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20.04.2004 11:39

FiBS-Studie: Bildungsfinanzierung von der Kita bis zur Weiterbildung

Birgitt A. Cleuvers Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS)

    Umverteilung und Selektion in allen Bildungsbereichen zu Gunsten bildungsnaher und einkommensstarker Schichten

    Eine aktuelle Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) zur "Finanzierung lebenslangen Lernens" ergibt, dass es aufgrund der weitgehend öffentlichen Finanzierung von der Kita bis zur Hochschule zu massiver Umverteilung und Selektion im deutschen Bildungssystem kommt. In der Weiterbildung setzt sich diese Tendenz fort, da Akademiker diese häufig vom Arbeitgeber finanziert bekommen, während es kaum noch öffentliche Förderung gibt. Dadurch werden Chancengleichheit und -gerechtigkeit ebenso behindert wie lebenslanges Lernen. Die Studie untersucht die privaten und öffentlichen Ausgaben je Schüler bzw. Studierenden und die Nutzungsstruktur des Bildungssystems sowie die daraus resultierenden Verteilungswirkungen.

    Für den Kindergarten zahlen die Eltern durchschnittlich gut EUR 60 pro Monat und die öffentliche Hand EUR 190. Trotz der meist einkommensabhängigen Elternbeiträge ist die Beitragslast im Verhältnis zu ihrem Einkommen für Eltern im unteren Einkommensbereich höher als für besser verdienende Familien. Letztere nutzen Kitas auch vergleichsweise mehr und es kommt zu einer Umverteilung zugunsten dieser Gruppen.

    In den allgemeinbildenden Schulen steigen die öffentlichen Ausgaben pro Schüler tendenziell mit der Schulform. Während die Ausgaben je Grundschüler bei monatlich EUR 300 und je Haupt- oder Realschüler durchschnittlich bei knapp EUR 400 liegen, fallen je Gymnasiasten durchschnittlich EUR 435 an. Ausstattungsindikatoren weisen sogar darauf hin, dass für einen gymnasialen Oberstufenschüler noch weitaus mehr ausgegeben werden dürfte; konkrete Zahlen gibt es jedoch nicht. Für eine berufsbildende Schule, die während einer dualen Ausbildung besucht wird, bezahlt die öffentliche Hand durchschnittlich EUR 200 pro Schüler und Monat.

    Für die Eltern sind die Elternbeiträge während der Primar- und Sekundarstufe I relativ gering. Danach aber ergeben sich erhebliche Kostenunterschiede. Eltern von Lehrlingen werden aufgrund der Ausbildungsvergütung von durchschnittlich EUR 595, die das Kind erhält, finanziell um mehrere EUR 100 pro Monat entlastet. Das Kindergeld von mindestens EUR 154 wird aber weiterhin gezahlt.

    Vergleicht man dies mit der Situation von Eltern, deren Kind das Abitur macht, so zeigen sich hier Belastungen von rund EUR 375 pro Monat. Stellt man die beiden Bildungswege aus Elternsicht gegenüber, dann haben die Eltern eines Auszubildenden einen monatlichen Einkommensvorteil von bis zu EUR 500. Aus ihrer Sicht dürften sich somit erhebliche Vorteile ergeben, wenn ihr Kind eine duale Ausbildung macht. Dies gilt umso mehr, je geringer ihr eigenes Einkommen ist oder je mehr Kinder sie zu versorgen haben.

    Vor diesen Hintergrund ist es naheliegend, dass Kinder aus bildungsfernen und niedrigeren sozio-ökonomischen Schichten deutlich häufiger eine Berufsausbildung im dualen System durchlaufen als Kinder aus einkommenstärkeren Familien, die statt dessen über die gymnasiale Oberstufe das Abitur erwerben. Auch wenn dies nicht nur von der Finanzierung abhängt, sondern auch durch etliche andere Faktoren begünstigt wird, wie die Schulleistungsvergleiche IGLU und PISA gezeigt haben, so verstärken die Finanzierungsregelungen diese Tendenz noch.

    Vergleicht man die öffentlichen Ausgaben der beiden Bildungswege bis zum Abitur bzw. bis zum Lehrabschluss, dann kostet eine abgeschlossene Berufsausbildung den Staat EUR 60.000 und das Abitur eines Gymnasiasten rund EUR 75.000 (einschließlich des Kindergeldes bei volljährigen Kindern).

