Die seit fast zwei Jahren anhaltende Covid‐19-Pandemie bedeutet für Ärzt:innen eine bisher einzigartige Belastungssituation verbunden mit großen physischen und psychischen Herausforderungen. Wie beeinflusst die Covid-19-Pandemie das ärztliche Handeln? Der Kardiologe Prof. Andreas Goette, St. Vincenz‐Krankenhaus Paderborn, und der Psychosomatiker Prof. Karl-Heinz Ladwig, Technische Universität München, haben dazu in Kooperation mit dem Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET) und der Ärztekammer Westfalen-Lippe eine Befragung unter Ärzt:innen durchgeführt. Erste Ergebnisse dieser Studie zeigen gravierende Auswirkungen der Pandemie auf die befragten Mediziner:innen und deren Tätigkeit.
Wie erleben Ärzt:innen ihr eigenes Handeln in der Pandemie? Wie gehen sie mit den besonderen Herausforderungen um? Mediziner:innen unterschiedlicher Fachrichtungen äußerten dazu ihre persönliche Einschätzung im Rahmen einer anonymisierten Online‐Befragung. Sie beantworteten Fragen zu ihrer Lebenssituation, zu den von ihnen behandelten Patient:innen sowie zu den Belastungen, denen sie selbst ausgesetzt waren.
„Im vorigen Jahr wurde immer häufiger von überlasteten und erschöpften Ärzt:innen berichtet. Wir wollten das Problem mit wissenschaftlichen Methoden untersuchen. Deshalb haben wir uns entschlossen, diese systematische Studie durchzuführen“, erklärt Studienleiter Prof. Goette. Das Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V., dessen Vorstand Prof. Goette angehört, hat dabei Aufgaben des Projektmanagements übernommen.
1476 ärztliche Mitglieder der Ärztekammer Westfalen‐Lippe nahmen im Zeitraum vom 16.11. bis 31.12.2021 an der Online-Befragung teil. Die Teilnehmer:innen sind etwa zur Hälfte Krankenhaus- und zur Hälfte niedergelassene Ärzt:innen. Sie arbeiten in Kliniken und Praxen der Fachgebiete Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie sowie Kinder- und Jugendheilkunde. Die meisten von ihnen haben bereits mehr als zehn Jahre Berufserfahrung.
Die Mehrheit (84 Prozent) der Teilnehmer:innen der Umfrage hatte selbst Covid-19-Patient:innen behandelt. Nach Aussage der Befragten ging dies mit großen Einschränkungen im Arbeitsalltag einher. Rund drei Viertel fühlten sich in ihrer Arbeit beeinträchtigt und berichteten, die akute Behandlung von Nicht-Covid-19-Patienten sei eingeschränkt, wobei 52 Prozent „etwas eingeschränkt“ angaben, 29 Prozent „stark eingeschränkt“.
Nach Einschätzung der befragten Ärzt:innen konnte in etwa einem Drittel der Fälle die Patient:innenwürde nicht gewahrt werden. 43 Prozent fühlten sich durch externe Vorgaben in ihrem ärztlichen Handeln behindert.
Die besonderen Belastungen während der Pandemie hatten schwerwiegende Konsequenzen: Rund 60 Prozent der befragten Ärzt:innen fühlten sich hilflos. Mehr als die Hälfte der Befragten litt an Schlafstörungen und über drei Viertel berichteten über Erschöpfungssymptome und sogenannte „Mitgefühlsmüdigkeit“ (compassion fatigue) in der ärztlichen Arbeit. Klinische Anzeichen einer Depression zeigten sich bei 12 Prozent der Befragten und Anzeichen einer Angststörung bei weiteren 12 Prozent. Nach dieser ersten Datenauswertung sind die Beeinträchtigungen bei den Krankenhausärzt:innen ausgeprägter als bei den Niedergelassenen.
Prof. Ladwig fasst zusammen: „Die ersten Ergebnisse der Studie zeigen deutlich: Die Pandemie und insbesondere die Behandlung von Covid-19-Patient:innen hat gravierende Folgen für die ärztliche Arbeit. Sogar die Würde der Patient:innen kann in vielen Fällen nicht mehr respektiert werden. Dadurch wird das ärztliche Handeln in seinen ethischen Grundzügen in Frage gestellt. Und wie wir sehen, gehen die extremen Belastungen auch an erfahrenen Mediziner:innen nicht spurlos vorüber, sondern führen zu schwer beherrschbarem psychosozialem Stress. Verbreitete Hilflosigkeit bei Ärzt:innen, einer Berufsgruppe, die es eigentlich gewohnt ist, Situationen zu beherrschen und zu meistern, ist alarmierend.“
Die wissenschaftliche Publikation der Studie ist zurzeit in Vorbereitung. Prof. Götte erläutert: „Wir arbeiten an einigen speziellen Datenauswertungen, um beispielsweise folgende Fragen zu beantworten: Wie unterscheiden sich die Auswirkungen der Pandemie bei Klinikärzt:innen und Niedergelassenen? Wie wirkt sich die Berufserfahrung aus? Gibt es beim Einfluss der Pandemie auf das ärztliche Handeln geschlechtsspezifische Unterschiede?“
Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET)
Das Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET) ist ein interdisziplinäres Forschungsnetz, in dem Wissenschaftler:innen und Ärzt:innen aus Kliniken und Praxen deutschlandweit zusammenarbeiten. Ziel des Netzwerks ist es, die Behandlung und Versorgung von Patient:innen mit Vorhofflimmern in Deutschland, Europa und den USA durch koordinierte Forschung zu verbessern. Dazu führt das Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. wissenschaftsinitiierte klinische Studien (investigator initiated trials = IIT) und Register auf nationaler und internationaler Ebene durch. Der Verein ist aus dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kompetenznetz Vorhofflimmern hervorgegangen. Seit Januar 2015 werden einzelne Projekte und Infrastrukturen des AFNET vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) gefördert.
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Pressekontakt
Dr. Angelika Leute
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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