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23.03.2022 08:48

„Man darf zivilgesellschaftliche Strukturen bei der Hilfe für Geflüchtete nicht überfordern“

Dipl.-Journ. Constantin Schulte Strathaus Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

    Millionen Menschen sind mittlerweile auf der Flucht vor dem Krieg in der Ukraine, einige Hunderttausend von Ihnen haben Zuflucht in Deutschland gefunden. „Grundsätzlich ist die Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung zu begrüßen! Aber zu den Erfahrungen aus der Flüchtlingssituation der Jahre 2015 und 2016 gehört auch, dass zivilgesellschaftliche Strukturen nicht überfordert werden dürfen. Generell ist die Grundversorgung eine staatliche Aufgabe“, betont Prof. Dr. Karin Scherschel, Leiterin des Zentrums Flucht und Migration an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU).

    Dieses habe bei eigenen Untersuchungen der Situation 2015/16 auch Befunde dafür gesammelt, dass Ehrenamtliche bis an die Grenzen ihrer Belastungen gegangen seien. „Sie fühlten sich alleine gelassen und als sozialpolitische Lückenbüßer, wo eigentlich staatliche Hilfe gefragt war“, so Scherschel. Es sei problematisch, wenn Zivilgesellschaft und Ehrenamt dauerhaft staatliche Funktionen übernehmen – das gilt nicht nur für den Bereich von Flucht und Migration. In einer akuten Krisensituation könne dies passieren, es dürfe aber nicht das langfristige Ziel sein. Die Soziologin unterstreicht: „Ehrenamtliche ergänzen, aber ersetzen nicht. Sie können niedrigschwellig unterstützen, aber keine professionellen und hoheitlichen Aufgaben übernehmen.“

    Im Vergleich zu 2015 seien die Kommunen besser vorbereitet. Es seien in dieser Zeit tragfähige Netzwerke zwischen öffentlicher Verwaltung, Hilfsorganisationen und Ehrenamtlichen entstanden, innerhalb denen eine Abstimmung erfolge. Diese Strukturen könnten wieder reaktiviert werden. Migration sei zu einem Kernthema der Kommunen geworden.

    Wichtig sei es nun, am Bedarf orientiert auf die Menschen zuzugehen. „Zu uns kommen derzeit vor allem Frauen und Kinder, so dass etwa eine Versorgung mit Kindertagesstätten oder die Integration in Schulen gewährleistet sein muss. Zudem sind viele Frauen in der Ukraine berufstätig gewesen, so dass es Sprach- und Integrationskurse bedarf, damit sie am Arbeitsmarkt teilhaben können. Auch die ukrainische Community kann hierbei mit ihren Erfahrungen unterstützen“, schildert Scherschel. Generell bestehe Konsens darüber, dass wir es mit einer humanitären Notlage katastrophalen Ausmaßes zu tun haben. Dieser Krieg werde als Bedrohung der Idee Europas betrachtet. „Die Fluchtbewegung in den 2015/16 hingegen wurde in Teilen der politischen Elite und Bevölkerung als Bedrohung Europas und seiner Grenzen diskutiert.“

    Auch innerhalb der Fluchtbewegung aus der Ukraine werde unterschieden. Die sogenannte Massenstrom-Richtlinie erspare eigentlich allen Geflüchteten ein langwieriges bürokratisches Verfahren, so dass sie unmittelbar vorübergehenden Schutz erhalten sowie direkten Zugang zu Arbeitsmarkt, Bildung und Sozialleistungen. Auf nationaler Ebene könne davon jedoch für Personen abgewichen werden, die nicht aus der Ukraine stammen, aber ebenfalls vor dem dortigen Krieg flüchten. „In Österreich etwa erhalten Personen aus Drittstaaten zwar eine Einreise aus humanitären Gründen, müssen jedoch einen Asylantrag stellen. Die EU-Richtlinie enthält in diesem Punkt lediglich eine Kann-Bestimmung, die durch nationales Recht variiert werden kann. In Deutschland wird hier nicht unterschieden.“

    Vor diesem Hintergrund geht Professorin Scherschel nicht davon aus, dass die Fluchtbewegung aus der Ukraine insgesamt zu einem Umdenken in der Frage führt, wie man mit Geflüchteten aus anderen Ländern verfährt: „Ich fürchte, dass man eben gerade mit Verweis auf die Fluchtbewegung aus der Ukraine zukünftig auf Grenzen der Kapazität verweisen wird. Fluchtbewegungen werden sehr unterschiedlich wahrgenommen. Syrien, Afghanistan oder die Ukraine – es handelt sich um Kriege und humanitäre Katastrophen, die millionenfaches Leid verursachen und Menschen dazu zwingen, ihre Länder zu verlassen. Die öffentliche Wahrnehmung dieser Konflikte unterscheidet sich aber erheblich. Flüchtender ist nicht gleich Flüchtender.“

    Ein ausführliches Interview mit Prof. Dr. Karin Scherschel findet sich auf der Homepage der KU unter http://www.ku.de.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Für Fragen steht Ihnen Prof. Dr. Karin Scherschel (Leiterin des Zentrums Flucht und Migration an der KU; karin.scherschel@ku.de) zur Verfügung.


    Bilder

    Prof. Dr. Karin Scherschel, Leiterin des Zentrums Flucht und Migration an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
    Prof. Dr. Karin Scherschel, Leiterin des Zentrums Flucht und Migration an der Katholischen Universit ...
    Privat
    Privat


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Pädagogik / Bildung, Politik
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Prof. Dr. Karin Scherschel, Leiterin des Zentrums Flucht und Migration an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt


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