Einem Forschungsteam des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Universität Bern ist es gelungen, die kognitiven Langzeitfolgen von Schlaganfällen im Kindesalter in Abhängigkeit vom Zeitpunkt des Ereignisses zu beschreiben. Tritt der Schlaganfall bei Kindern im Alter zwischen einem Monat und fünf Jahren ein, ist die Erholung schlechter als bei Ereignissen vor oder nach diesem Alter.
Akute Durchblutungsstörungen durch arteriell-ischämische Schlaganfälle sind bei Kindern relativ selten (2–3:100 000 pro Jahr). Der Schlaganfall gehört jedoch zu den zehn häufigsten Todesursachen bei Kindern. Zudem führt er in 70–80 Prozent der Fälle zu Langzeitfolgen und kognitiven Auffälligkeiten in späteren Entwicklungsphasen.
Schlaganfälle im Alter von einem Monat bis fünf Jahren mit den gravierendsten Folgen
Das Alter, in dem ein Schlaganfall auftritt, spielt eine entscheidende Rolle für den Verlauf der Erholung. Es ist ausschlaggebend für das Auftreten von Langzeitfolgen, unabhängig von der Läsionsgrösse und der genauen Lage der betroffenen Hirnregion.
Erste grosse Studie zum Thema
Das Forschungsteam konnte 52 junge Patientinnen und Patienten nach Schlaganfall in die Studie einschliessen, was angesichts des seltenen Auftretens eine grosse Gruppe darstellt. Zudem konnten dank des umfangreichen Datenmaterials des Swiss Neuropediatric Stroke Registry (SNPSR), das auf Initiative der Co-Autorin Prof. em. Dr. med. Maja Steinlin entstand, Angaben über die genaue Lokalisation und die Grösse des Schlaganfalls erfasst werden. Die Studie vermag aufgrund ihres Umfangs und ihrer Beobachtungstiefe bestehende Theorien zum Schlaganfall im Kindesalter infrage zu stellen.
Bisherige Theorien nicht bestätigt
Die sogenannte Plastizitätstheorie ging bisher davon aus, dass sich das kindliche Gehirn besser von einem Schlaganfall erholen kann, da es plastischer (formbarer) ist als das Gehirn eines Erwachsenen. Die Daten der Studie bestätigen diese Theorie jedoch nicht. Vielmehr zeigt sich, dass die Entwicklungsphase zwischen einem Monat und fünf Jahren besonders wichtig für die kognitive Entwicklung zu sein scheint. Ein Schlaganfall in diesem Alter hat deutlich gravierendere Langzeitfolgen als eine Hirnschädigung zwischen 0 und 28 Lebenstagen oder eine solche mit sechs Jahren und älter.
Auswirkungen auf die Klinik und die Vorsorge
Die Resultate der Studie zeigen vielmehr eine erhöhte «Verletzlichkeit» des Gehirns von Kleinkindern. In diesem frühen Alter sind zahlreiche kognitive Funktionen in Entwicklung, was die besondere Empfindlichkeit auf eine Hirnläsion mit zu erklären vermag. Die Studie unterstützt somit die Bestrebungen, auch bei Kleinkindern in den ersten Stunden nach einem Schlaganfall aktive Therapien zur Rekanalisation (Wiederherstellung der Durchgängigkeit des Blutgefässes) zu prüfen. Die neurologische sowie die neuropsychologische Nachsorge sind in diesem Alter zudem dringend notwendig und sollten systematisch angewandt werden.
Vertiefende Studien
Die Forschungsgruppe engagiert sich derzeit im Rahmen eines Projekts des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) an der Erforschung geeigneter Therapieoptionen in der Phase direkt nach dem Schlaganfall. «Da wir dank der publizierten Studie nun wissen, wie folgenreich ein Schlaganfall im frühen Kindesalter sein kann, gilt es als nächstes, geeignete Therapien zur Akutbehandlung und kognitive Interventionen zur Vermeidung von Langzeitfolgen zu finden und zu verbessern», erklärt Prof. Dr. phil. Regula Everts, die Projektleiterin der Studie.
- Stephanie Abgottspon, MSc, Research Fellow, Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie Ernährungsmedizin & Metabolismus (UDEM), Inselspital, Universitätsspital Bern
- Prof. Dr. phil. Regula Everts, Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie Ernährungsmedizin & Metabolismus (UDEM), Inselspital, Universitätsspital Bern
- Prof. em. Maja Steinlin, Abteilungsleiterin, Extraordinaria für Neuropädiatrie, Universitätsklinik für Kinderheilkunde, Inselspital, Universitätsspital Bern
• Original publication: Effect of Age at Pediatric Stroke on Long-term Cognitive Outcome
Stephanie Abgottspon, Qendresa Thaqi, Leonie Steiner, Nedelina Slavova, Sebastian Grunt, Maja Steinlin, Regula Everts; Neurology Feb 2022, 98 (7) e721-e729; DOI: 10.1212/WNL.0000000000013207
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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