Glücksspiel-Symposium an der Universität Hohenheim: Forschende diskutieren aktuelle Herausforderungen und mögliche Regularien für Online-Glücksspiel
Der neue Glücksspiel-Staatsvertrag ermöglicht es Anbietern seit Mitte 2021, sich um eine Erlaubnis für Online-Glücksspiele in Deutschland zu bewerben. Für den Spielerschutz stellen die Online-Angebote eine besondere Herausforderung dar. Denn im Gegensatz zu Casinos vor Ort ist eine direkte Ansprache der Spielenden durch Casino-Personal in Online-Casinos nicht möglich. Betreiber von Online-Angeboten sind daher verpflichtet, Frühwarnsysteme für problematisches Spielverhalten zu nutzen. Für einen sicheren Spielerschutz sind wissenschaftlich fundierte, transparente Systeme nötig. Erfolgversprechend ist insbesondere der Einsatz von Machine Learning. Zu diesem Ergebnis kamen Fachleute der Forschungsstelle Glücksspiel auf der heutigen Pressekonferenz an der Universität Hohenheim in Stuttgart im Vorfeld des 19. Glücksspiel-Symposiums. Die Fachtagung findet am 15. und 16. März statt.
Der neue Glücksspiel-Staatsvertrag (GlüStV) schuf 2021 einheitliche Regelungen: Online-Glücksspiel ist nun bundesweit erlaubnisfähig, zuvor war dies nur in Schleswig-Holstein möglich. Mit Erhalt der Erlaubnis dürfen Anbieter das legale Glücksspiel bewerben. Da sich durch diese Neuerungen ein großer legaler Markt ergibt, ist ein massiver Anstieg der Werbung für Online-Glücksspiel zu erwarten. Ein sicherer Schutz für Spielerinnen und Spieler im Netz ist daher besonders wichtig.
Online-Casinos müssen Konzept zum Spielerschutz vorweisen
Wenn Spielende in einem Casino vor Ort problematisches Spielverhalten zeigen, ist das Personal dazu verpflichtet, einzugreifen. Bei Online-Casinos fehlt diese direkte Interventionsmöglichkeit. „Außerdem sind Online-Glücksspielangebote ständig verfügbar, können also rund um die Uhr immer und überall gespielt werden“, sagte Andrea Wöhr, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim, im Vorfeld der Pressekonferenz. „Die ständige Verfügbarkeit sowie die fehlende soziale Kontrolle bergen ein besonderes Gefahrenpotenzial“.
Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zeige nahezu jede fünfte Person, die Online-Casinospiele spielt, ein problematisches oder abhängiges Spielverhalten, so Wöhr weiter. Anbieter von Online-Glücksspiel müssen daher ein besonderes Sozialkonzept entwickeln. Dazu gehören neben Informationen zu Gefahren von Glücksspiel auch Frühwarnsysteme zur Erkennung problematischen Spielverhaltens.
Frühwarnsysteme müssen transparent sein
Die Frühwarnsysteme für problematisches Spielverhalten im Netz basieren auf Algorithmen. Sie loggen das Spielverhalten mit und warnen, wenn Spielerinnen und Spieler beispielsweise zu viel spielen. „Bei manchen Systemen fehlt es an der Transparenz,“ sagte Wöhr. Es sei wichtig offenzulegen, auf welcher Grundlage das System Warnungen anzeigt. „Wenn man das nicht weiß, kann man nicht beurteilen, wie gut diese Systeme funktionieren.“
Sichere Frühwarnsysteme setzen eine umfassende Datenanalyse voraus
In Schleswig-Holstein war Online-Glücksspiel schon vor dem neuen Glücksspiel-Staatsvertrag legal. Dort wurde das digitale Spielverhalten bereits aufgezeichnet. Die Forschungsstelle Glücksspiel analysiert derzeit eine Stichprobe der Daten aus Schleswig-Holstein. „Mit der riesigen Datenmenge lässt sich das Spielverhalten schon ziemlich gut beschreiben“, sagt Dr. Steffen Otterbach, Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim, an der Pressekonferenz.
