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14.04.2022 11:21

Neues Werkzeug für die Optogenetik: menschlicher Rezeptor zur Untersuchung der Zellfunktion mit Licht

Stefan Weller Stabsstelle Unternehmenskommunikation, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universitätsmedizin Göttingen - Georg-August-Universität

    Wissenschaftler*innen der Universitätsmedizin Göttingen identifizieren den menschlichen OPN5 Rezeptor als neues Target zur Steuerung der Zellaktivität und Untersuchung der Zellkommunikation mit Licht. Veröffentlicht am 1. April 2022 in renommierter Fachzeitschrift Nature Communications.

    (umg/mbexc) Die Gq Proteine und die von ihnen ausgelöste Signalkaskade spielen in allen Zellen unseres Körpers eine wichtige Rolle: Botenstoffe binden an der Zellmembran und aktivieren über sogenannte G-Protein gekoppelte Rezeptoren intrazelluläre Proteine, um die Aktivität innerhalb der Zelle zu steuern und auszurichten. Dieser Mechanismus ermöglicht Zellen, sich an die Anforderung der Umgebung innerhalb eines Organs und des Körpers anzupassen. Bisher gab es jedoch kaum technische Möglichkeiten zu untersuchen, wie die Information von außerhalb der Zelle durch den Rezeptor an den intrazellulären Raum über die Membran übertragen und kodiert wird. Dies liegt vor allem an der fehlenden zeitlichen und räumlichen Präzision herkömmlicher Methoden.

    Wissenschaftler*innen des Instituts für Herz- und Kreislaufphysiologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und des Exzellenzclusters „Multiscale Bioimaging: Von molekulare Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen“ (MBExC) haben nun einen neuen Rezeptor identifiziert, mit dem sie Gq Proteine in Zellen mit Licht aktivieren können. Der Rezeptor Neuropsin oder OPN5 kommt in Säugetieren und im Menschen vor. Das Team um Prof. Dr. Dr. Tobias Brügmann hat zunächst in einfachen Zellsystemen bewiesen und gezeigt, dass der Rezeptor spezifisch auf UV Licht (~380 nm) reagiert, die Gq Signalkaskade aktiviert und sehr lichtsensitiv ist. Die Aktivierung anderer Signalkaskaden konnten die Wissenschaftler*innen ausschließen. Durch Studien an einem transgenen Mausmodell beschrieben sie zudem die Anwendungsmöglichkeiten im Herzen, im Magen-Darm-Trakt, in der Blase und in der Gebärmutter. In diesen Organen sind glatte Muskelzellen für den Kraftaufbau verantwortlich; durch Licht lassen sich hier direkt Kontraktionen auslösen. Die Wissenschaftler*innen konnten beobachten, welche zeitlichen Zusammenhänge dabei eine Rolle spielen und dass sich auch hier, ähnlich wie im Skelettmuskel, einzelne Muskelzuckungen aufsummieren können und so die Kraft insgesamt zunimmt.

    Die Ergebnisse der Forscher*innen eröffnen neue Erkenntnisse, um die Rolle und Funktion von OPN5 im Menschen besser zu verstehen. Sie schaffen zudem neue Möglichkeiten für die Erforschung der Prinzipien, wie Zellen untereinander kommunizieren. Die Forschungsergebnisse wurden am 1. April 2022 in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

    Ergebnisse im Detail
    „Mit Licht als Stimulus können nun die Effekte von verschiedenen Pulsdauern, Intensitäten und Repititionsraten nachgestellt werden, wie sie auch im lebenden Organismus vorkommen“, sagt Prof. Dr. Dr. Tobias Brügmann, Leiter der Arbeitsgruppe Vegetative Optogenetik am Institut für Herz- und Kreislaufphysiologie der UMG, Mitglied des MBExC und Letzt-Autor der Publikation. „Außerdem können wir OPN5 gezielt in bestimmten Zelltypen exprimieren und somit den Einfluss der Gq Signalkaskade in diesen Zellen auf die Organfunktion bestimmen“, so Prof. Brügmann.

    Funktion und Anwendung in der Herzforschung
    Diese Möglichkeit belegte seine Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen von der Universität Bonn im Herzen von transgenen Mäusen. Im Herzen beeinflusst die Gq Signalkaskade die Herzfrequenz und die Stärke des Herzschlags. „Wir können mit unserem Tool jetzt genau untersuchen, welche Kinetiken diesen physiologischen Effekten unterliegen. Wir können beobachten, wann sie in pathologische Konsequenzen umschlagen und Krankheiten, wie Herzschwäche und Herzrhythmusstörungen, auslösen“, sagt Ahmed Wagdi, Doktorand in der Arbeitsgruppe von Prof. Brügmann und mittlerweile Assistenzarzt in der Klinik für Kardiologie und Pneumologie der UMG.

