idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
26.04.2022 10:27

Wie nah ist der Kipp-Punkt? Neue Untersuchungen zum atlantischen Strömungssystem

Maike Nicolai Kommunikation und Medien
GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

    26.04.2022/Kiel. Mit einer Publikation im Fachmagazin Nature Climate Change tragen Kieler Forschende erneut zum Verständnis der Veränderungen in der Atlantischen Meridionalen Umwälzzirkulation bei – in der Öffentlichkeit als „Golfstromsystem“ bekannt. Sie ist für das globale Klima ebenso wichtig wie für das Klimageschehen in Europa. Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht die Frage, ob der menschengemachte Klimawandel die ozeanische Umwälzbewegung bereits verlangsamt. Der neuen Studie zufolge dominieren noch immer die natürlichen Schwankungen. Verbesserte Beobachtungssysteme könnten helfen, den menschlichen Einfluss auf das Strömungssystem frühzeitig zu erkennen.

    Verlangsamt sich die Atlantische Meridionale Umwälzzirkulation (Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC)? Kommt dieses für unser Klima so wichtige System von Meeresströmungen womöglich zukünftig zum Erliegen? Sind die beobachteten Schwankungen natürlichen Ursprungs oder bereits eine Folge des menschengemachten Klimawandels? Mit verschiedensten Methoden versuchen Forschende unterschiedlicher wissenschaftlicher Fachrichtungen, die gigantische ozeanische Umwälzbewegung besser zu verstehen.

    „Die AMOC sorgt für mildes Klima in Europa und bestimmt jahreszeitliche Regenmuster in vielen Ländern rund um den Atlantik. Wenn sie sich langfristig abschwächt, wirkt sich dies auch auf unser Wetter und Klima aus. Außerdem könnten die Meeresspiegel an einigen Küsten schneller steigen und sich die Fähigkeit des Ozeans verringern, Kohlendioxid aufzunehmen und den Klimawandel abzumildern“, erklärt Professor Dr. Mojib Latif, Leiter der Forschungseinheit Maritime Meteorologie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. „Wir hängen in vielerlei Weise von der AMOC ab – und können trotzdem bisher nur erahnen, wie sie sich entwickelt, und ob und wie stark wir Menschen selbst sie einem Kipp-Punkt entgegentreiben, an dem ein unaufhaltbarer Kollaps seinen Lauf nimmt.“

    Mittels Auswertungen von Beobachtungsdaten, statistischen Analysen und Modellrechnungen hat ein Team um Professor Latif daher Veränderungen der vergangenen gut einhundert Jahre in dem Strömungssystem genauer untersucht. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden jetzt im Fachmagazin Nature Climate Change. Demnach kühlt sich ein Teil des Nordatlantiks ab – ein markanter Gegensatz zu den allermeisten Meeresregionen. Die Auswertungen deuten darauf hin, dass seit Anfang des 20. Jahrhunderts in erster Linie natürliche Schwankungen für diese Abkühlung verantwortlich sind. Gleichwohl weisen die Untersuchungen auf eine beginnende Verlangsamung der AMOC in den vergangenen Jahrzehnten hin.

    Klimamodelle sagen übereinstimmend für die Zukunft eine deutliche Verlangsamung des Strömungssystems voraus, wenn unsere Kohlendioxid-Emissionen weiter steigen, sich der Ozean weiter erwärmt und sich das Schmelzen des Grönlandeises beschleunigt. „Unsere Ergebnisse bestätigen frühere wissenschaftliche Erkenntnisse. Aber es bleibt die Frage, wie lange wir uns noch im Bereich natürlicher Schwankungen befinden und wann der Klimawandel die Kontrolle über die AMOC übernimmt. Dann verliefe die Entwicklung nur noch in Richtung Abschwächung und Risiken könnten deutlich zunehmen“, betont Dr. Jing Sun, Meteorologin am GEOMAR und Ko-Autorin der Studie.

    Um die kritische Grenze zu bestimmen, sind bessere Beobachtungsdaten nötig, folgern die Autor:innen. „Wenn wir die bereits stattfindenden Veränderungen in allen Regionen des Atlantiks systematisch und dauerhaft messen, werden wir auch mit größerer Sicherheit sagen können, welchen Einfluss der Klimawandel auf das Strömungssystem der AMOC heute und in der Zukunft hat“, sagt Professor Dr. Martin Visbeck. Der Leiter der Forschungseinheit Physikalische Ozeanographie am GEOMAR ist ebenfalls Ko-Autor der Publikation. „Wir sehen im Moment keine sicheren Anzeichen dafür, dass das System sich dramatisch verlangsamt – sondern es schwankt. Aber da sich die neuesten Klimamodelle einig sind, dass eine deutliche Reduzierung eintreten wird, sollten wir wissen, wie lange wir uns noch auf der relativ sicheren Seite natürlicher Veränderungen befinden.“

    Publikation:
    Latif, M., Sun, J., Visbeck, M., Bordbar M.H. (2022): Natural variability dominates Atlantic Meridional Overturning since 1900. Nature Climate Change, doi 10.1038/s41558-022-01342-4.


    Originalpublikation:

    Latif, M., Sun, J., Visbeck, M., Bordbar M.H. (2022): Natural variability dominates Atlantic Meridional Overturning since 1900. Nature Climate Change, doi 10.1038/s41558-022-01342-4.


    Weitere Informationen:

    http://www.geomar.de/n8415 Bildmaterial zum Download
    https://www.geomar.de GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
    https://www.io-warnemuende.de Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW)
    https://www.uni-kiel.de Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)


    Bilder

    Die Atlantische Meridionalzirkulation: Warme (oberflächennahe) Strömungen sind in rot dargestellt, kalte Tiefenströmungen in blau.
    Die Atlantische Meridionalzirkulation: Warme (oberflächennahe) Strömungen sind in rot dargestellt, k ...
    C. Böning/M. Scheinert
    Grafik: C. Böning/M. Scheinert, GEOMAR


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Geowissenschaften, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Die Atlantische Meridionalzirkulation: Warme (oberflächennahe) Strömungen sind in rot dargestellt, kalte Tiefenströmungen in blau.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).