„Transaktionen wie Einzahlungen, Auszahlungen, Einsätze, Gewinne und Verluste werden aufgezeichnet und mit einem Zeitstempel versehen“, erläutert er. „Daraus lassen sich wertvolle Informationen über das Spielverhalten ableiten: Wie oft wird gespielt? Wie viel Zeit verwendet jemand darauf? An welchen Wochentagen wird gespielt? Zu welcher Tages- und Nachtzeit wird gespielt? Wie hoch ist die Summe der Einzahlungen? Macht ein Spieler Spielpausen? Wie viel Geld wird unterm Strich verspielt? Letztendlich geht es darum, anhand dieser Daten, Spielende mit einem problematischen Spielverhalten möglichst früh zu identifizieren.“ Die ersten Ergebnisse präsentieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem 19. Glücksspiel-Symposium am 15. und 16. März 2022.
„Die Analyse der Frühwarnsysteme und damit des digitalen Spielverhaltens ermöglicht tiefe Einblicke in die Privatsphäre der Spielenden, weshalb dabei die Einhaltung datenschutzrechtlicher Grundsätze von besonderer Bedeutung ist“, erläutert Benjamin Bäßler, Abteilungsleiter beim Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Baden-Württemberg. „Dies ist durch hinreichende gesetzliche Grundlagen und angemessene technische und organisatorische Maßnahmen zu bewerkstelligen.“
Kontinuierliche Verbesserung durch Maschinelles Lernen
Eine umfassende Datenanalyse sei ein erster wichtiger Schritt für ein funktionierendes Frühwarnsystem, sagt Dr. Otterbach. „Maschinelles Lernen basiert zum einen darauf, dass das System immer mehr Spielverläufe kennt und dadurch die Vorhersagekraft der Modelle erhöht wird.“
Er fährt fort: „Für eine weitere Verbesserung wäre es aus wissenschaftlicher Sicht erstrebenswert, wenn man zumindest bei einem Teil der Spielenden ein validiertes Instrument zur Messung problematischen Spielverhaltens einsetzen könnte, um sie besser klassifizieren zu können.“ Auch die Wirksamkeit bestimmter Interventionsmaßnahmen müsse weiter erforscht werden.
19. Glücksspiel-Symposium am 15. und 16. März 2022
Den aktuellen Stand der Forschung und aktuelle Themen im Bereich Glücksspiel beleuchtet das jährlich stattfindende Symposium Glücksspiel am 15. und 16. März 2022. Auf dem Programm stehen Fachvorträge zu den Themen Glücksspielaufsicht, Regulierung und deren technische Aspekte sowie problematisches Glücksspiel, Spielerschutz und der Einfluss des Corona-Lockdowns.
Programm, Anmeldung (für Medienschaffende kostenfrei) und weitere Informationen unter https://gluecksspiel.uni-hohenheim.de/symposium2022
HINTERGRUND: Forschungsstelle Glücksspiel
Die Forschungsstelle Glücksspiel beleuchtet die verschiedenen Aspekte des Glücksspiels interdisziplinär und nach wissenschaftlichen Methoden. Sie ist eine 2004 gegründete Einrichtung der Universität Hohenheim, die keine privatwirtschaftlichen Ziele verfolgt, und bündelt die Expertise aus unterschiedlichen Bereichen wie Recht, Wirtschaft, Psychologie, Soziologie usw.
Zu ihren Tätigkeiten gehören u.a. das jährliche Symposium Glücksspiel, Vorträge und Publikationen sowie die Herausgabe einer Schriftenreihe zu Fragen rund ums Glücksspiel. Mit einem zweimonatlich erscheinenden Newsletter verbreitet sie aktuelle Informationen aus Politik, Recht und Wissenschaft zum Thema Glücksspiel.
Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg fördert die Arbeit der Forschungsstelle dauerhaft mit jährlich 100.000 Euro. Die Staatliche Toto-Lotto GmbH Baden-Württemberg hat ihr Engagement verlängert und unterstützt die Forschung auch in diesem Jahr mit ebenfalls 100.000 Euro. Darüber hinaus bringen sich der Verein zur Förderung der Glücksspielforschung e.V. sowie die Universität Hohenheim ein.
Website: https://gluecksspiel.uni-hohenheim.de/
Kontakt für Medien
Dr. Steffen Otterbach, Geschäftsführender Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim
T +49 711 459 23425, E steffen.otterbach@uni-hohenheim.de
Zu den Pressemitteilungen der Universität Hohenheim
http://www.uni-hohenheim.de/presse
Text: Hagenau / Elsner
Dr. Steffen Otterbach, Geschäftsführender Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim
T +49 711 459 23425, E steffen.otterbach@uni-hohenheim.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Gesellschaft, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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