Wissenschaftskommunikation in der Corona-Pandemie war notgedrungen Wissenschaftskrisenkommunikation. Dabei ließen sich eine Aufmerksamkeitskonkurrenz der wissenschaftlichen Disziplinen und verschiedene Sprecherrollen beobachten, wurden bekannte Probleme der wissenschaftlichen Politikberatung bestätigt und tauchten neue auf, gab es Wissenskonkurrenzen und einen in der Öffentlichkeit schwer vermittelbaren Unterschied von Kommunikationen, die plural (Wissenschaft) und inkonsistent (Politik) abliefen.
Eine aktuelle Studie des Instituts für Hochschulforschung Halle-Wittenberg (HoF) rekonstruiert die Wissenschaftskommunikation in Deutschland in den ersten beiden Corona-Jahren. Sie geht von einer Chronologie aus, über die sich 30 zentrale Wissenschaftskommunikationsereignisse identifizieren lassen, durchschnittlich 1,25 pro Monat. Dabei dominierte die politikberatende Tätigkeit der Wissenschaft mit 17 Ereignissen. Bedeutsam waren daneben Wissenschaftspopularisierung und organisationsgebundene Öffentlichkeitsarbeit. Ausschließlich online und/oder in nicht schrifttextlicher Form ereigneten sich sechs der zentralen Kommunikationsereignisse. Verbreitet waren generell Mehrkanalkommunikation und Cross-over der genutzten Medienformate.
Zu der Frage, wie Beratungskommunikation der Wissenschaft aussehen kann, hat die Krise das komplette Spektrum der Möglichkeiten vor Augen geführt: nachgefragte und aufsuchende, also eigeninitiative Politikberatung; Formulierung von Szenarien, Handlungsoptionen oder Forderungen; begleitet von gesellschaftspolitischen Bewertungen oder unter Verzicht auf diese. Dass die Beratung keineswegs nur im (mutmaßlichen) Sinne der Auftraggeber erfolgte, zeigt sich darin, dass sich auch seriöse dissidentische Stimmen aus der Wissenschaft Gehör verschafften. Im übrigen war die Politik in ihren An- und Absichten so heterogen, widersprüchlich und chaotisch kommunizierend, dass umstandslose Folgebereitschaft, so es sie in der Wissenschaft gab, es durchaus schwer hatte, zum Zuge zu kommen.
Rasant zugenommen hat in der Pandemie die wissenschaftskommunikative Nutzung von Social-Media-Plattformen oder responsiver Medien. Dort sind die Rezeptionsgeschwindigkeiten digital beschleunigt, die Aufmerksamkeitsspannen verringert, und die Ambiguitätstoleranz ist unterausgeprägt. Die digital ermöglichte Reichweite und Verstärkereffekte kritischer Bewertungen wissenschaftlicher Ergebnisse waren mit dem Problem verbunden, dass nicht jede externe Kommentierung den Regeln der Sachlichkeit, Widerspruchsfreiheit und Akzeptanz konkurrierender Ansichten folgt.
Herausgearbeitet werden verschiedene Sprechertypen in der pandemiebezogenen Wissenschaftskommunikation. In Medizin und Naturwissenschaften sind das forschende Leitfiguren mit kommunikativen Talenten, Kommunikatoren mit effektiven Fertigkeiten zur Rezeption der Arbeiten Dritter, der zielgruppenorientierte Influencer-Expertentypus der responsiven Medien sowie der destruktive Wissenschaftskommunikator. In den Geistes- und Sozialwissenschaften dominierten zeitdiagnostisch talentierte Wissenschaftler.innen, zu denen nach ersten Forschungen Empiriker hinzutraten. Beide teilten sich zwei typische Sprecherrollen: der öffentlich kommunizierende und die politisch beratende Wissenschaftler.in.
Als ein wissenschaftskommunikatives Grundproblem lässt sich identifizieren: Die Wissenschaft konnte in der Pandemie nicht fortwährend mit rhetorischen Figuren operieren, die dem wissenschaftstypischen Geist des Zweifels Ausdruck verleihen. Sie muss also eine Rhetorik der Gewissheit einsetzen, die allein dadurch zu rechtfertigen ist, dass alles andere Wissen geringere Gewissheiten aufweist. Zugleich werden damit Erwartungen – etwa über Prognosen – erzeugt, die ggf. nicht eingelöst werden.
Alle Beteiligten begaben sich in Konfliktanordnungen, und dies in aufgeheizten und polarisierten öffentlichen Debatten. Das galt besonders bei Abweichungen vom wissenschaftlichen oder/und politischen Mainstream. Polarisierungen führten dabei auch zur Verengung der Debattenräume. Manche Argumente seriöser und dennoch als Abweichler stereotypisierter Autor.innen fanden sich später wieder, als erste Systematisierungen der Pandemiemanagement-Probleme vorgelegt wurden.
Der Bericht entstand im Rahmen eines Projekts, das in der Förderinitiative „Corona Crisis and Beyond – Perspectives for Science, Scholarship and Society“ der VolkswagenStiftung gefördert wird.
Prof. Peer Pasternack, Email: peer.pasternack@hof.uni-halle.de
Peer Pasternack / Andreas Beer: Die externe Kommunikation der Wissenschaft in der bisherigen Corona-Krise (2020/2021). Eine kommentierte Rekonstruktion (HoF-Arbeitsbericht 118), unt. Mitarb. von Justus Henke, Sophie Korthase und Philipp Rediger, Institut für Hochschulforschung (HoF), Halle-Wittenberg 2022, 79 S. https://www.hof.uni-halle.de/web/dateien/pdf/ab_118.pdf
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Pasternack/Beer: Die externe Kommunikation der Wissenschaft in der bisherigen Corona-Krise (2020/202 ...
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
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