    Während für Auszubildende der öffentlich finanzierte Bildungsweg in der Regel mit dem Abschluss der Lehre endet, gehen die meisten Gymnasiasten nach dem Abitur zur Hochschule. Geht man von studienbezogenen Ausgaben von EUR 8.000 je Studierenden und Jahr aus, dann erhöhen sich die öffentlichen Kosten während der durchschnittlich 6-jährigen Studiendauer um weitere EUR 48.000, zuzüglich EUR 13.000 an Kindergeld, BAföG etc. D.h. ein Akademiker kostet die öffentliche Hand mit rund EUR 135.000 mehr als doppelt so viel wie ein Absolvent der dualen Berufsausbildung. Aufgrund der sozialschichtspezifisch unterschiedlichen Bildungswege kommt es somit wiederum zu einer Umverteilung, die bildungsnahe bzw. mittlere und obere Einkommensschichten begünstigt.

    Dieser Trend setzt sich auch in der Weiterbildlung fort. Wer lange im öffentlich finanzierten Bildungssystem war - wie vor allem ein Akademiker -, erhält wesentlich häufiger eine vom Arbeitgeber finanzierte Weiterbildung als ein Arbeiter oder ein Hauptschulabsolvent. Der Staat beteiligt sich lediglich in Ausnahmefällen an den Weiterbildungskosten, insbesondere bei Arbeitslosigkeit und über das Steuersystem. Der progressive Steuertarif führt allerdings dazu, dass die Entlastung mit dem zu versteuernden Einkommen steigt. Entsprechend sinkt die Nettobelastung der Weiterbildung mit zunehmenden Einkommen. Auch hier sind also einkommensschwächere Arbeiter oder Arbeitslose deutlich benachteiligt.

    "Fasst man die Ergebnisse zusammen" so Dr. Dieter Dohmen, Leiter der FiBS, "dann zeigt sich, dass das bestehende System der Bildungsfinanzierung in Deutschland zu einer erheblichen Umverteilung zugunsten der bildungsnahen, höheren sozio-ökonomischen Schichten und zu Selektion führt. Die Chancengleichheit und -gerechtigkeit wird nicht nur institutionell, sondern auch finanziell behindert. Weniger finanzkräftige oder auch weniger altruistische Eltern haben über die hohen privaten Kosten eines weiterführenden Schulbesuchs bei gleichzeitiger Entlastung durch die Ausbildungsvergütung einen massiven Anreiz, ihr Kind in eine Lehre zu drängen. Die unzureichende Schülerförderung über das BAföG verstärkt die bereits bestehenden Selektionstendenzen des deutschen Bildungssystems. Wer hat, dem wird gegeben, und wer einmal das Bildungssystem verlassen hat, bleibt auch meistens außen vor. Angesichts des demografischen Wandels und des sich verstärkenden Fachkräfte- und Akademikermangels - insbesondere ab 2015/2020 - läuft Deutschland Gefahr, seine wirtschaftliche Zukunft zu verspielen, wenn nicht bald und entschlossen gegengesteuert wird."

    Als Ansatz für eine Neuordnung der gesamten Bildungsfinanzierung kommt ein (virtuelles) individuelles Bildungskonto mit Bildungsgutscheinen in Betracht, bei dem der Privatfinanzierungsanteil sukzessive steigt, z.B. bei einem Studium. Wer ein solches Konto nicht durch Schule und Studium verbraucht, kann die verbleibenden Gutscheine für Weiterbildungsmaßnahmen nutzen. Mögliche Studienkontenmodelle hat das FiBS zuletzt für die Länder Berlin und Baden-Württemberg entwickelt. Bei Studiengebühren ist darauf zu achten, dass nicht eine neue Stufe der sozialen Selektion eingeführt wird, wie dies bei fast allen vorliegenden Modellen und Vorschlägen der Fall ist, u.a. aufgrund der hohen Verschuldung, die nach dem Studium bei einzelnen Modellen über EUR 40.000 betragen kann. Das FiBS wird hierzu in Kürze ein eigenes Konzept vorlegen.

    Der Beitrag kann ab sofort auf der Homepage des Forschungsinstituts (FiBS-Forum Nr. 22 unter www.fibs-koeln.de) heruntergeladen werden und wird demnächst in dem Buch "Wissensgesellschaft, Verteilungskonflikte und strategische Akteure" publiziert; genaue Zahlenwerte zeigt die Grafik.

    (Insgesamt: 91 Zeilen à ca. 85 Anschläge, 7.183 Zeichen)

    Kontakt: Birgitt A. Cleuvers (FiBS), Tel. 02 21 / 550 95 16
    Wir freuen uns über einen Hinweis auf Ihre Berichterstattung. Vielen Dank!


    Weitere Informationen:

    http://www.fibs-koeln.de


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    Monatliche bildungsbedingte Ausgaben je Schüler/Studierenden in EURO
    Monatliche bildungsbedingte Ausgaben je Schüler/Studierenden in EURO

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    fachunabhängig
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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