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11.03.2022 11:51

Kleines Molekül – großes Potential für die Gentherapie

Dr. Mareike Kardinal Pressestelle
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH)

    Tübinger Forschende beheben Gendefekt in der Petrischale – Laborbesuch im Rahmen der Brain Awareness Week für Medienvertretende möglich

    Ein kleines Stückchen Nukleinsäure könnte der Schlüssel zum Erfolg sein: Mit seiner Hilfe ist es einem Tübinger Forschungsteam im Labor gelungen, einen Genfehler direkt in einer Nervenzelle zu reparieren. Das Molekül verhinderte, dass die Zellen ein fehlerhaftes Protein produzierten und dadurch Schaden nahmen und starben. Mit ihrer „Proof-of-concept-“ oder Machbarkeitsstudie ist das Team um Professor Dr. Ludger Schöls und Dr. Stefan Hauser vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen und der Universität Tübingen einer Gentherapie der zugrundeliegenden Erkrankung einen Schritt näher gekommen. Die Ergebnisse haben die Forschenden in der aktuellen Printausgabe der Fachzeitschrift „Molecular Therapy – Nucleic Acids“ veröffentlicht. Sie bieten interessierten Medienvertreterinnen und -vertretern im Rahmen der Brain Awareness Week vom 14. – 20. März 2022 einen Laborbesuch an.

    Bei der Studie nutzte das Team Zellen von Patientinnen und Patienten mit der Spinozerebellären Ataxie Typ 3 oder Machado-Joseph-Krankheit (SCA3/MJD). „Durch einen Erbfehler produzieren ihre Nervenzellen neben einer gesunden Form eines bestimmten Proteins die krankhafte Proteinform Ataxin-3“, erklärt Studienleiter Schöls. „Das fehlerhafte Protein sammelt sich in großen Klumpen in den Zellen an und stört ihren ‚Regelbetrieb‘.“ Das führe langfristig zum Tod der Zellen, und die betroffene Person leide zunehmend an einer Bewegungsstörung, der Ataxie.

    „Um die Krankheit zu behandeln, müssen wir an den Ursachen ansetzen: der Entstehung des schädlichen Proteins“, so der Neurologe. Er und sein Team entnahmen den Patientinnen und Patienten Hautzellen und ließen diese nach einer Umwandlung in Stammzellen in der Petrischale zu Nervenzellen reifen. Dann entwickelten sie ein sogenanntes Antisense-Oligonukleotid. „Das ist ein kurzes Stück Nukleinsäure, das in den Nervenzellen gezielt die fehlerhafte Stelle auf der dortigen mRNA erkennt und an sie andockt. Diese wird dadurch abgebaut, und das kranke Protein kann nicht gebildet werden.“

    „Unsere Experimente beweisen, dass wir auf diese Weise effizient die Menge des schädlichen Ataxins-3 in Nervenzellen verringern können“, berichtet Erstautor Hauser. Die Methode erwies sich auch als sicher: „Die Erkrankung wird dominant vererbt, das heißt, die Patientinnen und Patienten besitzen neben der kranken auch noch eine gesunde Kopie des Gens. Beide unterscheiden sich nur an einer winzigen Stelle. Wir konnten zeigen, dass der Nukleinsäureschnipsel so spezifisch arbeitet, dass er nur an die kranke Kopie bindet – ganz ähnlich wie ein Schlüssel nur in ein bestimmtes Schloss passt.“

    Die „Proof-of-concept“-Studie ist nicht nur für Patientinnen und Patienten interessant, die von SCA3/MJD betroffen sind. „Die Methode eignet sich auch für die Therapie von anderen dominant vererbbaren neurodegenerativen Erkrankungen, bei denen zellschädigendes Protein gebildet wird“, sagt Biologe Hauser. „Die aktuellen Ergebnisse sind beispielsweise ebenfalls für Chorea Huntington oder andere Ataxie-Formen vielversprechend.“

    Die gewonnenen Erkenntnisse lassen sich direkt auf Patientinnen und Patienten übertragen, da für die Untersuchungen menschliche Nervenzellen genutzt wurden. Nichtsdestotrotz muss die Methode in einem lebenden Organismus erforscht werden, bevor sie zur Therapie eingesetzt werden kann. So wird die Nukleinsäure bei den Versuchen in der Petrischale von den Zellen einfach aufgenommen – bei einer künftigen Gentherapie muss sie hingegen über eine Rückenmarkspunktion ins Hirnwasser verabreicht werden. Das Forschungsteam plant im nächsten Schritt, die Methode in Mäusen zu erproben.

    Die SCA3/MJD ist die häufigste vererbbare dominante Ataxie. Die Symptome und der Verlauf der Erkrankung sind sehr unterschiedlich. „Betroffene können Probleme beim Gehen, Sprechen oder bei den Augenbewegungen haben. Typischerweise treten erste Symptome mit Ende 30 auf, die sich zunehmend verschlechtern“, so Schöls.

    Das Forschungsteam möchte interessierten Medienvertreterinnen und -vertretern die Möglichkeit geben, sich die einzelnen Untersuchungsschritte im Labor selbst anzuschauen. Dafür öffnen sie im Rahmen der Brain Awareness Week ihre Türen, die dieses Jahr vom 14. – 20. März stattfindet und auf Gehirnerkrankungen aufmerksam machen will. Die Teilnahmekapazitäten sind begrenzt, für den Besuch gelten die aktuellen Corona-Regeln.

    Für die Anmeldung und Rückfragen zum Laborbesuch wenden Sie sich bitte an:
    Dr. Mareike Kardinal
    Telefon: 07071 29-88800
    E-Mail: mareike.kardinal@medizin.uni-tuebingen.de


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Ludger Schöls
    Zentrum für Neurologie
    Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
    Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt neurodegenerative Erkrankungen
    Hoppe-Seyler-Straße 3
    72076 Tübingen
    Telefon +49 7071 29-82057
    ludger.schoels[at]uni-tuebingen.de

    Dr. Stefan Hauser
    Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE) in der Helmholtz-Gemeinschaft
    Otfried-Müller-Straße 23
    72076 Tübingen
    Telefon +49 7071 9254 402
    stefan.hauser[at]dzne.de


    Originalpublikation:

    Hauser et al. (2022): Allele-specific targeting of mutant ataxin-3 by anti-sense oligonucleotides in SCA3-iPSC-derived neurons. Molecular Thera-py – Nucleic Acids, 27, pp 99 – 108.
    https://doi.org/10.1016/j.omtn.2021.11.015


    Weitere Informationen:

    http://www.hih-tuebingen.de Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
    https://www.dzne.de Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen
    https://www.uni-tuebingen.de Universität Tübingen


    Bilder

    Professor Dr. Ludger Schöls
    Professor Dr. Ludger Schöls
    Verena Müller
    Universitätsklinikum Tübingen / Verena Müller

    Dr. Stefan Hauser
    Dr. Stefan Hauser

    privat


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Professor Dr. Ludger Schöls


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    Dr. Stefan Hauser


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