Jonas Moecking, Michael Marleaux, Rebecca Brinkschulte, Eicke Latz, Christoph Engel & Matthias Geyer: Structure of the NLRP3 decamer bound to the cytokine release inhibitor CRID3; Nature; DOI: 10.1038/s41586-022-04467-w; URL: https://www.nature.com/articles/s41586-022-04467-w
Doktorandin Inga Hochheiser und Prof. Dr. Matthias Geyer beim Betrachten der CRID3 Bindungsstelle im ...
Foto: Johann F. Saba/UKB
Doktorandin Inga Hochheiser und Prof. Dr. Matthias Geyer, Direktor des Instituts für Strukturbiologi ...
Foto: Johann F. Saba/UKB
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