    Anwendung im Magen-Darm-Trakt
    Zudem konnten die Wissenschaftler zeigen: Mit Licht lassen sich in Organen mit glatten Muskelzellen Kontraktionen erzeugen. Damit könnte sich in Zukunft eine neue Möglichkeit ergeben, in Patient*innen, die unter Bewegungsstörungen des Magen-Darm-Trakts leiden, die Nahrungspassage mit Licht wiederherzustellen. „Für diesen Therapieansatz standen uns bisher nur lichtsensitive Proteine aus einer Algenart zur Verfügung. Da OPN5 aus dem Menschen kommt, wird dies eine mögliche Immunantwort gegen den Therapieansatz verhindern“, sagt Prof. Brügmann. Derzeit arbeitet seine Arbeitsgruppe an der Entwicklung eines optischen Magenschrittmachers und wird im nächsten Schritt die Effizienz von OPN5 für diese spezifische Anwendung ausprobieren.

    Medikamentenscreening in der Pharmaindustrie
    In einer Zusammenarbeit mit der Pharmafirma Bayer AG haben die Wissenschaftler*innen OPN5 und Lichtstimulation im Screening für neue Medikamente eingesetzt. Hierfür wurden über 200.000 Substanzen daraufhin getestet, ob sie einen Zwischenschritt in der Gq Signalkaskade blockieren. Ein klassischer Ansatz mit pharmakologischer Aktivierung führte zu über fast 3.000 falsch-positiven Hits. Der Ansatz mittels Licht führte dagegen zu keinem einzigen falsch-positiven Hit. „Damit konnten wir zeigen, dass unser optogenetischer Ansatz grundsätzlich und entscheidend die Effizienz der Medikamentenentwicklung steigert. Denn die Validierung falsch positiver Hits kostet sehr viel Zeit und Aufwand“, sagt Udhay Sathyanarayanan, ebenfalls Doktorand am Institut für Herz- und Kreislaufphysiologie der UMG.

    Neben der optogenetischen Anwendung in Grundlagenwissenschaften und translationalen Projekten, gibt es einen weiteren interessanten Ausblick: „Bisher haben wir nur eine relativ rudimentäre Vorstellung und wissen, dass OPN5 in einzelnen Organen, wie dem Auge, der Haut oder dem Gehirn an der Anpassung an den Tagesrhythmus beteiligt ist. Mit unseren Ergebnissen können wir diese Rollen in Zukunft nun besser untersuchen und verstehen“, sagt Prof. Brügmann.

    Das Göttinger Exzellenzcluster 2067 Multiscale Bioimaging: Von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen (MBExC) wird seit Januar 2019 im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert. Mit einem einzigartigen interdisziplinären Forschungsansatz untersucht MBExC die krankheitsrelevanten Funktionseinheiten elektrisch aktiver Herz- und Nervenzellen, von der molekularen bis hin zur Organebene. Hierfür vereint MBExC zahlreiche universitäre und außeruniversitäre Partner am Göttingen Campus. Das übergeordnete Ziel ist: den Zusammenhang von Herz- und Hirnerkrankungen zu verstehen, Grundlagen- und klinische Forschung zu verknüpfen und damit neue Therapie- und Diagnostikansätze mit gesellschaftlicher Tragweite zu entwickeln.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Weitere Informationen
    zum MBExC: https://mbexc.de/
    zum Brügmann Lab: https://hkp.umg.eu/forschung/vegetative-optogenetik/

    WEITERE INFORMATIONEN
    Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
    Institut für Herz- und Kreislaufphysiologie
    Leiter Arbeitsgruppe Vegetative Optogenetik
    Prof. Dr. Dr. Tobias Brügmann
    Telefon 0551 / 39-65526
    tobias.bruegmann@med.uni-goettingen.de

    Exzellenzcluster Multiscale Bioimaging (MBExC)
    Dr. Heike Conrad (Kontakt – Pressemitteilung)
    Telefon 0551 / 39-61305
    heike.conrad@med.uni-goettingen.de


    Originalpublikation:

    Originalveröffentlichung: Selective optogenetic control of Gq signaling using human Neuropsin. Ahmed Wagdi, Daniela Malan, Udhayabhaskar Sathyanarayanan, Janosch S. Beauchamp,Markus Vogt, David Zipf, Thomas Beiert, Berivan Mansuroglu, Vanessa Dusend, Mark Meininghaus, Linn Schneider, Bernd Kalthof, J. Simon Wiegert , Gabriele M. König, Evi Kostenis , Robert Patejdl, Philipp Sasse & Tobias Bruegmann. Nat Commun, 13, Article number: 1765 (2022). https://doi.org/10.1038/s41467-022-29265-w.


    Bilder

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    Autoren der Publikation: (v. l.) Prof. Dr. Dr. Tobias Brügmann, Ahmed Wagdi, Udhay Sathyanarayanan.
    Autoren der Publikation: (v. l.) Prof. Dr. Dr. Tobias Brügmann, Ahmed Wagdi, Udhay Sathyanarayanan.
    Foto: umg


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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    Autoren der Publikation: (v. l.) Prof. Dr. Dr. Tobias Brügmann, Ahmed Wagdi, Udhay Sathyanarayanan.


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