Weißbüschelaffen lösen Hörtests am Touchscreen
Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind mehr als fünf Prozent der Weltbevölkerung von Schwerhörigkeit und Taubheit betroffen, die meist durch den Verlust von Haarzellen im Ohr verursacht werden. Für die künftige Behandlung setzen Forschende auf Optogenetik, eine gentechnische Methode, mit der sie die Hörnervenzellen der Betroffenen lichtempfindlich machen wollen. Die am Göttingen Campus entwickelten optischen Cochlea-Implantate, die die Schallwellen in Licht anstatt in Strom umwandeln, könnten ein deutlich differenzierteres Lautspektrum vermitteln und so einen Höreindruck ermöglichen, der dem natürlichen Hören sehr viel näher kommt als dies bei bisherigen Cochlea-Implantaten der Fall ist. Vor der klinischen Erprobung in Patienten ist allerdings der Test im Tierversuch, auch mit Affen, nötig. Ein Forscherteam unter der Leitung von Marcus Jeschke am Deutschen Primatenzentrum - Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ) und am Institut für Auditorische Neurowissenschaften unter der Leitung von Tobias Moser am Universitätsklinikum Göttingen hat ein automatisiertes Hör-Trainingsprogramm entwickelt, an dem Weißbüschelaffen freiwillig und in gewohnter Umgebung teilnehmen können. Dem Team ist es gelungen, dass die Tiere eine Reihe von Tests absolvieren, in der sie verschieden Laute hören und dann durch Klicken auf einen Touchscreen den passenden, zuvor erlernten visuellen Reizen zuordnen. Dadurch können die Wissenschaftler nachvollziehen, welche Laute die Tiere hören und unterscheiden können. Ob, wann und wie lange die Affen an einem Hörtest teilnehmen, entscheiden sie dabei selbst (Nature Communications).
Weißbüschelaffen kommunizieren mittels verschiedener Laute, darunter Zwitschern, Fiepen und Trillern. Ihr umfangreiches Lautrepertoire macht sie zu einem sehr geeigneten Tiermodell zur Erforschung des Hörsystems und zur Behandlung von Schwerhörigkeit. Nach der Erprobung in Nagetieren und vor der Anwendung bei Menschen müssen bei einem so komplexen Forschungsunterfangen wie der Entwicklung eines optischen Cochlea-Implantats, die Wirksamkeit und Sicherheit auch in Affen überprüft werden, da sie dem Menschen ähnlicher und daher die Ergebnisse besser übertragbar sind. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk der Forschenden am DPZ auf dem Tierwohl und damit auch auf der Verbesserung der experimentellen Methoden. Beim jetzt am DPZ entwickelten Trainingsprogramm kann jeder Weißbüschelaffe die Hörtests in seiner gewohnten Umgebung in Gesellschaft seines Sozialpartners durchführen. Dazu wird ein am Göttingen Campus entwickeltes Gerät an den Käfig gehängt. Die Tiere werden schrittweise zunächst an das Gerät selbst, dann an die Interaktion mit dem Gerät und schließlich die Aufgaben herangeführt. Dabei wird die natürliche Neugier der Tiere genutzt, die neue Gegenstände aufgeschlossen inspizieren. Die Interaktion mit dem Bildschirm wird mittels positiver Verstärkung trainiert, wobei die Tiere für das richtige Verhalten oder das korrekte Lösen einer Aufgabe mit einem Leckerbissen belohnt werden.
„Zunächst haben wir den Weißbüschelaffen beigebracht, einen artspezifischen Laut und einen künstlichen Laut zwei verschiedenen Bildern zuzuordnen. Dann ersetzten wir die bekannten Laute durch neue Töne, um zu testen, ob Tiere vom bisher Gelernten abstrahieren können. Auch dies gelang,“ erklärt Jorge Cabrera Moreno, einer der Erstautoren. Antonino Calapai ergänzt: „In früheren Studien hatte sich oft gezeigt, dass Affen zwar schwierige visuelle Aufgaben lösen können, im auditorischen Bereich aber auch bei scheinbar einfachen Aufgaben scheitern. Beispielsweise gelingt es Pavianen, Nahrungsmittel auf der Grundlage visueller, aber nicht akustischer Hinweise zu lokalisieren.“ Dass Weißbüschelaffen akustische Aufgaben so gut bewältigen können, macht sie zu idealen Modelltieren für die Erforschung des Hörsystems.
Zunächst lernen die Tiere, dass sie durch Berühren des Bildschirms eine Belohnung erhalten. Hierbei werden sie von den Forschenden mittels Videoübertragung überwacht. Später läuft das Training vollautomatisch ab. Dabei trainiert jedes Tier entsprechend seines individuellen Lerntempos in vielen fein justierten Schritten. Die Programmierung sorgt dafür, dass jedes Tier Aufgaben präsentiert bekommt, die es in der Lage ist zu lösen. Erst wenn dies sicher funktioniert, bekommt es die nächste Aufgabe. Dabei ist der jeweilige Lernstand der Tiere gespeichert, sodass ein Tier nach Pausen immer auf dem jeweils erreichten Level wieder einsteigen kann. So kann das Training durch die kognitive Beschäftigung auch zum psychischen Wohlbefinden der Tiere beitragen. Ob, wann und wie lange die Tiere sich an dem Gerät beschäftigen, entscheiden sie stets selbst.
„Unsere Ergebnisse zeigten, dass Weißbüschelaffen, auch als das Gerät längst vertraut war, immer wieder aus eigenem Antrieb und mit hohem Engagement an den psychoakustischen Verhaltensexperimenten teilnahmen. Mit dieser Methode kann eine Person mehrere Tiere parallel trainieren und die Ergebnisse sind so hochwertig, dass wir diese Trainings- und Testmethode zukünftig für unsere Forschung an optischen Cochlea-Implantaten nutzen können,“ schließt Studienleiter Marcus Jeschke.
Dr. Marcus Jeschke (Arbeitsgruppe Cognitive hearing in primates, ChiP)
Tel: +49 (0)176 60985885
E-Mail: mjeschke@dpz.eu
Calapai, A., Cabrera-Moreno, J., Moser, T. et al. Flexible auditory training, psychophysics, and enrichment of common marmosets with an automated, touchscreen-based system. Nat Commun 13, 1648 (2022). https://doi.org/10.1038/s41467-022-29185-9
http://medien.dpz.eu/pinaccess/showpin.do?pinCode=vKFO1GcJTtLX (druckfähgie Bilder)
Dr. Marcus Jeschke, Leiter der Arbeitsgruppe Cognitive Hearing in Primates (Chip) am Deutschen Prima ...
Karin Tilch
Deutsches Primatenzentrum
Mit diesem am Käfig angebrachten Gerät können mit Weißbüschelaffen automatische, unbeobachtete Hörtr ...
Karin Tilch
Deutsches Primatenzentrum
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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